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Von einer Protestbewegung zum Mönchstum

Im Laufe der Kirchengeschichte gab es hervorragende Ordensleute, die prophetisch wirkten. Einige von ihnen verehren wir als Heilige. In den meisten Institutionen aber ging die prophetische Dimension des Ordenslebens leider schnell vergessen. Auch Klöster suchten Anteil an den Privilegien der Kirche. So war die Klostergemeinschaft von Einsiedeln im 15. Jh. in geistlicher Hinsicht in einem desolaten Zustand. Die drei Mönche waren an einem Wachstum der Gemeinschaft nicht interessiert. So konnten sie mehr vom Besitz profitieren. Darum liessen sie das Privileg, nur Hochadelige aufzunehmen, 1463 erfolgreich vom Papst bestätigen.

Von uns war in der grossen Krise der Kirche nichts zu erwarten, obwohl gerade wir dazu berufen gewesen wären. Wir setzten vor allem darauf, dass alles so bleibt, wie es ist.

Heute im Blick

Und heute? Die Kirche ist in einer Sackgasse – übrigens schon längere Zeit. Ob wir Ordensleute im Jahr des Ordenslebens neu zur Provokation in der Kirche werden? Das Denken vieler Getaufter ist immer noch geprägt von der konstantinischen Wende. Dem Systemdenken, das sich mit Erhalt beschäftigt, begegnen wir in Predigten, Artikeln, am Stammtisch und in Klöstern. Machtverlust wird als Glaubensverlust wahrgenommen. Die Zahl der Praktizierenden (damit sind fälschlicherweise immer noch die sonntäglichen Kirchenbesucher gemeint) wird für die Zahl der Gläubigen gehalten. Die Quantität wird für Qualität gehalten. So sagen Ordensleute beim Vorstellen ihrer Klostergemeinschaft, dass wir einmal so viele waren und heute «nur noch» so wenige. Selbstverständlich: Wir waren zahlreich. Wir waren mächtig. Aber waren wir prophetisch?

Auch heute noch werden wir ins System integriert.Wir übernehmen Aushilfen in Pfarreien, aber nicht als Ordensleute. Es könnte auch ein anderer kommen. Hauptsache, das System läuft weiter wie bisher. Gleichzeitig bricht vieles zusammen – auch in unseren Ge- meinschaften.

Wie reagieren wir? «Die Kirche hat schon viele Krisen überlebt.» – «Schuld sind die anderen.» – «Wir denken in Jahrhunderten.» Wenn die heiligen Ordensgründer so gedacht hätten … Wer in eine Sackgasse geraten ist, tut gut daran, nicht einfach zu warten, bis sich die ganze Umgebung verändert. Gefordert ist Umkehr.

Mehr als die Bereitschaft zur Umkehr breitet sich die Resignation aus, auch bei Ordensleuten. Im Blick darauf habe ich in den vergangenen Jahren verschiedene Publikationen veröffentlicht. Im Grusswort von Generalvikar Martin Kopp zu «Miteinander die Glut unter der Asche entdecken» heisst es – fünf Monate vor Papst Franziskus! – geradezu prophetisch:

«Das ist es wohl, was wir meinen, wenn wir von Neuevangelisierung reden: denen, die mit uns leben und oft so fern scheinen, das Evangelium eröffnen durch unser eigenes Leben, nennen wir es ruhig Zeugnis, sodass wir die Frohe Botschaft mit ihnen teilen. Und mitten im Teilen werden wir uns selber vom Evangelium neu formen lassen! Die Frage schliesst sich da freilich ganz nahe an: Leben wir nah genug bei den Menschen?

Leben und Evangelium teilen, kann › nur durch Nähe geschehen. So wollte es Franziskus im Mittelalter: in der Nähe zum Armen die Freude am Herrn finden, und so nicht mehr und nicht weniger tun als das Evangelium leben. Und ähnlich war es schon viel früher beim Vater auch der Einsiedler Mönche: bei Benedikt, der mitten in den Umbrüchen der Zeit den Weg des Evangeliums erschliessen wollte. Die Initiative heute bleibt die gleiche. Disziplin aber,neu eingeschärft, und Abgrenzungen, um einen verbliebenen Rest vermeintlich gesund zu erhalten, sind unbeholfen, wahrscheinlich kontraproduktiv. Das fleischgewordene Wort Gottes wirkt anders.»

Das Systemdenken in der Kirche ist nicht Glaube, sondern Zeitgeist aus vergangenen Jahrhunderten. Peinlich ist es,wenn gegen den modernen Zeitgeist gewettert wird, um am Zeitgeist früherer Jahrhunderte kleben zu bleiben.

Papst Franziskus im Blick

Seit März 2013 versucht Papst Franziskus uns vom Systemdenken wegzubringen. Nicht der Zeitgeist soll uns beunruhigen, sondern der Heilige Geist. Allerdings ist Franzis- kus dabei nach wie vor ein einsamer Rufer in der Wüste. In Pfarreien, Diözesen und Klostergemeinschaften ist davon noch wenig zu spüren.

Im Namen der Deutschschweizer Ordinarienkonferenz wird folgende Diagnose der Kirche in unserem Land gemacht: «Wer ganz zum christlichen Glauben steht, … der gehört in unserem Land einer Minderheit an. Und zur Diagnose gehört auch, dass man nicht einfach Stilfragen kirchlicher Verkündigung verantwortlich machen kann dafür, dass inzwischen für über zwei Drittel der Bevölkerung die Einmischung von Religionsgemeinschaften in ihre Lebensentscheidungen als unerwünscht gilt. Wenn wir uns fragen, wie wirheute als Kirche handeln sollen, muss diese doppelte Diagnose am Anfang stehen. Die Therapie richtet  sich dann  nach dieser Diagnose.»

So, wie ich Papst Franziskus verstehe, würde er meine einfachere, aber herausforderndere Diagnose teilen und die darauf folgende Therapie:Wir leben zusammen mit Menschen, die Geschenk Gottes sind, die sich durstig nach der Fülle des Lebens sehnen und dabei gelegentlich auch Irrwege einschlagen. Durch sie fordert Gott uns heraus. Ihnen dürfen wir Nächste werden und das mit ihnen teilen, was uns trägt.

Für diesen neuen Ansatz setzt Papst Franziskus auf die Ordensleute. «In der Kirche sind Ordensleute besonders berufen, Propheten zu sein … Wir denken an das, was so viele grosse heilige Mönche, Ordensfrauen und –männer seit Abt Antonius getan haben. Prophet zu sein, bedeutet manchmal laut zu sein – ich weiss nicht, wie ich mich ausdrücken soll. Die Prophetie macht Lärm, Krach – manche meinen ‹Zirkus›. Aber in Wirklichkeit ist ihr Charisma, Sauerteig zu sein: Die Prophetie verkündet den Geist des Evangeliums.»

Eine Provokation im Blick

Was heisst prophetisch sein? Eigentlich viel weniger, als man vermutet, und viel mehr, als man erwartet. Prophetinnen und Propheten verkünden durch Wort und Leben, was Gott heute sagen will.

Und das überrascht immer. Denn ein Gott, der nicht überrascht, ist ein Götze.

Wir sind nicht dazu da, ein System oder eine Institution aufrecht zu erhalten, sondern glaubwürdig den lebendigen Gott zu suchen und zu verkünden. Ob das gelingt oder nicht, hängt nicht von der Grösse der Gemeinschaft ab oder vom Alter der Mitglieder. Wir sind dazu berufen, das Charisma der Gründerpersönlichkeit heute als Einzelne und als Gemeinschaft genauso mutig zu leben wie in der Zeit, von der wir anderen gerne erzählen.

Wir haben ein grossartiges Privileg: jeden Tag feste Zeiten fürs Gebet und für die Lesung; eine Gemeinschaft, die uns trägt und erträgt; Menschen, die sich uns anvertrauen. Gehen wir tatsächlich mit offenen Augen und aufgeschreckten Ohren durch den Alltag, werden wir reich beschenkt.

So ist auch das Buch «Heute im Blick. Provokationen für eine Kirche, die mit den Menschen geht» entstanden. Würde ein solches Buch zum Bestseller, wenn die Diagnose stimmen würde: Es sind nur noch wenige Menschen, die richtig glauben; zwei Drittel der Bevölkerung erwarten von der Kirche nichts? Kirche ist mehr – Gott sei Dank! Das dürfen wir bezeugen und so Menschen helfen, das Geschenk des Glaubens zu entdecken. Ein solches Leben ist Pro-Vokation.

Wir sind besonders berufen, Brandstifter des Glaubens zu sein. Aschenhüter sind bei uns fehl am Platz. Wir sind berufen, prophetische Stimme zu sein. Wir dürfen hoffen, dass Gott immer wieder junge Menschen in unsere Gemeinschaften sendet, die sich von Gott überraschen lassen und heute und morgen Brandstifter des Glaubens sind.

Martin Werlen


Unser Autor

WLu. Der Walliser Martin Werlen (1962) war von 2001 bis 2013 Abt des Klosters Einsiedeln. Er lebt dort weiterhin als «Pater Martin». Aufsehen erregte 2012 seine 40-seitige Schrift zur Kirchenreform mit dem Titel «Miteinander die Glut unter der Asche entdecken». Letztes Jahr veröffentlichte er seinen Beststeller «Heute im Blick. Provokationen für eine Kirche, die mit den Menschen geht».