courtesy

Besuchen Sie unseren neuen Shop. Sie finden ein vielfältiges Kartensortiment und gesegenete Kerzen. Wir freuen uns auf Sie. Herzlichen Dank für Ihre Bestellung!

Beim Aufbau des Gesundheitssystems im ländlichen Tansania spielten auch die Schweizer Kapuziner und ihre Missionsärzte eine entscheidende Rolle.

Alois und Maria Gaberthuler 1936 ©Missionsprokura Olten

Bei meinen Recherchen zum Jubiläumsheft ite «100 Jahre Kapuziner in Tansania» stiess ich auf den ersten Schweizer Missionsarzt im Dienste der Kapuziner, Alois Gabathuler-Leins. Er arbeitete mit seiner Frau Maria von 1938-1943 in Mahenge, bis er von Bischof Edgar Maranta wegen andauernder Auseinandersetzungen entlassen wurde. Alois Gabathuler…. das war doch in den 1950er- und 1960er-Jahren der Hausarzt meiner Familie in Kriens? Und er war es, der im Februar 1956 den Ausbruch einer Typhus-Epidemie im St. Anna Luzern als erster diagnostizierte …

Rollen wir die Geschichte von hinten auf. Anfang Februar 1956 im Spital St. Anna in Luzern: Meine Mutter hatte mich eben geboren, da brach im Gebärsaal unter Ärzten und Krankenschwestern eine grosse Unruhe aus: Neugeborene wie ihre Mütter und auch das medizinische Personal zeigten Symptome wie hohes Fieber, Benommenheit, Husten und belegte Zunge. Niemand wusste genau Bescheid. Da entschied sich meine Mutter, unseren Hausarzt, ins St. Anna zu rufen, denn sie wusste von den tropenmedizinischen Kenntnissen von Alois Gabathuler. Alois und Maria Gabathuler führten seit 1947 an der Schachenstrasse in Kriens eine Hausarztpraxis und waren in der Gemeinde hochgeachtet. Er galt aber als etwas ruppig und herrisch. Meine Mutter erzählte mir die Geschichte später so: «Dr. Gabathuler kam in den Neugeborenen-Saal im St. Anna, hielt seine Nase in die Luft und sagte deutlich: Hier riecht es nach Thypus.»

Hochansteckend und lebensgefährlich
Typus ist eine hochansteckende und lebensgefährliche Infektionskrankheit, an der immer noch jährlich weltweit um die 200’000 Personen sterben, vor allem in den Tropen. Das Spitalpersonal des St. Anna war in Aufruhr, doch die Ursache des Typhus-Ausbruchs war bald ausgemacht: Eine werdende Mutter aus dem Balkan hatte die Krankheit eingeschleppt. In der Folge starben im St. Anna einige Babys, Mütter aber auch Krankenschwestern., Ich erhielt in der Spitalkapelle des St. Anna die Nottaufe und wurde für 3 Monate im Kinderspital Zürich isoliert und von einer Amme gestillt.

Tansania in den 1930er-Jahren:
Von Beginn weg (1921) engagierten sich Kapuziner und Baldegger Schwestern in ihrem Missionsgebiet im damaligen Tanganjika neben der Seelsorge und der Ausbildung insbesondere auch im Gesundheitsbereich. Sie gründeten Schulen und Landspitäler, sogenannte Dispensaries, zum Beispiel in Sofi oder Ifakara. Sie kümmerten sich um die Professionalisierung der dort arbeitenden «Dressers», eine Art Barfussärzte und der Krankenschwestern und sie versuchten mit ihren medizinischen Einrichtungen das schwache, koloniale Gesundheitssystem mit einer «modernen Medizin» zu übertreffen. In dieser Hinsicht, die wohl wichtigste Figur der Missionsmedizin in Tansania ist bis heute Schwester Arnolda (1902-1963), die 1928 in Ifakara angetreten war, die Mutterschaft und Geburtshilfe nach europäischer Art zu «modernisieren». Sie brachte die Frauen auf dem Land dazu, statt zu Hause im Spital zu entbinden (und sie zog sich damit den Zorn der traditionellen Hebammen zu), was mit der Zeit die Geburtensterblichkeit massiv reduzierte. Bis heute wird Schwester Arnolda in Tansania für ihr Wirken als «mother of the people of Ulanga» hoch verehrt (siehe auch Beitrag in ite 4/2021). Ihr grosses, medizinisches und geburtshelferisches Wissen erwarb sich die in Baldegg ausgebildete Krankenschwester aber vor allem in der Praxis.

Schon in den 1920er-Jahren hatten die Kapuziner auch in Tanganjika erkannt, dass das System der sogenannten «Priesterärzte» (also Geistliche mit einer medizinischen Zusatzausbildung) keine Zukunft hatte. Man setzte jetzt zunehmend – mit Hilfe von missionsmedizinischen Organisationen wie etwa der Schweizerische Katholische Verein für Missionsärztliche Fürsorge (1926 gegründet) – auf akademisch geschulte Ärzte katholischen Glaubens. Auch der Kapuziner Edgar Maranta, seit 1930 apostolischer Vikar von Daressalam und von Beginn weg sehr engagiert im Aufbau neuer Missionsstationen, sah das so. Bereits Ende 1933 verpflichtete Bischof Maranta das angehende Ärztepaar Alois und Maria Gabathuler-Leins als erste Missionsärzte überhaupt für einen Missionseinsatz in Tanganjika. Doch verschiedene Gründe führten dazu, dass sich deren Einsatz immer wieder hinauszögerte.

Trotzdem begann der angehende Missionsarzt Gabathuler (geboren 1905), der als resolute, aufbrausende und von sich selbst überzeugte Person galt, bereits lange vor seinem Einsatz sich in die Strategie der Missionsmedizin der Kapuziner einzumischen. Er forderte eine Professionalisierung der Missionsspitäler, insbesondere des einheimischen Spitalpersonals und der religiösen Schwestern. Er wollte lieber in Kwiro statt in Kipatimu in den Einsatz gehen. Es gab Diskussionen um seinen Lohn; um die Frage, ob seine Frau, eine Deutsche, als Ärztin oder Krankenschwester angestellt werden solle und um die finanzielle Entschädigung für die Reintegration in Europa nach dem geplanten 10-jährigen Missionseinsatz. Die Kapuziner ihrerseits drängten den Arzt, endlich seine Ausbildung und die nötigen Zusatzausbildungen in Tropenmedizin, abzuschliessen. Dann verlangte Gabathuler auch die besten medizinischen Geräte, die auf dem Markt waren, für seinen geplanten Einsatzort. Die Kapuziner aber sorgten sich um ihre knappen Mittel. Alois Gabathuler wurde zunehmend ungeduldig: «Es nützt grad nichts, denen klarzumachen, dass es keinen Wert hat, schlechtes Material zu kaufen. Wie denken die überhaupt, womit wir die Praxis auch nur in den Anfängen bestreiten sollen? Etwa nur mit Hörrohr und Reflexhammer? Klosterleute haben doch gar keinen Begriff von Sachen, die ausser ihrer Klostermauer liegen. Bis der Vertrag bereinigt ist und abgeschlossen, wird es auch noch manchen Kampf absetzen.»

Alois Gabathuler behalf sich schliesslich selbst und sammelte – dank diverser Schweizer und Deutscher Spender – eine grosse Menge an Medizinmaterial. Schliesslich reiste das Ärztepaar im Juni 1938 mit 18 grossen Kisten nach Daressalam, wo sie jetzt für einen Einsatz im Spital von Mahenge im Ulanga-Distrikt in der Region Morogoro vorgesehen waren. Die Kapuziner wollten 1939 von den Britischen Kolonialbehörden das heruntergekommene Spital übernehmen. Doch auch in Tanganjika gingen die Auseinandersetzungen zwischen Gabathuler und den Kapuzinern weiter. Alois Gabathuler mischte sich in die Übergabeverhandlungen zwischen Bischof Maranta und den Kolonialbehörden ein – die Briten befürchteten versteckte katholische Mission im Spital und eine Bevorzugung der katholischen Patienten – und forderte schliesslich den Bau eines topmodernen, neuen Spitals. Nach seiner Ankunft in Mahenge kam das Ärztepaar in einen Konflikt mit Pater Gerhard Fässler, der dort die Missionsschule leitete. Fässler wollte, dass sich das Ärztepaar vorwiegend in der Schule engagierten und ihre medizinischen Dienste darum herum organisierten, die Gabathulers aber sahen ihre Aufgabe nicht darin, die Missionsstruktur zu unterstützen, sondern durch ihre «heroische Medizin von wunderbarer Kraft Afrikaner zum Glauben zu konvertieren.»

So startete das Ärztepaar Ende 1938 ihre Arbeit in einer kleinen Spitalabteilung in der Missionsschule von Mahenge und mussten noch ein Jahr wegen Problemen mit Bewilligungen warten, bis sie ihre eigentliche medizinische Tätigkeit im Missionsspital aufnehmen konnten. Seine Frustration über das lange Warten äusserte Alois Gabathuler in einem persönlichen Brief an den Direktor des Missionsärztlichen Instituts von Würzburg, der Bischof Edgar Maranta später in die Hände geriet. Maranta war erbost darüber, dass Gabathuler die Missionstätigkeit eher zerstöre als aufbauen helfe: «Sie sind doch hierhergekommen, um uns zu helfen; nicht um alles mit Stumpf und Stiel in den Boden hineinzustampfen … wie Sie über die wehrlose Klosterfrau herfahren. Ich gebe ohne weiteres zu, dass die betreffende Krankenschwester nicht die Beste ist, die wir haben. Sie hätten aber in Ihrem Briefe erwähnen dürfen, dass neben dieser Schwester noch eine zweite, und zwar gute, Krankenschwester Ihnen zur Verfügung stand und das gegen Ende des Jahres, oder anfangs 1939, noch eine dritte Krankenschwester nach Kwiro geschickt wurde, speziell als Hilfe für den Herrn Missionsarzt.»

Die Spannungen zwischen dem Bischof und Gabathuler stiegen weiter an und das Ärztepaar überlegte sich 1939 sogar, vorzeitig in die Schweiz zurückzukehren. Schliesslich beruhigte sich die Situation wieder und am 18. August 1939, kurz vor Kriegsbeginn, übernahmen sie das Spital. Alois Gabathuler operierte, war in der Weiterbildung von Barfussärzten tätig, empfing Patienten. Seine Frau führte die Polyklinik und praktizierte als Zahnärztin.

Immer noch ging es dem Arzt um Professionalisierung der Medizin: Er wollte die Angestellten des Spitals intensiver schulen und unfähige Angestellte entlassen, auch «Dressers». Gabathuler wollte zwar einen Teil der medizinischen Aufgaben auch Baldegger Schwestern übergeben, aber er stellte hohe fachliche Ansprüche, der – so seine Sicht – gewisse ältere Schwestern nicht genügten. Das führte erneut zu Spannungen mit Bischof Edgar Maranta, dem die Veränderungen im Spital zu schnell vorangingen. So schrieb er an Alois Gabathuler: «Es ist mir recht, wenn Sie auf den einzelnen Stationen, besonders wo Krankenschwestern sind, im medizinischen Betrieb etwas Ordnung einführen. Ich möchte Sie aber bitten langsam und vorsichtig vorzugehen. Diese Schwestern haben seit Jahren auf ihrem Posten gearbeitet, glauben auch mit ihrer Methode bedeutenden Erfolg gehabt zu haben und würden es sehr empfinden, wenn man allzu forsch dagegen vorgehen sollte. Wenn man die Berufsfreude und Arbeitslust zerstört, verliert man mehr als durch Sparmassnahmen eingebracht wird.»

Ein weiterer der unzähligen Konfliktpunkte war die kritische Haltung von Alois Gabathuler gegenüber den britischen Kolonialbehörden und seine angeblichen Sympathien für den Nationalsozialismus. So schaukelten sich die Spannungen während der ganzen Zeit des Ärztepaares in Mahenge immer weiter hoch und es kam schliesslich im Juni 1943 zu einem abrupten Ende der Zusammenarbeit der Diözese mit dem Ärztepaar. Es ging dabei nicht einmal um medizinische Fragen, sondern um Meinungsverschiedenheiten, ob die Mission die britischen Kolonialherren bei der Betreuung italienischer Internierter im nahen Kwiro unterstützen solle. Es schien, so schreibt Marcel Dreier in seiner Dissertation, als habe Bischof Maranta diesen Moment genutzt, um sich von den beiden Ärzten zu trennen, einer von ihnen, der erste Missionsarzt überhaupt in einem katholischen Schweizer Missionsgebiet (S. 230).

Wie Marcel Dreier weiter plausibel ausführt, stecken hinter dieser Auseinandersetzung zwischen dem Arzt und dem Missionsbischof nicht einfach persönliche Gründe, sprich zwei selbstbewusste Charaktere, die einfach nicht miteinander auskamen. Es ging vielmehr um Reibungen zwischen medizinischen und missionskirchlichen Prioritäten, Konflikte um Säkularisierung, Missionierung und medizinische Professionalisierung. Nach seiner Entlassung arbeitete Alois Gabathuler noch bis 1946 als eine Art «Regierungsarzt» für die Briten, bevor die beiden mit ihrer in Tanganjika geborenen Tochter in die Schweiz zurückkehrten. 1946 versuchte Alois Gabathuler in einer Petition noch den Vatikan dazu zu bringen, juristisch gegen Edgar Maranta vorzugehen, doch das Verfahren verlor sich. Nach einigen Stellvertretungen eröffnete das Ärztepaar schliesslich 1950 an der Schachenstrasse 2 in Kriens, einem Vorort von Luzern, eine Ärztepraxis, und die beiden wurden zu Hausärzten meiner Grosseltern Pagani-Bernet und meiner Eltern Baumgartner-Pagani …

Luzern, im Februar 1956
Die unrühmliche Geschichte mit der Typhus-Epidemie vom Februar 1956 im St. Anna kam nie an die breitere Öffentlichkeit. Dass sie stimmt, weiss ich aus zwei Quellen: Von einem Bekannten namens Marco V., der zwei Tage später als ich im St. Anna geboren wurde und dort ebenfalls schwer an Typhus erkrankte, sowie von einer über 90-jährigen St. Anna-Schwester, die mir bei einem Spitalbesuch vor etwa 10 Jahren den Sachverhalt bestätigte.

Die Hausarztpraxis von Alois & Maria Gabathuler-Leins lief übrigens sehr gut. Für eine Konsultation musste man jeweils stundenlang im Wartezimmer ausharren. Alois Gabathuler verstarb 1989, seine Frau zwei Jahre später. Dass er mit seiner Frau als erster Missionsarzt für die katholische Schweizer Mission in Afrika eine wichtige Rolle spielte, erfuhr ich erst durch die Doktorarbeit von Marcel Dreier*.

*Health, welfare and development in rural Africa – Catholic medical mission and the configuration of development in Ulanga/Tanzania, 1920-1970., Basel, 2014, siehe https://edoc.unibas.ch/72455/