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Konkrete Anregungen

Als meine Frau und ich heimkehren, stehen vor dem Restaurant in unserer Strasse zwei Gruppen von Jugendlichen einander gegenüber, gespannt und kampfbereit; der eine mit hoch erhobenem Velo über seinem Kopf, um es seinem Feind an den Kopf zu schmeissen, der andere ihm gegenüber mit erhobener Latte. Beide beschimpfen einander mit aggressiven Wörtern. Ihre Freunde halten sich im Hintergrund. Meine Frau eilt spontan zwischen die beiden hinein, drängt sie mit ihren Händen auseinander, ruft: “Halt!“ und bringt den einen dazu, sein Velo herunterzunehmen. Aber immer noch stehen sie sich – in etwas Distanz – feindselig gegenüber. Sie sagt: „Lasst, das bringt nichts! Was ist los? Worum geht es?“ Sie bringt den andern dazu seine Latte wegzustecken. Noch ist die Lage explosiv, mustern sich die beiden Schläger gespannt. Schliesslich trollen sie sich mit ihren Freunden davon.

Zivilcourage lernen

Eine Gewaltszene verändert sich grundlegend, sobald sich eine Drittperson einmischt. Ein Königsweg dabei ist der Humor oder eine unerwartete Reaktion. Eine Freundin erzählte uns, dass sie nachts allein im Zug fuhr und sich ein Soldat in ihrem Abteil an sie heranmachte. Sie hatte die Intuition, im Moment aufzustehen, ihm die Hand entgegenzustrecken und zu sagen: „Salü, ich heisse Lisa, und du?!“ Der Mann war so verblüfft, dass er ebenfalls seinen Namen sagte und es entwickelte sich ein Gespräch – die Situation war entschärft.

Mut hängt nicht von der äusseren Körperkraft ab, sondern von der inneren Stärke. Die seelisch-geistige Überzeugungskraft, die jeder Mensch, ob Klein oder Gross, in sich hat und wachrufen kann, ermöglicht ein entschiedenes Auftreten. Die unaufgebbare Lektion aus der Judenvernichtung der Nazis ist für mich, dass die wichtigste Erziehungsaufgabe für ein ‚Nie wieder!’ darin besteht, möglichst auf breiter Ebene Zivilcourage zu lernen und zu entwickeln.

Konstruktiv streiten

Fair streiten ist eine Kunst – und die beste Gewaltprävention. Konflikte gehören zu uns Menschen, solange wir unterschiedlich sind, gegensätzliche Meinungen und Interessen haben. Wichtig ist aber unsere Einstellung! Hier zehn Merkpunkte:

  • Konflikte als positive Chance sehen: Konflikte sind unangenehm, mit Ärger und negativen Gefühlen verbunden. Deshalb schauen wir oft weg, verdrängen sie. Konflikte können aber eine positive Herausforderung sein. In der – vielleicht schmerzhaften – Auseinandersetzung können wir uns und andere besser kennen lernen und dabei wachsen.
  • Innehalten: Sich nicht zu verletzenden Äusserungen hinreissen lassen. Einen Moment innehalten, tief durchatmen, gleichsam innerlich Distanz nehmen – und eventuell den Konflikt in einem ruhigen Moment wieder aufgreifen.
  • Gefühle wahrnehmen und akzeptieren: Starke Emotionen wie Angst, Aggressionen usw. wahrnehmen und ausdrücken kann zur Offenheit und Klärung beitragen.
  • Aktives Zuhören: Wirklich ehrliches Fragen nach dem, worum es dem Gegner wirklich geht, schafft Vertrauen. Nur wenn es uns gelingt, uns in die Gegenseite einzufühlen, uns in ihre Haut zu versetzen, können wir sie wirklich verstehen.
  • Klare Ich-Botschaften: Ebenso wichtig ist es, meine Anliegen offen und klar auf den Tisch zu bringen – als meine Sichtweise!
  • Grundbedürfnisse erfragen: Oft kämpfen wir verbissen um Positionen. Keine Seite will nachgeben: Jugendlicher: „Ich will heute Abend ins Kino gehen!“ Eltern: „Nein, wir wollen, dass du daheim bleibst!“ Erst wenn wir hinter die Positionen zurückfragen, kommen wir den eigentlichen Bedürfnissen auf die Spur: Vielleicht verbirgt sich hinter dem Streit um den Film ein Machtkampf (Generationenkonflikt). Oder der Junge ist an einer neuen Freundin interessiert.
  • Zwischen Person und Tun unterscheiden: Merkwürdigerweise sehen sich beide Konfliktparteien in der Regel als die Guten, während ihre Gegner das Böse verkörpern. In einem Konflikt sind aber Gut und Böse meist nicht einseitig verteilt; der Riss geht vielmehr durch beide Konfliktparteien hindurch. Beide haben vielleicht Fehler gemacht, beide haben aber auch berechtigte Anliegen, ihr Körnchen Wahrheit. Dies hilft uns, uns als Konfliktpartner zu verstehen, die gemeinsam ein Problem haben.
  • Einen echten Dialog führen: Normalerweise reagieren wir in einem Streit mit Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Echter Dialog beinhaltet hingegen fünf Schritte: Erstens versetzen wir uns in die Haut der Gegenseite und fragen nach ihrer Wahrheit, ihrem Guten, und anerkennen dies auch. Zweitens fragen wir uns, wo wir selbst Fehler gemacht haben, und gestehen dies ein (Selbstkritik). Erst dann legen wir drittens unsere Wahrheit offen, bringen viertens unsere kritischen Einwände vor, und tragen fünftens mit konstruktiven Vorschläge zur Lösung bei.
  • Gleichwertigkeit: Faire Konfliktlösung bedingt, dass alle Parteien gleiches Gehör finden. Eine Machtbalance kann hergestellt werden durch den Zusammenschluss vieler Schwächerer (z.B. Gewerkschaften) oder Unterstützung von aussen (Mediation).
  • Gewinner-Gewinner-Lösung anstreben: In der Regel haben wir das Sieger-Verlierer-Schema im Kopf. Die mächtigere Seite setzt sich durch, die schwächere bleibt auf der Strecke. Fragen wir dagegen nach den Bedürfnissen beider Seiten, eröffnen sich oft neue, unerwartete Möglichkeiten, die für beide Konfliktparteien einen Gewinn bringen.

Selbstwertgefühl stärken

In einer Schule fiel Mehmed, ein türkischer Junge, durch sein aggressives Verhalten auf. Eine erfahrene Mediatorin wurde beigezogen, um der Gewalt auf dem Pausenplatz durch die Ausbildung von Streitschlichter(innen) vorzubeugen. Sie beharrte darauf, dass Mehmed in die Gruppe von Kindern kam, die an sechs Mittwochnachmittagen in diese Rolle eingeführt wurden. Mehmed war mit Eifer bei der Sache, stolz, für die besondere Rolle ausgewählt worden zu sein. In der Folge war er wie ein umgekehrter Handschuh. Statt aggressive Angriffe auf andere, setzte er sich nun für faires Streiten unter den Schülern ein. Mangelndes Selbstwertgefühl bewirkt, dass man sich schnell unsicher und angegriffen fühlt oder sogar Minderwertigkeitsgefühle mit Machtgehabe überspielt. Unsere Gesellschaft bietet – vor allem jungen Menschen aus dem Ausland – wenige oder unbefriedigende Zukunftsperspektiven. Besseres Selbstwertgefühl bedingt deshalb nicht zuletzt auch mehr Chancengleichheit sowie eine Aufwertung von inneren Werten wie eigene Würde, Solidarität und Wertschätzung anderer Kulturen.

Ueli Wildberger

ite2003/05

Jugend und Gewalt

ite 2003/5

Wurden die Jugendlichen gwalttätiger?
Welche Jugend? Welche Gewalt?
Gewaltfrei Konflikte austragen