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Die Armut glaubwürdig leben

Die Ungerechtigkeiten unserer Weltordnung, die Notwendigkeit zur Befreiung der Armen, zur Versöhnung und zur Friedensarbeit, der Dialog mit den anderen grossen Religionen der Welt: Dies alles bedeutet für uns franziskanische Menschen eine Herausforderung, durch die Gott zu uns spricht.

Wie viel Phantasie und wie viel gegenseitige Bestärkung im Glauben und in der franziskanischen Nachfolge wären nötig, um die Zeichen der Zeit zu verstehen, um Antworten aus dem Evangelium zu finden, um das Evangelium bis an die Grenzen der Erde zu tragen?

Der arme und gekreuzigte Jesus

Wenn wir uns fragen, ob wir heute die Armut glaubwürdig leben, ist für mich nicht die Menge an Geld entscheidend, das wir auf den Konten haben. Viel problematischer ist das Beharren auf veralteten Traditionen, die wir als unveräusserlichen „Besitz“ ansehen, der mangelnde Mut zum Auszug aus verkrusteten Strukturen, die nicht mehr Träger von Geist und Leben sind, das „Sich-Aneignen“ von Überzeugungen, die uns hindern, eine wahrhaft internationale, missionarische Bruderschaft auf dem Weg zu sein, welche sich nicht ständig verbal des Charismas des heiligen Franziskus rühmt und sein Armutsideal lobt, sondern versucht, es mit allen Risiken heute neu in unsere komplizierte Welt zu inkarnieren.

Wir müssen zum Ursprung franziskanischer Solidarität vorstossen, zur Erfahrung des armen und gekreuzigten Herrn, seiner Verheissung neuen Lebens für alle, auch zur authentischen Form der franziskanisch-klarianischen Nachfolge. Dann legen wir das beste Fundament und setzen selber ein wichtiges Zeichen für dauerhafte Solidarität und weltweite Versöhnung in den Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Option für die Armen.

Keine oberflächliche Rührung

Die eigentliche Kraftquelle neuer weltweiter Solidarität liegt in uns selber, nämlich in der Gewissheit, dass der Geist des Herrn Leben schafft und dass die Nachfolge Jesu die Augen und die Herzen öffnet für das Mitleiden, für das Mitgehen, für die Liebe und für die gegenseitige Hilfe.

Nach der Enzyklika „Sollicitudo Rei Socialis“ von Papst Johannes Paul II. ist weltweite Solidarität „nicht ein Gefühl vagen Mitleids oder oberflächlicher Rührung wegen der Leiden so vieler Menschen nah und fern. Im Gegenteil, sie ist die feste und beständige Entschlossenheit, sich für das Gemeinwohl einzusetzen, das heisst für das Wohl aller und eines jeden, weil wir für alle verantwortlich sind“ (Nr. 38). Solidarität ist also viel mehr als ein Gefühl. Sie ist der Wille und die intelligente Fähigkeit zum organisierten Handeln zugunsten des Gemeinwohls, mit der Bereitschaft zu langfristigen sozialen Änderungen.

Mit andern Konfessionen

Die wahre Form der Solidarität, welche dem Evangelium und dem Beispiel Jesu entspricht, richtet sich aber „nach aussen“. Sie folgt dem Beispiel der „Entäusserung Jesu“ (vgl. Philipperbrief, 2. Kapitel). Sie sucht nicht das eigene Wohlergehen, sondern sie möchte die Lebens- und Zukunftschancen für alle Menschen und für die ganze Schöpfung mehren. Sie möchte nicht besitzen, sondern mit-teilen.

Es ist für die Bedeutsamkeit unseres franziskanischen Lebensprojektes sehr wichtig, dass es uns gelingt, gemeinsam nach innen und aussen solidarisch Zeugnis von der Hoffnung abzulegen, die in uns ist; nicht nur rhetorisch, sondern in überzeugenden Taten der Liebe, der Versöhnung, der Befreiung der Armen. Nicht nur nach innen, in der eigenen Familie, sondern vor allen nach aussen, mit den Menschen anderer Konfessionen, Religionen, Hautfarben, Kulturen.

Ich glaube, dass neue Formen weltweiter franziskanisch-klarianischer Solidarität zugunsten der Armen längst überfällig sind. Sie werden auch Bestand haben, wenn sie aus tiefen Quellen kommen, d. h. aus der Gewissheit, dass der Herr uns dazu beruft, so wie er damals den zögernden und widerwilligen Franziskus mit dem Aussätzigen konfrontiert hat.

Internationales Netzwerk

Unsere Franziskanische Familie ist ein internationales Netzwerk mit der Möglichkeit, gemeinsame Visionen zu verwirklichen und gemeinsame Ziele zu erreichen. Welches Globalziel haben wir dabei? Man kann die Frage nach der ersten aller franziskanischen Prioritäten doch nur so beantworten: Biblisch gesprochen ist es der Auftrag, „zuerst“ das Reich Gottes zu suchen. Dazu gehört die Erfahrung Gottes, so wie er sich uns in der Schrift, im Gebet, in den Sakramenten und in der Geschichte erschliesst. Dazu gehört von Anfang an aber auch die Heilung der Kranken, die Befreiung der Gefangenen, die Suche nach Frieden und Gerechtigkeit und mehr Leben für alle. In den Worten des Franziskus ist das Wichtigste, was wir zu tun haben, „den Geist des Herrn und sein heiliges Wirken“ zu besitzen.

Ganzheitliche Spiritualität

Dies ist ein klarer Hinweis auf eine „ganzheitliche“ Spiritualität und einen „ganzheitlichen“ Dienst in der Evangelisierung. Der Geist ist ja nicht rein innerlich. Er soll das „Antlitz der Erde erneuern.“ Deshalb ist es auch so bedauerlich, dass wir eine wohl typisch „spiritualistische Versuchung“ bis heute nicht ganz überwunden haben: Mit Berufung auf den Primat des „Geistes“ und des „Geistlichen“ wird argumentiert, die soziale, diakonale und politische Dimension der Nachfolge sei der wirklichen Spiritualität nachgeordnet. Hinter solchen Argumenten sehe ich ein Konzept der Nachfolge und der Spiritualität, die dem heiligen Franziskus nicht entspricht und die auch die Botschaft des Evangeliums vom „Leben für alle in Fülle“ in der heutigen komplexen Welt nicht mehr deutlich machen kann.

Für andere leben

Wir sind berufen, unsere franziskanischen Spiritualität, vor allem die Nachfolge des armen Jesus, im sozialen und politischen Kontext der globalisierten Welt zu leben. Nachfolge ist auch die öffentliche, sichtbare Solidarität der franziskanischen Familie mit den Armen dieser Welt, mit den Menschen, die ihrer Rechte beraubt sind, mit der „Mutter Erde“ und mit der ganzen Schöpfung, die ihrer Würde beraubt werden.

In dem Masse, wie wir uns sichtbar und untereinander solidarisch für das Leben der Welt einsetzen, für Menschenrechte, für die Befreiung der Armen, für den Schuldenerlass an die Armen im Süden, werden wir die Lebenskraft unseres Charismas in der Welt von heute sichtbar machen. Wenn wir sichtbar und öffentlich „für andere“ und nicht für uns selber leben (Geld sammeln, investieren) und uns darin auch der öffentlichen Debatte und Kritik stellen, dann ist Franziskus mit seiner Liebe zum armen Christus auch heute noch in uns lebendig.

Logik der Liebe

Gegen die Logik des Marktes und der Stärke sollten wir die Logik der Liebe, des Respektes, der „compassion“ setzen. Der Herr erwartet Barmherzigkeit, nicht Opfer. Ich möchte noch ein paar Projekte nennen, die nach einer Meinung gemeinsam vor der ganzen Franziskanischen Familie realisiert und getragen werden könnten. Das wichtigste und dringendste Projekt scheint mir die Neukonstituierung und Konsolidierung von „Franciscans International“ zu sein. Eine franziskanische Nichtregierungs-Organisation (NGO), die von allen solidarisch mitgetragen wird, wäre eine glaubwürdige und vernehmliche Stimme von Franziskus und Klara in der Welt von heute.

Hermann Schalück
1991 – 1997 Generalminister der Franziskaner,
seit 1997 Leiter von MISSIO Aachen

Wie ein Regenbogen

Die Franziskanische Familie (Männer- und Frauenorden sowie die Laiengemeinschaft; Anm. d. Red.) ist in den letzten 25 Jahren immer stärker und sichtbarer zusammengewachsen. Die verschiedenen Komponenten der einen Familie haben erfahren, dass niemand das ganze Charisma hat und lebt. Wir sind deshalb berufen, uns gegenseitig zu ergänzen und gemeinsam ein neues Haus zu bauen, in dem es viele Wohnungen gibt: für Männer und Frauen, Kleriker und Laien, Kontemplative in der Klausur und Kontemplative mitten in der Welt. Das franziskanisch-klarianische Erbe soll sich wie ein Regenbogen über die Erde, ja durch die ganze Schöpfung spannen und von dem Gott des Lebens sprechen, der die Welt und die Armen liebt.

Hermann Schalück

ite1999-2

Armut

ite 1999/2

Arm werden, um solidarisch zu sein
Solidarität in den Zeiten der Globalisierung
Armut in Brüderlichkeit