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Eine Einführung in die Sinus-Milieu-Kirchenstudie

Vor zwanzig Jahren hatte ich im Kloster Altdorf ein für mich prägendes Erlebnis. In der Küche stand am Sonntagmorgen ein versierter Koch und sagte voller Überzeugung: «Mag sein, dass Kapuziner ihre Sonntagspflicht mit der Eucharistiefeier erfüllen. Ich tue dies mit meinen Pfannen!» Etwas verwirrt machte ich mich auf den Weg in die Kirche: Was heisst Gottesdienst, Dienst an Gott, Dienst an den Menschen im Leben des Menschen? Kann das so unterschiedlich sein?

Jahre später las ich Bücher des US-amerikanischen Theologen Gary Chapman – weniger weil sie wissenschaftlich fundiert sind, sondern eher weil sie mir etwas verständlich machen konnten. Die Liebe Gottes kenne fünf Sprachen, ist seine Sicht des Glaubens (Anerkennung, Gemeinsame Zeit, Geschenke, Praktische Hilfe, Körperkontakt). Jeder Mensch hat darin Glauben sortieren Eine Einführung in die Sinus-Milieu-Kirchenstudie seinen Dialekt der Liebe zu erkennen und sein Leben danach auszurichten. Die Sprache Nummer drei ist diejenige des Schenkens und Beschenkens – der Koch von Altdorf hat die Klostergemeinschaft damals aufs Köstlichste beschenkt und die Sprache «Geschenke» gesprochen.

Milieulandschaften

Wenn man pastoraltheologisch exakter über Menschen und ihren Glauben nachdenken will, als dies der Pragmatiker Chapman tut, dann muss man zu anderen und wissenschaftlich exakteren Methoden greifen. Eine dieser Methoden, die in Deutschland erarbeitet und heute auch in der Schweizer Kirche angewendet wird, ist die Sinus- Milieu-Kirchenstudie. Diese Untersuchung beschreibt für die katholische Kirche auf der Basis von mehreren repräsentativen Befragungen zehn unterscheidbare Milieus. Dabei geht es nicht um Wertungen und Verurteilungen, sondern ums Wahrnehmen unterschiedlicher Wege zum Glauben. SeelsorgerInnen und Gläubige, die sich in ihrem kirchlichen Handeln an diesen Milieus orientieren, sind wie Missionare, die sich zuerst mit der Kultur eines Landes vertraut machen, um so verständlich das Reich Gottes leben und verkündigen zu können. Oder eben wie Franziskus, der von seinen Brüdern forderte, zuerst an einem Ort zu leben und erst dann von ihrem Glauben zu erzählen, wenn sie von den Menschen dazu aufgefordert werden.

Die Traditionsverwurzelten

Dieses Milieu ist für die Seelsorgenden sehr dankbar. Die Traditionsverwurzelten sind dabei, wenn bisheriges wie Gottesdienste, Wallfahrten und traditionelle Gebete gepflegt werden. Sie bleiben gerne beim Gewohnten und Vertrauten. Von den PredigerInnen verlangen sie keine theologischen Höhenflüge, sondern lediglich eine vertraute Liturgie mit Liedern, die man möglichst auswendig mitsingen kann. Ästhetische und moderne Experimente sind nicht gefragt.

Die meisten Traditionsverwurzelten sind heute älter als 65 Jahre und haben den Zweiten Weltkrieg miterlebt. Sie streben nach Sicherheit, Ordnung, rustikalem Lebensstil, lesen triviale Zeitschriften und haben eine Vorliebe für die Volksmusik.

Die Konservativen

Dieses Milieu orientiert sich am klassischen Schönheitsideal, an klassischer Musik und Oper, jedoch nicht an Operette und Blasmusik. Man trifft Menschen aus diesem Milieu oft im Theater, in Museen und in der Kirche häufig dann, wenn spezielle Orgelkonzerte organisiert werden. Ansonsten ist die Pfarrei nicht der Ort, wo man die Konservativen antreffen kann. Die Bedeutung der Religion zeigt sich für dieses Milieu in der persönlichen Sicherheit und im gesellschaftlichen Fundament, die der Glaube den Menschen bieten kann. Wenn man einmal in den Gottesdienst geht, dann wünscht man sich eine liturgische Hochform und gebildete Prediger. Der Ort dazu wird bewusst gewählt und ist pfarreiunabhängig.

Die Bürgerliche Mitte

Auch dieses Milieu wählt wie die Konservativen gerne aus dem religiösen Angebot aus, bleibt aber eher auf der Ebene der Pfarrei verwurzelt. Der Bürgerlichen Mitte ist die Familie sehr wichtig. Darum liebt sie Familiengottesdienste, aber auch Jugend- und Weihnachtsgottesdienste. Anschliessend an die Liturgie schätzt die Bürgerliche Mitte Apéros und grillieren im Freien. Die Kinder können in solchen Situationen spielen und die Erwachsenen tauschen über die Erziehung aus. Sonntagsgottesdienste werden wenig besucht – der Sonntagmorgen dient dem Ausschlafen und dem Familienbrunch samt Familienausflug.

Die Postmateriellen

Der konsumistische Massengeschmack ist diesem Milieu ein Gräuel, genauso der stilistische Perfektionismus der Konservativen oder der Etablierten. Die Postmateriellen sind meistens gut gebildet und haben hohe Sympathien für alternative Lebensformen. Der Gesellschaft, der Wirtschaft und den Medien begegnet dieses Milieu sehr kritisch. Die Postmateriellen würden die Pfarrei vor Ort am liebsten auf einen sozialpastoralen Kurs bringen und basisgemeindliche Kommunikationsformen einführen. Die Kirchenhierarchie wird dabei heftig kritisiert, weil sie von der Demokratie und der Mitsprache des Volkes Gottes wenig hält. In den Pfarreien findet man die Postmateriellen oft in den ökologischen und ökumenischen Gruppen.

Die Etablierten

Dieses Milieu versteht sich als die ökonomische, politische und kulturelle Elite und ist – im Gegensatz zu den Konservativen – weniger kulturpessimistisch eingestellt. Die Kirche wird geschätzt als Fundament der Hochkultur mit kunsthistorischen Beständen. Diese sollen gepflegt und erhalten werden. Für die persönliche Lebensführung hat die Kirche wenig Bedeutung. Die kirchliche Gemeinschaft wird aber für gut befunden, wenn sie den anderen – denen, die es nötig haben – Trost und Sicherheit vermittelt. Die Etablierten findet man nicht in Pfarrgemeinden, aber ab und zu im Umkreis von Klöstern, in konzertanten Gottesdiensten sowie bei Vorträgen prominenter Personen.

Die Modernen Performer

Dieses Milieu beheimatet vor allem jüngere Menschen, die fortschrittsgläubig, erfolgsorientiert und technologiefreudig sind. Religion hat dem eigenen Ich zu dienen und muss entsprechend flexibel sein. Kirchliche Traditionalismen, Formalitäten und Verbindlichkeiten stören. Moderne Performer suchen Grenzerfahrungen. Darum kann man sie ab und zu an kirchlichen Events antreffen, an zeitgenössischen christlichen Kunstausstellungen und Literaturlesungen. Sie beteiligen sich jedoch nicht an kirchlichen  Dauervergemeinschaftungen und greifen nur situativ, punktuell und oft auch virtuell auf die Kirche als Dienstleisterin und Weisheitsquelle zurück. Am besten erreicht man sie über die mystischen Traditionen.

Die Experimentalisten

Wie die Modernen Performer sind die Experimentalisten eher junge Menschen, haben aber durchschnittlich weniger Einkommen und weniger Bildung. Materieller Erfolg und gesellschaftlicher Status werden abgelehnt. Die Kirche ist für dieses Milieu eine mögliche Option neben anderen. Experimentalisten wollen im musikalischen Spektrum zwischen Gregorianik und afrikanischen Trommeln etwas Neues über sich und die Welt sinnlich entdecken. Jesus wird als charismatischer Grenzgänger, der in seiner Zeit unkonventionell handelte, wahrgenommen.

Die Hedonisten

Dieses Milieu junger Menschen hat im Allgemeinen weder Geld, Bildung noch grossen Lebenselan. Körperbetonte Erlebnisangebote der Freizeit- und Sportindustrie haben eine grosse Bedeutung. Die Kirche wird als lustfeindliche Spielverderberin wahrgenommen. Hedonisten sind kirchlich höchstens über körperbetonte Gospel-Pop-Gottesdienst- Events ansprechbar.

Die Konsum- Materialisten

Dieses Milieu ist ähnlich den Hedonisten, aber eher ältere Jahrgänge. Bei ihnen ist das Leben zur Überlebensfrage geworden und der Traum des besonderen Lebens ist ausgeträumt. Die Kirche wird höchstens als diakonische Helferin oder sozial-karitativer Rettungsanker wahrgenommen. Magische Praktiken und Engel sind den Konsum-Materialisten wichtig.

Adrian Müller
http://www.adrianm.ch

 

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Glauben in der Schweiz

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