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Zur Botschaft des Sonnengesangs

Das schönste Lied aus Assisi preist den Schöpfer für die ganze Schöpfung. Frühe Handschriften überschreiben es denn auch mit «Loblied der Geschöpfe». In alle Sprachen übersetzt, hundertfach vertont und tausendfach dargestellt, immer wieder umgedichtet, skulpturiert, meditiert und getanzt, fasziniert die altumbrische Komposition heute Menschen aller Kulturen. Nur wenige wissen jedoch, dass der Dichter dieser Zeilen blind war – und dass der Gesang aus langen Wochen tiefer Dunkelheit entstand. Die Gefährten berichten, welches Elend Franziskus im Winter 1224/25 durchlitt:

Zwei Jahre vor seinem Tod kam er schwer krank nach San Damiano. Er lebte da in einer Zelle aus Holz und Matten. Da es noch kalt und eine Fussreise nach Rieti unzumutbar war, verbrachte Franziskus über fünfzig Tage bei den Schwestern vor Assisis Toren. Seine Augen konnten weder am Tage das Sonnenlicht noch nachts den Schein des Feuers ertragen. So hielt der Bruder sich dauernd im Dunkeln der winterlich-kalten Zelle auf. Seine Augenkrankheit bereitete ihm Qualen, sodass er kaum Schlaf fand, was auch seine Malaria und seine Milzkrankheit verschlimmerte.

Doch damit nicht genug: Seine Zelle war von Mäusen bevölkert, die ihm jede Ruhe nahmen. Wie Franziskus eines Nachts wieder schlaflos lag, betete er mit weinendem Herzen: «Gott, komm meiner Schwachheit und Not zu Hilfe.» Da hörte er im Geist eine Stimme sagen: «Bruder, von nun an wirst du in solcher Klarheit leben, als ob du schon in meinem Reich wärest!» Am Morgen erhob sich Franziskus und sagte zu seinen Gefährten: «Gott selber hat sich in seiner Liebe über mich gebeugt und hat mir armem Diener schon in diesem Leben auf Erden die Gewissheit geschenkt, dass ich in seinem Reich leben werde.» Darauf dichtete er zu Gottes Lob und zur Freude der Nächsten ein Lied, das Gott durch seine Geschöpfe preist.

Ein Lied, das sorgfältig komponiert aus der Finsternis entsteht! Wenige, die den Sonnengesang in einer seiner vielen Fassungen singen, würden ihn für die Dichtung eines Menschen halten, der schwer krank aus innerem Dunkel befreit wird.

[bild19052w150r]Drei und vier

Der Poverello gestaltet sein Schöpferlob zu einem poetischen Glaubensbekenntnis aus: Aus eigener Not befreit, greift Franziskus dazu den alttestamentlichen Gesang der drei Jünglinge auf, die im Feuerofen alle Geschöpfe zum Gotteslob aufrufen (Dan 3,52–90). Der Bruder wählt aus der biblischen Vorlage sieben Geschöpfe aus: Sonne, Mond und Sterne stehen «am Himmel» und für den Himmel. Die Dreizahl symbolisiert im Mittelalter die Welt über uns. Sonne, Mond und Sterne: Durch sie sind die Rhythmen von Tag und Nacht, Helles und Dunkles mit besungen.  Vier Geschöpfe stehen sodann für die irdische Welt. Das Mittelalter lehrt seit Isidor von Sevilla, dass diese aus vier Urelementen besteht: Feuer, Wasser, Luft und Erde. Tiere, Pflanzen und Mineralisches sind alle in diesen vier Strophen mit gemeint. Vier sind auch die Windrichtungen, die Jahreszeiten und die menschlichen Charaktere.

Der Welt zugewandt

Sonne, Mond und Sterne – drei Geschöpfe über uns – und vier Urgeschöpfe um uns, die für die irdische Schöpfung stehen, bilden vereint sieben. Sieben ist die Symbolzahl der gesamten Schöpfung, die in Gottes Augen «ganz» und «sehr gut» ist (Gen 1–2). Das Lied wird zum dichten Credo vor dem Hintergrund damaliger Strömungen, die Gottes Lichtwelt von allem Irdischen abgrenzten. So trennten Katharer einen guten Himmel von einer schlechten Erde, schieden eine helle-reine Seele vom bösen-dunklen Leib und spielen das Geistige gegen das Sinnlich-Natürliche aus. Franziskus hat Himmel und Erde verbinden gelernt: Leib und Seele, Geistiges und Sinnliches gehören zusammen. Niemand findet Gott, der sich von seiner, unsrer Welt abwendet.

Paarweise

Die schöne und gute Ganzheit der Schöpfung aus Himmel und Erde gewinnt zusätzliche Farben durch das feinsinnige Spiel zwischen brüderlichen und schwesterlichen Geschöpfen: frate sole – sora luna, frate vento – sor’aqua, frate focu – sora nostra matre terra. Vom selben, gemeinsamen Vater geschaffen, bilden alle Wesen eine einzige kosmische Familie. Franziskus lässt der starken Sonne die sanften Nachtgestirne Mond und Sterne folgen. Mit ihnen sehen sich paarweise Bruder Wind und Schwester Wasser, Bruder Feuer und Schwester-Mutter Erde ins Lied einbezogen.

Universaler Lobgesang

Vergegenwärtigen wir uns den Ort, an dem diese Dichtung entstand: San Damiano – ein kleines Landkirchlein vor den Toren Assisis: Schwestern haben sich da ein kleines Klösterchen eingerichtet, bei dem auch vier Brüder ihre Holzhütten haben. Franziskus wird von ihnen umsorgt. Er kann aus seiner dunklen Zelle hören, wie Schwestern und Brüder im Kirchlein nebenan gemeinsam singen. Geschwisterliches Leben im Kleinen stimmt da ein in den universalen Lobgesang, den eine geschwisterliche Welt auf den Schöpfer singt.

Nach Gefährtenberichten soll Franziskus die Menschenstrophe später zur Versöhnung von Bischof und Bürgermeister hinzugedichtet haben. Wie jedes Geschöpf auf seine eigene Art von Gott erzählt und die Schöpfung bereichert, so kann auch der Mensch seine eigene Stimme in den grossen Chor einbringen. Er tut es frei. Und am schönsten verweist auf den Schöpfer, wer Liebe zeigt: vor allem, wer «von Gottes Liebe getragen» verzeihen kann und Not oder Schwächen erträgt.

«Schwester Tod»

Die Strophe auf den Tod stammt aus den letzten Monaten seines Lebens. Sie nennt «la morte» Schwester und lässt sie Teil des Lobpreises werden. Im Gegensatz zu barocken Totentänzen, die den Tod Furcht erregend als listigen Knochenmann mit schneidender Sense darstellen, erkennt Franziskus vielmehr eine Schwester. Wenn auch kaum jemand sie von sich aus sucht, preist «sora morte» dennoch den Schöpfer, indem sie uns durchs Dunkel in sein ewiges Licht führt: fraulich.

Hat Franziskus sich vor seinem Tod, den er tatsächlich heiter als seine «sorella» willkommen hiess, an jene schwere Krise in San Damiano erinnert? Von Klaras Schwestern sorgsam durch dunkle Wochen begleitet, vertraut er sich für den dunklen Übergang aus unserer irdischen in Gottes ewige Welt erneut schwesterlich-fraulicher Sorge an. «Sora nostra» kennt den Weg in eine neue Schöpfung, der wir als universale Familie entgegengehen und für die unsere jetzige Welt ein vergänglich schöner Vorgeschmack ist.

Niklaus Kuster

Der Kapuziner Niklaus Kuster (1962) schloss in Rom sein Studium der franziskanischen Spiritualität mit dem Doktorat ab. Er ist 1. Regionalrat der Deutschschweizer Kapuziner und lebt im Kloster Olten. Bruder Niklaus hat kirchengeschichtliche Lehraufträge an der Theologischen Hochschule Münster, am Religionspädagogischen Institut (ehemals: Katechetisches Institut/KIL) der Uni Luzern und am theologischen Seminar des Ordens in Venedig.

ite2005/03

Sonnengesang des heiligen Franziskus

ite 2005/3

Licht aus dem Dunkeln
Umgeben von der Schöpfung
Sonnengesang