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Ein Interview mit Willi Anderau, dem Regionaloberen der Deutschschweizer Kapuziner

Willi Anderau, welche Sichtweise der Gegenwart hat sich bei dir durch den Besuch des Symposiums in Spanien verändert?

Willi Anderau: «Säkularisierung » war für mich bis dahin eine allgemeine Erklärung für die zunehmende Entfremdung der Menschen von Religion und Kirche. Die Säkularisierung war schuld, dass die Leute den Gottesdiensten fern blieben, mit liturgischen Formen nicht mehr viel anfangen konnten und dass es nur noch wenige kirchliche Berufe gab.

Und was ist nun neu?

Mir sind viele positive Seiten der Säkularisierung aufgegangen. Die Säkularisierung hat für mich den Geruch des Bösen verloren. Säkularisierung ist nicht etwas, das man bekämpfen muss, sondern vielmehr eine Herausforderung. Gott selber hat den ersten Schritt zur Säkularisierung getan, er hat seine Gottheit abgelegt und ist in Jesus Christus Mensch geworden. Paulus schreibt an die Philipper, dass Jesus Christus nicht erpicht darauf war, wie Gott zu sein. Er wurde ein Mensch in dieser Welt und teilte das Leben der Menschen (1. Phil, 2, 6f).

War schon Jesus ein säkularer Mensch?

Jesus selbst trug wohl kaum liturgische Gewänder, und wenn man ihn auf der Strasse antraf, dann war er von anderen Menschen nicht zu unterscheiden; etwas zugespitzt formuliert: er war ein säkularer Mensch. Ja, er verurteilte sogar jene, die besondere Gewänder trugen, damit sie von den andern als «kirchliche Personen» gegrüsst wurden (Mt. 23,5f). Jesus hat für sich keine besonderen Rechte beansprucht, sondern sich ganz in diese Welt eingelassen, um in dieser Welt durch seine frohe Botschaft das Reich Gottes zu vergegenwärtigen. Dieser Weg Gottes in die Welt und in die Geschichte setzt sich auch heute fort. Säkularisierung ist also nicht einfach des Teufels, sondern wurde von Gott selber angestossen. Das  hat mich sehr nachdenklich gemacht.

Am ersten Abend des Symposiums sprach John Allen. Was war dem CNN-Journalisten beim Vatikan wichtig im Blick auf die katholische Kirche heute?

In seinem Vortrag über die Präsenz der katholischen Kirche in der Welt wies John Allen darauf hin, dass sich der Schwerpunkt der Kirche von der nördlichen Hälfte der Weltkugel in den Süden verschoben hat. Die Mehrheit der katholischen Kirche hat ganz andere Probleme als wir sie bei uns wahrnehmen. Wir klagen über schwindende Zahlen und Überalterung der Kirchenmitglieder, die Kirchen im Süden dagegen sind voll mit jugendlichen Menschen. Sie haben eine lebendige und die Öffentlichkeit stark prägende religiöse Praxis. Dazu ist eine Vielzahl von religiösen Gruppierungen entstanden mit evangelikaler und pentecostaler Prägung. Diese Entwicklung sah John Allen zu unserem Erstaunen als eigentliches Kernproblem und weniger die Frage der Säkularisierung.

Was hat nun John Allen den Kapuzinern in Europa geraten?

Als Lösung sah der Amerikaner den Aufbau einer Einheitsfront, den Aufbau einer globalen katholischen Identität, von der aus der Dialog mit den andern Kulturen zu führen sei. Auf die Frage aus dem Publikum, wie er sich diese globale katholische Identität vorstelle, verwies John Allen schlicht auf den römischen Katechismus. Diese Reduktion der katholischen Kirche auf ein einziges Buch war den kritischen Theologen im Publikum denn doch zu viel (oder besser zu wenig). Und so endete der erste Abend mit Kopfschütteln und höflichem Applaus.

Was gehört nun für dich zum Katholischsein?

Dazu gehört vor allem der Glaube an die Person Jesu Christi und an sein Evangelium. Es gehört dazu, dass ich diesen Glauben lebe in Gemeinschaft mit andern gläubigen Menschen innerhalb einer hierarchisch strukturierten Organisation, die sich römisch-katholische Kirche nennt. Diese Kirche ist das Volk Gottes, das durch die Geschichte unterwegs ist. Es wird geleitet von den Bischöfen zusammen mit dem Papst in Rom, der sich als Nachfolger Petri versteht. In diese Kirche wurde ich durch die Taufe aufgenommen.

Und wie zeigt sich dieses Katholischsein in unserem Alltag?

Zum Katholischsein gehören für mich noch wesentlich:
1. Wir feiern das Wirken und die Gegenwart Christi in seiner Kirche in sichtbaren Zeichen (Sakramenten). Das wichtigste ist für mich die Feier des Todes und der Auferstehung des Gottessohnes in der Eucharistie.
2. Zum Katholischsein gehört für mich die weltweite Sendung dieser Kirche. Alle Menschen, alle Kulturen sind in diese Kirche eingeladen. Somit baut sich die Kirche aus verschiedenen Kulturen auf und sollte ein so vielgestaltiges Gesicht haben, wie es eben Kulturen und Völker gibt.

Wieso ist nun John Allen zu widersprechen?

«Katholische Identität gibt es nur im Plural», sagte der Religionssoziologe Michael Ebertz in seinem Referat. Natürlich sind dadurch Spannungen vorprogrammiert. Wie viel Pluralität erträgt eine Glaubensgemeinschaft, ohne dass sie auseinander fällt? Ebertz führte weiter aus: «Was katholischer Glaube ist, kann nicht verordnet, es muss im Gespräch immer neu geklärt werden.»

Wenn es die katholische Identität nur im Plural gibt,  was bedeutet dir in dieser Situation dein Kapuzinersein?

Franz von Assisi war ein Mann, der durch seine Radikalität und Phantasie, so wie er die Liebe zu Jesus und zum Evangelium lebte, viele Menschen beeindruckt hat. Auch mich. Bei den Kapuzinern habe ich eine Brüdergemeinschaft gefunden, welche sich bemüht, die Impulse, die von Franz von Assisi ausgegangen sind, in unserer Zeit zu leben. Wir verstehen uns als Teil jenes Ordens, den Franziskus gegründet hat. Schön ist es, dass dieser Orden, genau wie die katholische Kirche, weltumspannend und vielgestaltig gewachsen ist. In Afrika leben die Kapuziner nicht gleich wie in Südamerika oder in der Schweiz. Aber wenn wir zusammenkommen, zum Beispiel zu einem Generalkapitel oder zum Symposium in Madrid, erleben wir uns alle als Brüder, die oft heftig  miteinander diskutieren, wie wir das Evangelium und die Ideale des Franz von Assisi in unserer Zeit leben wollen.

Worin liegen hier für uns die Hoffnung und unser Auftrag?

Gott hat die Menschen erschaffen, und Gott liebt die Menschen. Und so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eigenen Sohn in die Welt sandte. Wir kommen  nicht zu Gott, in dem wir die Welt verachten. Franziskus ist dazu mit seinem Sonnengesang ein qualifizierter Zeuge: Er preist Gott durch Schwester Sonne, durch Mutter Erde. Und er preist Gott durch jene Menschen, die Trübsal und Leid geduldig ertragen und die Versöhnung und Frieden stiften.

Das scheinen mir schöne Worte zu sein. Doch wo siehst du den Bezug zu unserem Leben?

Wir wollen nicht naiv sein: Friedensstifter sind nötig, weil es Streit, Ausbeutung und Krieg gibt; auch Trübsal und Leid ist meistens nicht nur Schicksal, sondern wird von Menschen gemacht. Es ist schade, dass so viele Menschen zu sehr auf sich selber fixiert sind oder zu sehr von den Gütern der  Welt ausgefüllt  und übersatt sind, so dass sie vergessen oder verdrängt haben, dass uns Gott diese schöne Welt geschenkt hat und es nicht mehr nötig finden, ihn dafür zu preisen. Auch das gehört zur Säkularisation.

Der erste Symposiumstag stand unter dem Motto «Sehen». Ist dir bei den Vorträgen und Diskussionen etwas aufgegangen? Speziell wichtig geworden?

Der Religionssoziologe Prof. Michael Ebertz stellte uns in trockenen Zahlen die Einstellung der Menschen in Europa zu Religion und Glauben vor. Die Erhebungen zeigen starke Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern. Jedes Land hat seine eigene Säkularisation. Er stellte fest, dass in  Westeuropa 40% der Menschen nicht mehr religiös gebunden sind. Bei den jungen Menschen ist diese Zahl doppelt so hoch. Die sozialen Strukturen Europas sind weitgehend säkularisiert.

Die Kirche verschwindet also immer mehr?

Dagegen ist die Kultur christlich geprägt. Denken wir nur an die Feiertage wie Weihnachten und Ostern. Aus all dem darf keineswegs auf eine generelle Bedeutungslosigkeit der Kirchen geschlossen werden. Selbst innerhalb eines Landes zeigen sich grosse Unterschiede zwischen einzelnen Gebieten. An vielen Orten nehmen die Kirchen in sozialen Einrichtungen wichtige Funktionen wahr oder prägen immer noch die Festtage, engagierte Gruppen mahnen christliche Werte in der Politik an usw. Nicht zu übersehen ist, dass sich heute viele Leute ihr eigenes Glaubenssystem zusammenstellen. Ein positiver Aspekt dabei ist, dass dadurch viele Leute den ökumenischen Fragen bedeutend offener und pragmatischer gegenüber stehen als ihre obersten Kirchenführer.

Am zweiten Tag ging es ums Urteilen. Welche Kriterien wird der Personalchef der Deutschschweizer Kapuziner bei seinen Entscheidungen künftig anwenden?

«Die Welt ist der Raum der Gegenwart Gottes», sagte der deutsche Pastoraltheologe Stefan Knobloch. Wenn Gott uns so geliebt hat, dass er sich in Jesus in diese Welt hineingegeben hat, dann müssen auch wir diese Welt lieben. Am nächsten kommt uns Jesus in dieser Welt, wenn wir uns dem bedürftigen Menschen zuwenden (vgl. die Bergpredigt). Das soll auch unsere Priorität sein.

Gibt es dabei Kriterien, die dir als Kapuziner sehr wichtig sind?

Die Art und Weise wie wir leben ist bereits ein wichtiger Teil unserer Botschaft an die Welt. In der Nachfolge des Hl. Franziskus ist es für mich ganz wichtig, zuerst einen brüderlichen Umgang unter uns selber zu leben und dann einen geschwisterlichen Umgang mit den Menschen und der Schöpfung zu suchen.

Am dritten und letzten Tag ging es ums Handeln. Gibt es aus der franziskanischkapuzinischen Tradition Impulse, welche das heutige Handeln der Kapuziner in Europa prägen wird?

Der wichtigste Grundsatz ist sehr alt: «Wir müssen unser Leben immer wieder neu am Evangelium orientieren!» Das bedeutet, wir müssen beweglich bleiben, wir müssen aufmerksam sein auf das,  was die Menschen bewegt. Zusammen mit der Kirche sind wir ein Teil der Gesellschaft,  unterwegs durch die Geschichte. Wir können uns nicht einfach darauf verlassen, dass auch heute noch gilt, was  sich gestern bewährt hat. Im Lichte des Evangeliums müssen wir unser Handeln immer wieder neu ausrichten in dieser Welt.

Interview: Adrian Müller
http://www.adrianm.ch

 

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ite 2010/3

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