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Meinungen und Hintergründe

Im letzten Zug zwischen Basel und Luzern: Leicht benebelt vom guten Wein, den ich an einer Hochzeitsfeier getrunken habe, döse ich vor mich hin. Plötzlich ein Schreien. Ein junger Mann schlägt auf einen andern jungen Mann ein. Der alarmierte Kondukteur macht der Rauferei ein Ende. Und der Schläger schreit seine Begründung in das Zugsabteil: Sein Opfer trage Ringelsocken, sei also typisch ein Linker …

Täglich eine Tätlichkeit

Die Szene hat sich vor gut 15 Jahren abgespielt. Ich erinnerte mich an sie, als ich die Aussage eines Psychologen über die Gewaltursachen las: „Es geht meist vor allem um kulturelle Unterschiede. Streit gibt es wegen der Gesinnung, der Kleidung oder der Musik.“ Was vor anderthalb Jahrzehnten selten war, gehört heute fast zur Tages(un)ordnung. Fast jeden Tag gäbe es in Zügen und Bahnhöfen eine Tätlichkeit, melden die Zeitungen. Dazu ein Sprecher der Bundesbahnen: „Die Gewalt bei den SBB steigt analog zum Trend in der Gesellschaft.“

„Generation unter Verdacht“

Vom „Blick“ über den “Tages-Anzeiger“ zur NZZ: Überall finden sich seit einigen Monaten Klagen über die Verrohung der Jugend. Die „NZZ am Sonntag“ aber rät, die richtigen Dimensionen nicht aus den Augen zu verlieren. Unter dem Titel „Eine Generation unter Verdacht“ distanziert sie sich von Panikmache. (29. Juni ’03)

1992 schlugen oder stachen Jugendliche 315 mal zu; zehn Jahre später 787 mal. Trotz diesen Statistiken wehrt sich die „NZZ am Sonntag“ gegen die Behauptung, Jugendliche seien heute mehr als zweimal so gewalttätig wie 1992. Denn: „Die Kriminalstatistik zeigt nicht die Kriminalität, sondern die Aktivität der Polizei – und die Anzeigefreundlichkeit der Bevölkerung.“ Anrufe bei der Polizei seien übrigens auch dank dem Handy zahlreicher geworden. Früher habe man vielleicht bei Handgreiflichkeiten zu vermitteln versucht. Heute schalte man die Polizei ein.

Der Basler Erziehungswissenschafter Wassilis Kassis zur gewachsenen Anzeigefreundlichkeit: „Man geht heute wegen Delikten zur Polizei, die früher noch unter Nachbarn geregelt wurden. Das treibt die Zahlen nach oben und vermittelt den Eindruck, es gebe mehr Gewalt unter Jugendlichen. In Tat und Wahrheit hat sich aber kaum etwas geändert.“

Gemeinsam unausstehlich

Auch der bekannte Zürcher Psychoanalytiker Allan Guggenbühl ist der gleichen Ansicht wie der Basler Wassilis Kassis. Der Spezialist für Jugendgewalt sagt in einem Gespräch mit der Neuen Luzerner Zeitung, er sei „kein Gewalthysteriker“, der meine, die Situation sei immer dramatischer. Wer die Jugend als gewalttätig bezeichne, pauschalisiere wie jemand, der behaupte, alle 40- bis 50-Jährigen hätten ein Alkoholproblem. Betroffen seien vielleicht zwei von 1000 Jugendlichen. (NLZ 28. Juni ’03)

Wer die Presseberichte liest, erfährt, dass Jugendliche vor allem in Gruppen Gewalt anwenden. Wohl nach dem Motto: „Gemeinsam sind wir unausstehlich.“

Mächtig dank Gewalt

Der Sozialarbeiter Mehdi Messadi wuchs in einem Pariser Elendsviertel auf, in einem Milieu, das durch Jugendgewalt berüchtigt ist. Heute befasst er sich in der Westschweiz als Mediator mit gewalttätigen Jugendlichen. Zum Phänomen der Jugendbanden stellt er im „Tages-Anzeiger“ fest: „Jugendliche müssen das Gefühl haben, dass sie in dieser Gesellschaft einen Platz haben. Warum schliessen sich junge Leute Banden an? Weil sie sich sonst nirgends aufgehoben fühlen. Um dabeibleiben zu können, das Gesicht nicht zu verlieren, gehorchen sie deren Gesetzen. Dort gilt dann zum Beispiel, dass einer nur dann respektiert wird, wenn er Geld hat und die richtigen Kleider – und dafür muss er andere Jugendliche erpressen und berauben.“ (TA 19. Juni ’03)

Auf der gleichen Zeitungsseite zielt der Zürcher Jugendanwalt Hansuli Gürber in die gleiche Richtung: „ Wer sich ohnmächtig fühlt und einen andern niederschlagen kann, der fühlt sich in diesem Moment plötzlich mächtig.“

Was tun?

Die Sozialdemokratische Partei schlägt gegen Jugendgewalt eine Präventionskampagne wie jene gegen Aids vor. Die „NZZ am Sonntag“ spottet gegen die SP-Idee: „So ungefähr nach dem Motto: ‚Bitte nicht hauen, liebe Jungen – Euer Bundesrat.’“ In der öffentlichen Diskussion überwiegt die Meinung, harte Strafen würden das Problem lösen. Zwar spricht sich auch der Westschweizer Sozialarbeiter Mehdi Messadi eindeutig für gerechte Strafen aus. Doch er gibt zu bedenken, dass Repression den Staat sehr teuer zu stehen kommt. Weiter fordert er, die Ursachen durch gezielte Vorbeugung anzugehen.

Gleicher Meinung ist der Jugendanwalt Hansuli Zürcher: „Klar ist, dass eine Strafe allein nichts bringt. Denn sie verändert die Ohnmachtssituation des Täters nicht im Geringsten. Sie verändert auch sein Einfühlungsvermögen in andere Menschen nicht. Also müssen wir anfangen, Perspektiven zu erarbeiten, indem wir einem Jugendlichen beispielsweise berufliche Möglichkeiten aufzeigen und ihn auch pushen, etwas zu unternehmen.“

Fachleute sind sich einig, dass individuelle Förderung von Problemjugendlichen das Übel an der Wurzel angreift. Ebenso schlagen sie das Training von Konfliktlösungs-Strategien vor (dazu unseren 2.Online- Artikel von Ueli Wildberger). Eines ist sicher: „Gewalthysterie“ und das masslose Aufbauschen von Jugendgewalt bringen nichts. Doch ebenso wenig lässt sich leugnen, dass Jugendliche gewalttätig werden. Auch wenn es nur einige Hundert sind, sind es einige Hundert zu viel.

Walter Ludin

 

Jugendliche entwaffnen?

WLu. Jugendbanden gehen mit Messer, Ketten oder Baseballschläger aufeinander los. Die Polizei ist machtlos. Denn das Mitführen solcher Gegenstände ist nicht strafbar. Die laufende Revision des Waffengesetzes sieht vor, das Tragen waffenähnlicher Gegenstände zu verbieten. Bis das Gesetz – wenn überhaupt! – in Kraft tritt, werden noch Jahre vergehen. Die SP fordert darum den Bundesrat auf, das Verbot schon heute durch eine Verordnung durchzusetzen. „Die Polizei muss die Jugendlichen entwaffnen können“, unterstreicht SP-Sprecher Jean-Philipp Jeannerat. Der Vorschlag löste einen Parteienstreit aus. FDP und CVP sind dagegen. Die SVP findet die Idee “undemokratisch“. Und: „Bald braucht man für ein Brotmesser den Waffenschein.“

Quelle: Facts 26. 6. ’03

 

Medien und Gewalt

„Gewaltdarstellungen in den Medien fördern Gewalt.“ Diese These scheint über jeden Zweifel erhaben. Ist sie aber nicht! Dass die Zusammenhänge eher komplex sind, zeigt Matthias Loretan in seinem fundierten Artikel „Zerstreuung als symbolische Gewalt“, der in einem Medienheft des Katholischen Mediendienstes, Bederstrasse 76, 8002 Zürich, erschienen ist.

 

ite2003/05

Jugend und Gewalt

ite 2003/5

Wurden die Jugendlichen gwalttätiger?
Welche Jugend? Welche Gewalt?
Gewaltfrei Konflikte austragen