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Sakramente trennen, Rituale verbinden

So erfahren es viele wache lebendige und gspürige Männer und Frauen: Bei «Sakrament» denken sie an vorgeschriebene Elemente, ein paar Tropfen Wasser, ein fremdländisches Salböl, eine kaum mehr an Brot erinnernde weisse Scheibe. Und sie erinnern sich an strikt vorgeschriebene und nicht zu verändernde Wortformeln etwa der Wandlung, die zwar genau auszusprechen aber niemandem zugesprochen sind. Und sie sehen sich vor einem streng eingegrenzten Gelände, das nur von wenigen «Geweihten» betreten werden darf.

Wiedergefundene Rituale

Kein Wunder, dass in freien Religionsgemeinschaften, in spontanen Bewegungen und in unhierarchischen Feiern und Gottesdiensten (etwa der Frauen) die ganze Ordnung und Reglementierung der Sakramente als fremd und unhandlich beiseite gelassen werden. Dagegen greifen sie auf Rituale früherer, älterer, oft vergessener und unterdrückter Kulturen zurück, auf Feiern und Formen, die dem Wachsen der Erde und der Elemente, den Kreisläufen der Natur und der eigenen körperlichen Vitalität näher liegen und daraus entspringen. «Wir haben ein Ritual gefunden, mehr wiedergefunden als neu erfunden!» Das Ritual wird von allen gemeinsam, ohne Privilegien und ohne Ausschliesslichkeit gestaltet und verstanden: Sie schöpfen Wasser aus einer Waldquelle, sie entzünden Feuer in der Mondnacht, sie umarmen einander und küssen sich ohne Berührungsscheu aber mit Berührungslust, sie singen Lieder des Lebens und der Freiheit.

So weit ist es gekommen, so weit sind die kirchlichen Sakramente und die naturnahen Rituale auseinander gedriftet. Sie waren doch ursprünglich einander so nahe verwandt. Ob sie aus dem Aus- und Gegeneinander sich wieder in ein befreiendes und fruchtbares Zueinander entwickeln können? Dazu müssen beide, vor allem aber die sich ihrer Sakramente rühmende katholische Kirche, wohl anders anfangen und anders weiterfahren.

Jesus unoriginell?

«Jesus hat kein Sakrament eingesetzt!»: Damit hat seinerzeit Herbert Haag die Kirchenleitung aufgescheucht. Er hatte aber mehr, und noch ganz anders, recht als er selber meinte. Denn Haag hielt die Sakramente für eine spätere nachjesuanische Entwicklung und Ordnung der Kirche. Der Satz stimmt aber noch ganz anders: Die Sakramente gab es schon vor der Zeit Jesu. Sie lassen sich gar nicht eigens erfinden oder einsetzen. Sie waren immer schon da! Früher gewachsen in den Ritualen des Volkes Israel, in seinen Riten und Bräuchen, in der erinnernden und vergegenwärtigenden Feier des Auszugs, im Pessach-Mahl, im Bundeszeichen der Beschneidung, in den Klageliedern über die Toten, in den Segensgebärden und -sprüchen der Patriarchen.

Die Wurzeln dieser Rituale reichen aber noch tiefer und weiter: in die Kulturen der nomadisierenden Hirten, der sesshaften Ackerbauern und Weingärtner. Es gab und gibt auch grenzüberschreitende und unterwachsende und unterwandernde Verbindungen der Erd- und Kulturschichten mit den benachbarten Völkern und Kulturen. Kein einziges der kirchlichen Sakramente, also auch keine der Zeichenhandlungen Jesu mit seinen Jüngern und Jüngerinnen, fiel wie ein Meteorit vom Himmel. Sie wurden zusammengetragen aus einem gemeinsamen vielschichtigen kulturellen Humus. Nicht anders war es, als Paulus und die andern Missionare die Grenzen der jüdischen Synagogen zu den Heiden überschritten.

Augustinus «definiert»

In lateinischer Prägnanz hat Augustinus das Sakrament «definiert». Zum allgemein verständlichen Element, zum Brot und zum Wasser, zur Waschung und zum Mahl, tritt das deutende Wort: So entstand das Sakrament. Wohl brachten die Glaubensboten eine eigene Botschaft. Sie verkündeten die anbrechende Nähe Gottes und seines Reiches, so wie es Jesus mit den Gleichnissen und den zeichenhaften Heilungen gewirkt hatte. Sie trugen das Evangelium von Gottes rettender Nähe und von seinem radikalen Anspruch auch in die veränderten Lebensverhältnisse der Städte und des Handels. Sie eröffneten allen Menschen, ob Sklaven oder Freie, ob römische Adelige oder zugewanderte Arbeiter, die neue sohnschaftliche Gottesbeziehung Jesu und so auch ein geschwisterliches Miteinander. Sie umspannten das menschliche Leben mit dem neuen Ursprung im solidarischen Tod und in der solidarisierenden Auferstehung Jesu zum neuen Leben hier und jetzt.

Sprache der Dinge

Aber in dieser Weitergabe verband sich jetzt die Sprache der Verkündigung mit der nicht weniger deutlichen und ganzheitlichen Sprache der natürlichen Dinge des täglichen Lebens, mit Brot und Wein, mit Wasser und Waschung, mit Handauflegung und mit Salbung. Diese Dinge der Natur und diese Gebärden des menschlichen Miteinanders brachten ihre eigene Sprache mit ein. Sie verbanden und verstärkten so die Sprache der Worte, der Verkündigung und des Bekenntnisses.

Diese Sprache in einem vollern Sinne mussten die Leute nicht erst noch lernen. Hier galt es für die Missionare, von den angetroffenen Menschen und den umgebenden Kulturen anzueignen und zu lernen.

Dies war ihre gemeinsame Arbeit und ihre gemeinsame Frucht: Christliches Glauben und Beten, Feiern und Begehen und Begleiten in den Lebensphasen («rites de passage») vollziehen sich nie nur in bloss gesprochenen oder geschriebenen Wörtern. Was von der Natur und von den menschlichen Gebärden an eigener «Sprache» angeboten wird, wird hier aufgegriffen.

So wird Glauben und Beten vielsprachig (polyglott) und vielstimmig (polyphon). So verbinden sich die rituellen Traditionen mit der eigenen christlichen Botschaft, die ewigen Kreisläufe mit der einmaligen Geschichte Jesu in seinem Tod und seiner Auferstehung in einer reichen Orchestrierung. Kein Wunder, dass für die Christen der ersten Jahrhunderte solche Zeichen voller Kraft und Wirkung, heilsmächtig waren; nicht nur bedeutende, sondern bewirkende Zeichen: Sakramente.

Wie weiter?

So fing es an und so sollte es wieder neu ein- und fortgesetzt werden: in gleicher Offenheit für alle «Worte», die verborgen in den Dingen der Natur und des täglichen Gebrauchs, in den Kostbarkeiten des Festes und in den viel verständlicheren Gebärden der Menschen verborgen und doch bereits vernehmbar sind – für Menschen mit Musikgehör, mit Phantasie und mit gestalterischer Kreativität.

Die christliche Verkündigung darf und soll ihre gesprochene Botschaft komponieren mit den Klängen und Schwingungen in der seelischen Tiefe des einzelnen Menschen, in der gemeinsamen Imagination und Bilderwelt der Kulturen, in der leibhaften, sinnenhaften und sinnlichen Körper- und Gebärdensprache der Menschen.

Diese warten nur darauf, das Textbuch («libretto») der christlichen Botschaft vielstimmig und vielsaitig zu orchestrieren. Dafür haben alle Christen, Männer und Frauen und Kinder, geweihte und nichtgeweihte Seelsorger und Seelsorgerinnen, aber auch alle Ortsgemeinden des Volkes Gottes mit ihrer eigenen Musikalität beizutragen und zusammenzuspielen.

Ob so die Sakramente und die Rituale wieder zusammenfinden und zusammenklingen, auch in den Kirchen der Ökumene? Es ist zu versuchen und – zu wagen.

Dietrich Wiederkehr

Unser Autor

Der Kapuziner Dietrich Wiederkehr (1933) von Rudolfstetten AG dozierte Fundamentaltheologie und/oder Dogmatische Theologie an den Universitäten Freiburg i. Ue und Luzern sowie am ordenseigenen Theologiestudium in Solothurn. Er wohnt in Luzern und ist in Zürich tätig als priesterlicher Mitarbeiter der Pfarrei St. Martin. Seine neueste Publikation: «Für einen befreienden Glauben. Drei Theologen als Wegbereiter».

 

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Christentum

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Christentum - ein Steckbrief
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