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Unheilbare Wunden

In Bosnien war der Krieg lang und dreckig. Er hinterliess in der Gesellschaft kaum heilbare Wunden. Obwohl inzwischen einige Kriegsschäden beseitigt sind, ist vieles nur eine hauchdünne Fassade von Normalität.

Misstrauen und Angst

Auch acht Jahre nach Dayton ist die Situation in vielen Regionen desolat. Weiterhin prägen Misstrauen, ja Angst das alltägliche Miteinander. Der Krieg, in dem jeder gegen jeden aufgehetzt wurde, hat tiefe Gräben zwischen den Menschen hinterlassen. Hinzu kommt die schlechte Wirtschaftssituation mit hoher Arbeitslosigkeit (von Jugendlichen), die zu nackter Armut und häufig zu Resignation und Apathie führt. Die soziale Schere klafft weiter auseinander denn je. Neben einigen wenigen, sehr reichen Zeitgenossen, lebt die grosse Masse am Rande des Existenzminimums.

Kein Wirtschaftswunder

Die Kraftreserven vieler Menschen sind inzwischen nahezu aufgezehrt. Von einem Nachkriegs-Wirtschaftswunder ist Bosnien weit entfernt. Die Schuld an dieser Misere ist ganz eindeutig auf der politischen Ebene zu suchen. Das Dayton-Abkommen hat zwar den Krieg beendet. Die Umsetzung der Verträge treibt die Gesellschaft jedoch in eine Spaltung. Denn die Aufteilung des Landes in zwei «Gebietseinheiten» führt nur zu einer Verdoppelung aller Strukturen, nicht aber zu Synergien.

Nehmen wir zum Beispiel die Schulen: Zu Schuljahresbeginn lächeln in der bosniakisch-kroatischen Föderation von Plakaten fröhliche Kindergesichter: «Gemeinsam zur Schule!» Wo liegt hier das Problem? Die bosakischen (moslemischen) und die kroatisch(katholischen) Kinder sollen neuerdings gemeinsam die Schule besuchen. Die Umsetzung dieses lobenswerten Vorsatzes ist jedoch schlecht vorbereitet: Die Klassen sind zu gross. Es gibt unterschiedliche Lehrpläne und Bücher. Die Lehrer sind unterbezahlt. Ausserdem gibt es eine allmähliche Trennung der Sprachen, die von offizieller Seite gefördert wird.

Nur ein Finger

Die Situation der Katholiken in Bosnien ist schwierig. Während des Krieges wurden fast alle Kirchen zerstört und die Menschen systematisch vertrieben. Vor dem Krieg lebten in der Erzdiözese Sarajewo 520’000 Katholiken, jetzt sind es 218’000. Inzwischen haben manche Gemeinden fast wieder Vorkriegs-Grösse. Andere sind nahezu menschenleer. Man sieht am Strassenrand viele Ruinen mit leeren Fensterhöhlen, aus denen die Bäume herauswachsen.
Pfarrer Karlo Visaticki drückt es so aus: Er zeigt beide Hände und hebt einen einzigen Finger nach oben: «10 Finger hatte ich, nur einer ist mir geblieben – 90% meiner Gemeinde sind in alle Welt zerstreut. Rückkehrer gibt es nur wenige, geblieben sind vor allem alte Menschen. Viele von ihnen sind hilflos und pflegebedürftig.» Pfarrer Karlo versucht durch eine Suppenküche und einen Hauspflegedienst zu helfen – ohne Ansehen der Religion. Ausschlaggebend für die Unterstützung ist lediglich die wirtschaftliche Situation der Betroffenen.

Hoffnungen

Es stellt sich hier die Frage nach sinnvoller Gemeindearbeit. Der Franziskaner-Orden (seit 700 Jahren die grösste Ordensgemeinschaft Bosniens) beantwortet diese Frage unterschiedlich. Viele Ordensleute glauben fest daran, dass der Wiederaufbau von Kirchen den Menschen genug Hoffnung gibt, wieder in die alte Heimat zurückzukehren.

In Svilaj ist dies offensichtlich gelungen. Wir besuchen den Sonntags-Gottesdienst in der neuen Kirche. Sie ist nur kärglich ausgestattet – aber sie ist voll. In vielen anderen Gemeinden ist der Wiederaufbau jedoch nicht so gut gelungen. Vielerorts reicht eine provisorische Kapelle für den Gottesdienst: Einer Taufe pro Jahr stehen zehn Beerdigungen gegenüber. Ausschlaggebend für die Wiederansiedelung der Menschen sind heute eher wirtschaftliche Faktoren und eine funktionierende Infrastruktur, als eine wieder aufgebaute Pfarrkirche.

Wallfahrtsort Podmilaãje

Ein anderer Fall ist der Wallfahrtsort Podmilaãje. Bewegt stehen wir vor der kleinen Kapelle, die aus den Steinen der zerstörten Kirche wieder aufgebaut wurde. Podmilaãje war und ist ein Kristallisationspunkt der Volksfrömmigkeit – auch für viele Moslems. Der Kirchenneubau macht hier Sinn, da ein Symbol gemeinsam gelebter Spiritualität wiedererstehen wird – ein Ort, der die Menschen einander näher bringt. Bei anderen Kirchenneubauten bleibt dagegen häufig ein schaler Nachgeschmack. Nach dem Motto: «Bauen die da eine Moschee, bauen wir eben eine Kirche.»

Islamismus?

Immer wieder begegnen uns Hinweise auf den Islamismus und die zunehmende Radikalisierung der moslemischen Bevölkerung. Dies beschränkt sich nicht nur auf Neubauten von Moscheen (wir wollen nicht vergessen dass diese genauso systematisch zerstört wurden wie die Kirchen).

Auch die islamische Gemeinschaft investiert in Menschen. Häufig entsteht der Eindruck, dass erheblich mehr Geld dafür zur Verfügung steht, Menschen zu trennen als um Gemeinsames zu schaffen. Wir können nicht beurteilen ob Bosnien tatsächlich zu einem Knotenpunkt im Netz des internationalen Terrorismus geworden ist. Spürbar ist jedoch, dass viele Bosniaken in der Religion eine sinnstiftende Identität gefunden haben, die verstärkt wurde, da eben diese Religion unter Milosevic zum Vorwand der «ethnischen Säuberungen» diente.

Mauern in den Köpfen

Eine Rückbesinnung auf religiöse Inhalte gab den vielfach traumatisierten Menschen zumindest einen äusseren Halt. Zur Verbesserung des Klimas zwischen den einzelnen Bevölkerungsgruppen trug sie kaum bei. Auch auf der kroatisch-katholischen Seite ist die Mauer in den Köpfen hoch. Überall werden in der Gemeindestatistik die Ethnien säuberlich unterschieden. Die früher üblichen «gemischten» Ehen sind heute eine Rarität. Die Leute wissen nur zu gut, wer zu welcher Ethnie gehört. Als Deutsche beschleichen mich bei dieser Sichtweise gespenstische déja-vu-Gefühle.

Brücken bauen

Lange diskutieren wir diese Dinge mit Kirchenvertretern. Neben der schieren kirchlichen Repräsentanz zeigt sich in diesen Gesprächen aber auch eine zweite, hoffnungsvolle Linie christlicher Arbeit in Bosnien: der Dienst für und mit dem Menschen. Vor dem Hintergrund von gesellschaftlicher Stagnation und persönlicher Resignation gibt vor allem die Jugendarbeit Anlass zur Hoffnung, da sie Brücken baut und nicht darauf schaut, welcher Volksgruppe ein Mensch angehört.

Die Studentin Enisa (22) aus Vitez bringt es auf den Punkt: «Man muss bei den Kindern und Jugendlichen anfangen. Sie sind noch nicht so vergiftet. Kinder sind unsere Hoffnung. Ich verstehe nicht, wie das alles so kommen konnte. Wir sind doch eine gemischte Nation. Für mich ist Religion nicht Hass, sondern Liebe. Schwester Madeleine ist für viele Menschen hier ein Vorbild.»

Ulrike Blatter

 

Die Autorin

Die deutsche Ärztin hat im ehemaligen Jugoslawien einige Projekt aufgebaut.
Kontaktadresse:
Dr. med. Ulrike Blatter
Oderstrasse 37
D–78244 Gottmadingen.
Internet: http://www.rrjeta.de

 

Bosnien-Herzogowina

ite 2004/2

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