courtesy

Besuchen Sie unseren neuen Shop. Sie finden ein vielfältiges Kartensortiment und gesegenete Kerzen. Wir freuen uns auf Sie. Herzlichen Dank für Ihre Bestellung!

Wie leben die Katholiken in Arabien?

Dubai, am Sonntagmorgen: Auf dem Weg in die Altstadt kommen mir scharenweise Leute entgegen, die in die 9-Uhr-Messe strömen. Auf Hunderten von Metern ist auf dem Trottoir fast kein Durchkommen. Keine ungewöhnliche Szene in der Ortskirche von Bischof Paul Hinder! Schon zur Frühmesse finden sich hier in Dubai und anderswo 1000 Gläubige ein, bevor sie zur Arbeit gehen.

Jede Pfarrei eine UNO

Es sind alles Gastarbeiter und Gastarbeiterinnen. Dazu gehören nicht bloss die philippinischen Hausangestellten und die indischen Bauarbeiter, die hier in Armut leben, daheim aber im Elend wären. Es sind auch gut bezahlte Ingenieure und Manager, die in Ölfirmen, Banken sowie in Handel und Verwaltung hohe bis höchste Posten bekleiden. Sie kommen aus allen Weltteilen, zum Beispiel aus den USA, der Schweiz oder arabischen Staaten wie Jordanien, Syrien und dem Libanon.

Wie viele Ausländer in Arabien katholisch sind, weiss niemand genau, da es keine offiziellen Statistiken gibt. Man schätzt sie auf 2,1 Millionen. Allein in der Stadt Abu Dhabi soll die einzige Pfarrei etwa 120000 Gläubige zählen. Sie kommen aus 90 Ländern; die fast 300000 Katholiken von Dubai sogar aus 120 Nationen. Jede Pfarrei ist so etwas wie eine UNO.

Unheimliche Vielfalt

[bild19013w200r]Die Vielfalt der Kirche Arabiens springt einem aus jedem kirchlichen Anschlagbrett in die Augen. Da werden Gottesdienste angekündigt in Englisch (die Hauptsprache), Arabisch, Tamilisch, Malayalam (Kerala), Singhalesisch (Sri Lanka), Tagalog (Philippinen), Urdu (Pakistan) und Französisch.

Innerhalb der katholischen Kirche gibt es auch eine Vielzahl von Riten, womit nicht bloss eine eigene Form von Liturgie gemeint ist, sondern auch spezielle kirchliche, theologische Traditionen. So gibt es etwa die indischen Syromalabaren und Syromalankaren, die libanesischen Maroniten und die Melkiten (Griechisch-Katholiken).Und sie alle wünschen einen eigenen Priester. Vom Kirchenrecht her haben sie einen Anspruch darauf. Doch in der Praxis ist es recht schwierig, da die Staaten nur für eine beschränkte Anzahl Priester die Arbeitsbewilligung erteilen. Dem Prinzip der Gerechtigkeit steht jenes der Verhältnismässigkeit gegenüber: Sicher ist gerecht, wenn 1000 Syromalabaren einen Priester bekommen. Doch erhalten auch die 20000 philippinischen Gläubigen derselben Pfarrei wegen der restriktiven Visa-Praxis nur einen Priester. Die Lösung des Problems: Jeder Priester ist nicht nur für «seine» Leute zuständig. Der Bischof schärft es ihnen immer wieder ein: «Ihr seid für die gesamte Pfarrei mitverantwortlich.»

Ungewohnte Frömmigkeit

45 Priester für über zwei Millionen Katholiken: Es ist offensichtlich, dass eine solche Kirche nur dank der tatkräftigen Mithilfe von Laien überleben kann. Diese sind tatsächlich überall zu finden: vom Ordnungsdienst auf den Parkplätzen um die Kirche herum (erstaunlich, wie trotz Massenandrang wenig Chaos herrscht!) bis zur Katechese, die ausser von Ordensschwestern von unzähligen Freiwilligen erteilt wird. Die katholischen «Bewegungen» sind eine starke Stütze der Kirche. Vertreten sind beispielsweise die Legio Mariae mit ihrem hohen sozialen Engagement, die Jesus Youth, die unter den Philippinen stark verbreiteten Couples/Singles/Youth for Christ und vor allem die Charismatiker, die für den Bischof «das Rückgrat der Kirche» bilden. Gewiss, ihr Frömmigkeitsstil ist für die Gäste aus dem Norden – wie auch für den Bischof – gewöhnungsbedürftig; so etwa, wenn eine charismatische Gruppe auf einem Anschlagbrett einer Pfarrei schreibt: «Bist du traurig? Willst du Gott unmittelbar erfahren? Dann komm am Freitagmorgen zu uns ins Gebet.»

Gefährliche Sozialkritik

Die soziale Lage vieler Gastarbeiter Arabiens ist so prekär, dass selbst die Neue Zürcher Zeitung über «sklavenähnliche Verhältnisse» schreibt. Die Löhne sind niedrig und bleiben gleich, auch wenn die Mieten, wie kürzlich geschehen, sich verdoppeln. Der Arbeitsplatz kann nicht frei gewechselt werden. Oft werden Leute plötzlich entlassen, müssen nach Hause und stehen als Bettler vor der Türe des Bischofs, weil sie kein Geld für das Billett haben. Wer 60 geworden ist, muss in der Regel ohnehin das Land verlassen. Was tut hier die Kirche? Sie kann zwar karitativ tätig sein, wobei die Gründung einer eigenen Caritas bislang nicht möglich ist. Bezüglich Sozialkritik sind ihre Hände weitgehend gebunden. «Wir müssen äusserst vorsichtig sein. Als Bischof könnte ich es mir nicht leisten, einen Sozialhirtenbrief zu verfassen und darin die sozialen Missstände anzuprangen», sagt der Bischof. Er könnte es zwar tun, müsste aber unverzüglich die Koffern packen …

Walter Ludin

 

Präsenz der Kapuziner

Von Anfang an waren die Kapuziner für die Seelsorge in Arabien zuständig, zuerst für Jemen. Seit 1915 liegt die Verantwortung bei der Provinz Toskana. 1975 kamen auch Brüder von anderswo hinzu. Unter den 30 Kapuzinern, die heute in Arabien tätig sind, kommen nur drei aus Italien, die Mehrheit aus Indien und von den Philippinen. Drei Brüder sind Libanesen. Im vergangenen November wurde die Kapuziner-Vizeprovinz Arabien errichtet. Das Apostolische Vikariat hat sieben eigene «Weltpriester». Dazu kommen vereinzelte Priester aus verschiedenen Gemeinschaften.

Völkergemisch

Fidelis Stöckli, Wil, ehemaliger Provinzsekretär, wurde von seinem Mitbruder Paul Hinder gebeten, während knapp dreier Monate im Bischofshaus von Abu Dhabi als Sekretär auszuhelfen. In einem Bericht beschreibt er die multikulturelle Gesellschaft, die er dort angetroffen hat: «Der Nachtwächter von nebenan kommt von Nepal, der Coiffeur von Bangladesh, der Taxifahrer von Pakistan, der Elektroingenieur aus Jordanien, die Schulsekretärin für die arabische Sprache aus dem Irak, der Koch aus Indien, die Krankenschwester von den Philippinen und der Bischof aus der Schweiz.

Religionsfreiheit

Ich wünschte mir von westlichen Regierungen, dass sie das Thema Immigration und Religionsfreiheit hier vermehrt ansprechen würden. Wir sind dankbar um die – eingeschränkte – Kultusfreiheit in den meisten arabischen Staaten. Aber es wäre schön, die Akzeptanz ginge noch etwas weiter.

Bischof Paul Hinder in einem Interview mit der Neuen Luzerner Zeitung. 17.2.2006

ite03/2006

Arabien

ite 2006/3

Vereinigte Arabische Emirate/VAE
120 Nationen – eine Kirche
Muslime und Christen