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Der Korrespondent des Tages-Anzeigers erzählt

Kürzlich rief ein Bekannter aus der Schweiz in Nairobi an und fragte im Verlaufe des Gesprächs leicht besorgt: „Bei euch ist wieder Ebola ausgebrochen. Hast du keine Angst?“ Auf den ziemlich bissigen Hinweis, Nairobi sei immerhin fast 2000 km vom Nordwesten der Demokratischen Republik Kongo entfernt, wo das tödliche Ebola-Fieber wütet, meinte der Bekannte: „Schon, aber es passiert bei euch in Afrika.“

Weit weg

Afrika ist weit weg, nicht nur von den Distanzen her gesehen. Auch wer längere Zeit in Afrika lebt und fast die Hälfte des Jahres berufshalber in den verschiedenen Ländern südlich der Sahara unterwegs ist, befindet sich ständig auf Entdeckungsreisen. Neues, Überraschendes, Befremdendes, Erfreuliches, Beelendendes und Bereicherndes folgen sich in schnellem Wechsel.

Kürzlich brachen wir von Tschad im Innern des Kontinents zu einer 1600 km langen Fahrt südwärts auf: quer durch Kamerun hinunter ans Meer, auf einem Lastwagen, dessen muslimischer Chauffeur alle paar Stunden anhielt und sich zum Gebet niederbeugte, dann in überfüllten Bussen, in endlos verspäteten Zügen, in schrottreifen Autos. Und zum Schluss folgten wir drei Tage lang einem Pygmäen durch den Busch, stolperten über Wurzeln, zerkratzten uns Hände und Gesicht, während der Kleinwüchsige sich barfuss und behände durchs mühsame Unterholz wand und nur gelegentlich bei bestimmten Bäumen kurz verweilte, als hielte er mit ihnen Zwiesprache.

Wie viele Afrikas?

Wie viele Afrikas haben wir auf dieser Reise erlebt? Afrika mit seinen 1500 Volksgruppen und ebenso vielen Sprachen, mit seiner unendlichen Fülle von Sitten und Bräuchen und Lebensformen ist für den Afrika-Korrespondenten einer Tageszeitung so faszinierend wie lähmen. Wie gerne würde man all jene, für die man schreibt, teilhaben lassen an diesem Reichtum, und Verständnis wecken für das Fremde, das Andersartige, für das Unterschiedliche.

Aber wie lässt sich diese schier hoffnungslose Vielfalt auch nur einigermassen und wenigstens bruchstückhaft vermitteln? Und ohne das Andersartige zur blossen Exotik verkommen zu lassen? Und wie, auf der anderen Seite, lässt sich über die Brutalität der nie enden wollenden Kette von Bürgerkriegen berichten, über das Elend der Hungernden, der Vertriebenen und der Ausgebeuteten, und zwar so berichten, dass man Afrika gerecht wird und nicht dem altbekannten Cliché „typisch Afrika“ Vorschub leistet?

Übereifrige Polizisten

„Afrika-Korrespondenten sind Zehnkämpfer“, pflegte ein früherer Berufskollege immer zu sagen. Das ist gewiss übertrieben, trifft aber in einigen Punkten zu. Journalisten haben in Afrika häufig mehr Mühe, eine Grenze zu überschreiten. Vielerorts wird eine besondere Arbeitsbewilligung verlangt für die fünf, zehn Tage, die man im Land verbringt. Sie zu ergattern ist oft ein bürokratischer und kostspieliger Hürdenlauf, der Geduld abverlangt.
Und nicht immer schützt ein solches Papier. Im Hinterland Guineas wollte ich eine Geschichte schreiben über die Volksgruppe der Toma. Als einzige in Afrika südlich der Sahara kannten sie eine geschriebene Sprache. Bis vor wenigen Jahren waren bei ihnen Menschenopfer für bestimmte Rituale üblich. Übereifrige Polizisten betrachteten mein Interesse für die Toma als Spionage. Der Tag im lokalen Gefängnis war insofern recht kurzweilig, als er umfassend Einblick bot in den Alltag einer Polizeistation und in die bisweilen unerträgliche Arroganz, mit der die Polizisten ihre Mitbürgerinnen und Mitbürger zu behandeln pflegten.

Ruandische Erbschaften

Erlebnisse dieser Art sind Bagatellen. Schwieriger sind die Aufenthalte in Krisen- und Kriegsgebieten, weil die Gefahren schwer einzustufen oder kaum absehbar sind. Gleich zu Beginn meiner Korrespondententätigkeit in Afrika, im Frühjahr 1994, brach der Völkermord in Ruanda aus. In den ersten Stunden auf ruandischem Boden sah ich mehr sterbende und tote Menschen als in den 51 Lebensjahren zuvor.

Der Berufsalltag, nicht nur in Ruanda, später auch in Somalia, in Sierra Leone oder im Kongo lehrt einen, mit solchen Eindrücken umzugehen. Aber sie klammern sich im Gedächtnis fest und tauchen gelegentlich, nicht besonders angenehm, wieder auf. Aber weit belastender ist das tägliche Miterleben von Unrecht und Willkür, die den Menschen in so vielen Ländern Afrikas zusetzen und die wir als Beobachter mitverfolgen; oder die Arroganz der herrschenden Klasse gegenüber dem Heer der Armen, auf deren Kosten sich die Elite ihren Reichtum zusammenstiehlt. Solche Berufserfahrungen, darin sind sich fast alle Afrika-Korrespondenten einig, sind ungleich schwerer zu ertragen als der Anblick von hungernden Kindern oder von flüchtenden Menschen mit dem ganzen Hab und Gut auf dem Kopf.

Nicht bloss drei K’s

In einem Punkt ist ein Afrika-Korrespondent verloren, wenn er kein harter Kämpfer ist: Im Kampf um Platz, sei es in den Zeitungen, im Radio oder im Fernsehen. Afrika liegt weit weg und am Rand der Weltpolitik. Auch nur halbwegs wichtige Ereignisse in Europa oder in den USA verbannen Afrika sofort auf die untersten Zeilen der Auslandseiten.
Anders ist es, wenn eine Zeitung, in meinem Falle der Tages-Anzeiger, einen eigenen Korrespondenten nach Afrika schickt und damit dokumentiert, dass sie Afrika ein besonderes Gewicht beimisst und sich nicht allein auf Agenturen oder freie Mitarbeiter verlassen will. Wohl steht auch der festangestellte Korrespondent in Konkurrenz zu den anderen Erdteilen. Aber seine Position innerhalb der Zeitung erlaubt ihm ein kontinuierliches Rapportieren mit vertiefenden Analysen und Schilderungen des Alltagslebens – eine Berichterstattung somit, die weit über die berüchtigten drei K’s – Krisen, Kriege, Katastrophen – hinausgeht, auf die Afrika ungerechterweise reduziert wird.

Heiratsanträge

Zum Schlimmsten, was einem als Afrika-Korrespondent widerfahren kann, gehört das Absinken in Zynismus. Es gelingt nicht immer. Ein gutes Gegenmittel ist der ungleich würzigere und kernigere Berufsalltag. Wo sonst erfährt man die Geschwisterpaare Leid und Grossherzigkeit, Elend und Lebenswille näher als in Afrika? Wo sonst macht einem eine schöne Tuareg-Frau unvermittelt einen Heiratsantrag, wird man als Gast eines Dorffestes gebeten, eine Ziege zu schlachten – und erst noch als Vegetarier?

Wo sonst trifft man eine Gruppe von Frauen, die eigenhändig bei grösster Bruthitze einen Damm baut? All das ist auch Afrika. Und das nährt den täglichen Ansporn: Den Leserinnen und Lesern zuhause Informationen zu vermitteln, damit sie sich ein Bild machen können über das, was in Afrika sich abspielt; und Verständnis zu wecken für einen Kontinent, der einem die Annäherung nicht leicht macht, aber eine Annäherung verdient.

Peter Baumgartner, Nairobi

 

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