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Andreas Waltermann bei der Arbeit
Andreas Waltermann bei der Arbeit

Echte Seelsorge schaut auch auf die Lebensbedingungen der Menschen.

Lieber Bruder Andreas, bist du ein Weltverbesserer, einer der ausgezogen ist, um Albanien aufden Kopf zu stellen?

Nein, das bin ich nicht. Ich versuche hier Dinge zu verändern und die Lebenssituationen der Menschen zu verbessern. Das ist mein Auftrag – und es ist dies der Auftrag an alle Christen und Christinnen. Das geht jedoch nur mit kleinen Schritten.

 

Von 1985 bis 1989 warst du Kaplan in Mainz. Nun bist du Pfarrer in einer Kleinstadt sowie in mehreren Bergdörfern. Ist Seelsorger gleich Seelsorger oder gibt es da gewichtige Unterschiede in der pastoralen Arbeit unterschiedlicher Länder?

Die Seelsorge in Deutschland und in Albanien ist sehr verschieden. Hier gibt es keinen Sitzungskatholizismus. Ich habe wenig zu tun mit abendlichen Treffen oder mit Gruppen. Hier ist meine Arbeit viel mehr auf direkten Kontakt zu den Menschen konzentriert.

 

Was ist Seelsorge in Albanien?

Es gibt direkte Begegnungen mit Menschen z.B. bei Hausbesuchen und Haussegnungen. Rund vier Mal im Jahr etwa bringe ich hier in den Bergen gut sechzig Menschen die Krankenkommunion. Andererseits habe ich hier auch ein vielgrösseres Pfarrgebiet. Es hat  einen Durchmesser von sechzig Kilometern – und ist erst noch in teilweise sehr schwer zugänglichen Bergtälern gelegen. Ich bin also viel im Auto unterwegs – der Diesel ist mein grösstes Haushaltsbudget – und oft auch zu Fuss, wenn es keine Strassen gibt. Auch bin ich hier viel mehr mit Katechese (Religionsunterricht) beschäftigt als in Deutschland.

 

Wie viele Stunden Religionsunterricht gibst du?

Von Dienstag bis Freitag bin ich während der Schulzeit nachmittags stets mit Katechese und Sakramentenvorbereitung beschäftigt. Vor allem im Sommer verbinde ich Hausbesuche und Katechese in den verschiedenen Dörfern. Beilangen Anfahrtswegen ist  es gut, verschiedene Aufgaben vor Ortmiteinander zu paaren.

 

Unterscheidet sich ein deutscher von einem albanischen Seelsorger?

Albaner sind manchmal etwas spontaner und auch chaotischer. Seelsorge zu planen ist wohl etwas, was mir als Deutschem mehr entgegenkommt. Doch hat das eher mit meiner Art Kapuziner oder eben Priester zu sein zu tun als mit meinem Deutschsein. Eher würde ich meinen, dass die Menschen mir als Deutschem sehr viel Vertrauen entgegenbringen.

 

Wie steht es mit dem Priestersein?

Die Kirche ist hier – nach Kommunismus und Atheismus – erst «einundzwanzig » Jahre alt. Das Bistum Sapa ist familiär und vermittelt im ersten Eindruck, etwas klerikal zu sein. Priester sind oftmals Respektspersonen. Hinzu kommt, dass ich in Albanien in einer  patriarchal geprägten Gesellschaft lebe. In der Öffentlichkeit treten vor allem die Männer auf. Frauen sind demgegenüber oft gebildeter und kommenauch eher in die Katechese oder in die Gottesdienste. Die Situation ist diesbezüglich noch krasser als in Deutschland.

 

Wie lebst du mit dieser patriarchalen Gesellschaft Albaniens? In der Vorbereitung habe ich mit Befremden gelesen, dass bei wichtigen Besprechungen und Entscheidungen jeweils eine Versammlung der Familienoberhäupter, d.h. Männer, einberufen wird und Frauen dabei keinenZutritt haben.

Eine Erfahrung, die ich hier mache, heisst: Frauen gelten insgesamt weniger. Es ist mein Bemühen, dies hin und wieder zu durchkreuzen. Aber patriarchale Strukturen gibt es nun einmal und man muss sie zunächst einmal respektieren. Man kann nicht mit dem Holzhammer oder der Brechstange vorgehen. Die Kultur Albaniens gilt es verstehen zu lernen und zu akzeptieren. Auch wenn es nicht die eigene Kultur ist. Wer hier arbeiten will, muss sich damit auseinander setzen.

 

Du baust armen Familien Häuser,  mit den Schwestern zusammen verteilt ihr monatlich vierzehn Tonnen Getreide und du hast hier in den Bergen ein interessantes «Schweineprojekt». Siehst du dich auch als Sozialarbeiter?

Nein, als Christ sehe ich meinen Bruderdienst in liturgia, martyria (Verkündigung, Katechese) und diakonia. Diese drei Dimensionen gehen eng zusammen. Das habe ich schon in meiner Zeit von 1992 bis 2000 in Gera, Thüringen, erlebt. Das soziale Feld ist auch ein Feld, Menschen zu gewinnen, sie für denGlauben empfänglich zu machen. Denn wenn die Armut zu festdrückt, dann gibt es gar keinen  Freiraum mehr für den Glauben. Es tut mir persönlich gut, hier zuerleben, dass liturgia, martyria und  diakonia zusammengehören. Dabei geht es um die Frage von Glaubwürdigkeit, auch für die Kirche.

 

Neben dem «Schweineprojekt» hast du auch noch weitere soziale Hilfen. Um einer armen Familie ein Haus zu bauen, brauchst du gegen 10’000 Franken, hast du mir erzählt.

Bei Hausbesuchen sehe ich, wie die Menschen wohnen. Manchmal weisen mich auch andere auf missliche Wohnsituationen hin. Sie raten mir, dass ich irgendwo bei einer Familie einmal vorbeigehen sollte. Manchmal geht es jedoch auch um Existenzhilfen. Das heisst Familien, die vorübergehend in Not geraten sind, zu unterstützen. Oder es geht um Ausbildungshilfen für Schüler und Schülerinnen oder Studierende. Dabei ist die Struktur meiner Pfarreien zu berücksichtigen. Sie besteht aus einer Kleinstadt und dreizehn Dörfern.Je nachdem sieht die soziale Hilfe  ganz anders aus. Das «Schweineprojekt » ist natürlich besondersauf die Dörfer zugeschnitten.

 

Lieber Andreas, du warst zuerst ein Jahr in der Feldregion des Zadrim tätig und nun seit vier Jahren in derBergregion im Kreis Puka. Armen  Menschen sind wir an beiden Orten begegnet. Gibt es Unterschiede zwischen diesen beiden Gebieten?

Die Armen der Bergregion sind ärmer als diejenigen, die in der tiefer gelegenen Ebene leben. Vor allem erlebe ich, wie der Winter das Leben in den Bergen blockiert. Auch gibt es für die Menschen in der Bergregion weniger Entwicklungsperspektiven. Sie sind eheretwas abgehängt. Hilfstransporte heben zwar die Lebensqualität der Menschen, sind leider aber wenignachhaltig. Lieber ist es mir, nachhaltige  Lösungen zu suchen. Es gibt hier noch eine Menge aufzubauen. Insgesamt gesehen ist die albanische Kirche sowohl personell als auch materiell weiterhin vom Ausland abhängig. Natürlich wäre Albanien ein Feld, in dem sich auch Kapuziner aus anderen Ländern Europas zukünftig mehr engagieren könnten.

 

Für dich bedeutet diese Abhängigkeit unter anderem betteln, oder etwas moderner ausgedrückt, Fundraising. Wie geht es dir damit?

Ich würde nicht für mich persönlich betteln. Auch bettle ich nicht direkt. Ich kriegs einfach. Es kommt vor, dass ich in Deutschland eingeladen werde, z.B. mit Bildern eine Präsentation zu gestalten oder einen Vortrag über meine Arbeit zu halten. Das mache ich gerne. Die Leute unterstützen mich dann, weil sie das wollen. Ich bin nicht der Bettler, in dem Sinn. Aber ichstaune, wie viel da zusammenkommt.  Gut, man muss dann den Spendern den Dank auch zeigen. Ich danke jedem mit einem handschriftlichen Brief. Für mich kann ich sagen, als Kapuziner lebe ich hier bescheiden.

 

Vielleicht noch ein zusammenfassendes Schlusswort von dir?

Albanien ist ein spannendes Land im Aufbau. Ich glaube an die Zukunft der Kirche hier bei diesen Menschen. Ich bin gerne hier.

 

Interview: Adrian Müller

http://www.adrianm.ch


 

Das «Schweineprojekt»

Im Frühjahr verteilt Br. Andreas Waltermann ausgesuchten Familien Jungferkel und gibt noch für jedes Tier zwei Säcke Tierfutter mit. Es ist nun die Aufgabe der Menschen, igeninitiative zu entwickeln, die Ferkel zu mästen, später selbstständig zu verkaufen und dann 20% des Erlöses zurückzuzahlen. Im Jahr 2011 wurden in vier Dörfern 117 Ferkel und 234 Sack Getreide verteilt. Nach den guten Erfahrungen im letzten Jahr soll das Projekt 2012 auf sieben Dörfer ausgeweitet werden.