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Die Saat von heute ist das Brot von morgen | presse-bild-poss
Die Saat von heute ist das Brot von morgen | presse-bild-poss

Reines Wasser und gute Erde sind gesucht

Ich bin achtzig Jahre alt und habe Kinder und Enkel. Es ist die Zeit der kurzen Frist und der Bussfrage: Was werde ich meinen Enkeln vermachen? Was habe ich ihnen vorenthalten? Ich frage nicht, was ich ihnen an Hab und Gut hinterlasse, sondern welche Welt unsere Nachkommen von uns erben:

  • Werden sie reines Wasser zum Trinken haben?
  • Haben wir die Böden so überdüngt und zerstört, dass sie krank werden an den Früchten der Erde?
  • Haben wir ihre Landschaften so zersiedelt, dass sie den Trost der Natur nicht mehr kennen?
  • Hinterlassen wir ihnen eine bewohnbare Stätte?

Die Sünde der Vorfahren

«Unsere Vorfahren haben gesündigt. Sie sind nicht mehr, aber wir tragen ihre Schuld», klagt der Prophet Jeremia. Wir sind darauf angewiesen, dass unsere Enkelkinder uns vergeben. Wir stehen in ihrer Schuld. Sie erben unsere Schulden. Das zu wissen, ist die beste Voraussetzung, mit ihnen in Frieden zu leben.

In archaischen Gesellschaften, in denen die Alten ungeschützt und der Gnade der Jungen ausgeliefert waren, haben die ethischen Gebote für sie plädiert. «Ehre deinen Vater und deine Mutter, auf dass du lange lebst auf dem Boden, den der Ewige, dein Gott, dir gibt», heisst es in den Zehn Geboten der hebräischen Bibel.

In unserer Zeit, in der die Zukunft der kommenden Generationen so ungewiss ist, soll es heissen:

Ehre deine Kinder und Kindeskinder,  die der Ewige dir gegeben hat, dass sie eine Erde finden, auf der sie atmen und arbeiten können; auf der sie glücklich sein und Gott anbeten können! Sorge für sie und führe nicht Krieg gegen deine eigenen Nachkommen!

«Es gibt keine fremden Kinder»

Sorge ist eines der schönsten Wörter unserer Sprache und eine der schönsten Fähigkeiten des eigenen Herzens. Die Bibel warnt allerdings vor der Sorge, die sich auf das eigene Wohl beschränkt.

Ein Mensch ist ein Wesen, das die Namen seiner Grosseltern kennt und für seine Enkelkinder sorgt, der also nicht in der Selbstbesorgung erstickt. Diese Sorge aber ist unteilbar. Sie unterscheidet nicht mehr zwischen den eigenen Kindern und den fremden.

Eine Frau hat mir einen Traum erzählt: Sie sah die streunenden Strassenkinder von Bogotà. Sie hungerten, froren, stahlen und boten sich zur Prostitution an. Plötzlich

nahmen diese geschundenen Kinder das Gesicht ihrer eigenen Kinder an. «Da habe ich gewusst, es gibt keine fremden Kinder», sagte sie. Die Sorge, die ihren Namen verdient, überschreitet die Grenzen der natürlichen Verbundenheit.

Jesus ist skeptisch

Wer nur in die eigenen Kinder investiert, die Solidarität aber mit allen anderen vergisst, investiert nur in sich selbst. Es gibt mehr als die eigene Familie. Das lernen wir spätestens an Jesu Skepsis der biologischen Familie gegenüber.

Ein harsches Wort gegen seine eigene Familie ist uns im Markusevangelium überliefert (3,31–35). Jesus wird gemeldet, dass seine Mutter und seine Geschwister ihn suchen. Er antwortet: «Wer ist meine Mutter? Wer sind meine Brüder und Schwestern?» Er zeigt auf die Menschen, die ihm folgen und sagt: «Das ist meine Mutter und das sind meine Geschwister. Wer den Willen Gottes tut, der ist mein Bruder und meine Schwester und meine Mutter.»

Jesus denkt nicht mehr in den Kategorien von Blut, Familie und Clan. Er denkt menschheitlich, wie es die Frau getan hat, die in den verlorenen Strassenkindern die Gesichter ihrer eigenen Kinder gelesen hat. Die Güte verachtet die Vergötzung der Familie, des Landes, der Nation. Sie ist international. Im deutschen Faschismus stand das

Wort «international» unter Verdacht und «Internationalisten» waren Todfeinde. Er war gebannt in die Enge des Eigenen.

Das Leben lehrt die Kinder

Wo wir an den äusseren Lebensmöglichkeiten unserer Nachkommen arbeiten, wo wir dafür sorgen, dass sie eine bewohnbare Welt haben, arbeiten wir zugleich an ihrem inneren Lebensglauben und an ihrer Hoffnung.

Was eine Gesellschaft von ihren Kindern hält, das sagt sie nicht nur in ausdrücklichen Sätzen. Sie sagt es viel folgenreicher und einprägsamer darin, wie viele Spielplätze und wie viele Parkplätze sie vorsieht; wie viel Luft zum Atmen und wie viel geniessbares Wasser sie ihren Kindern lässt und für sie vorsieht.

Wer die Kinder sind, was sie von sich selbst zu halten haben, ob sie dem Leben vertrauen können, das lernen die Kinder nicht zuerst durch Lehren und aus Büchern. Sie lernen es daraus, wie die Welt für sie eingerichtet ist. Der Zustand einer Gesellschaft bildet. Er arbeitet an den inneren Bildern von Menschen, an ihrem Lebensvertrauen, an ihrer Hoffnungs- und Handlungsfähigkeit, an ihrer Lebensfreude. Oft kommen alle philosophischen und religiösen Sätze und Lehren zu spät gegen die gewaltigen Lehren, die das Leben selber sie gelehrt hat.

Der Glaube: Brot für die Kinder

Wir schulden unseren Kindern die Überlieferung unseres Glaubens. Er ist das andere Brot, das sie brauchen und ohne das sie hungern. Auch bei dieser Aufgabe hat meine Generation versagt. Im Buch Deuteronomium (6,20) heisst es: «Wenn dein Kind dich morgen fragt: Was sind das für Weisungen, Gebote und Rechte, die euch unser Gott gegeben hat? Dann sollst du sagen: Wir waren Knechte des Pharao in Ägypten und der Herr führte uns aus Ägypten mit starker Hand.»

Woran sollen die Gefragten ihre Kinder erinnern? Zunächst nicht an Aufgaben und Moralen, sondern an eine grosse Freiheitsgeschichte: Wir waren Knechte und erlangten unsere Freiheit. Wir sind unseren Kindern die Geschichten der Freiheit und der Rettung des Lebens schuldig.

Die Moral folgt dann von selbst. Die Lust an der Freiheit ernährt sich von den Geschichten der Befreiung. Der Mensch ist ein Wesen, das die Freiheitsgeschichten seiner Grosseltern kennt und sie seinen Enkelkindern überliefert. Auch die Saat der Befreiungsgeschichten ist das Brot von morgen.

Fulbert Steffensky

Bearbeitung: Walter Ludin