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Lieber Mauro, was ging dir, Generalminister des Kapuzinerordens, vor bald einem Jahr durch den Sinn, als du von der Wahl von Jorge Mario Bergoglio zum Bischof von Rom gehört hast?

Als ich gehört habe, ein Jesuit wird Papst und er nennt sich Franziskus, da habe ich vor Freude geweint. Das hat bei mir eine sehr tiefe Emotion ausgelöst.

Warum solch grosse Gefühle?

Man hatte im Vorfeld kirchenpolitisch die Ordensleute fast abgeschrieben – und nun wurde ausgerechnet ein Jesuit zum Papst gewählt. Und die zweite Überraschung war die Namenswahl: Franziskus. Da hat jemand zu Recht gesagt, dass die Bedeutung dieser Namenswahl mit einer Enzyklika zu vergleichen ist.

Was hattest du damals konkret von diesem neuen Bischof von Rom erwartet?

Ich erhoffte mir einen neuen Stil. Franz von Assisi bedeutet mir Brüderlichkeit, ein zugängliches Verhalten, aber auch Einfachheit und ein Stück weit Reform.

Was sagst du nun – fast ein Jahr später – zu den Erwartungen, die sich damals bei dir aufgebaut hatten?

Die Einfachheit von Papst Franziskus zeigt sich in der Wahl des gesamten liturgischen Apparates. Sie zeigt sich darin, dass er heute mit anderen Bischöfen zusammen wohnt. Die Einfachheit zeigt sich auch darin, dass er die Sakralität des Papsttums von weit oben heruntergeholt hat. Er ist da  gelandet, wo wir alle stehen, mit uns auf Augenhöhe. Das Abgehobene ist aufgehoben, und er ist sehr zugänglich.

Wie zeigt sich diese Einfachheit im Alltag des Bischofs von Rom?

Papst Franziskus geht unter die Menschen, ruft einige telefonisch an. Er betont die Barmherzigkeit Gottes, stellt den Menschen in den Mittelpunkt. Auch der sündige Mensch bleibt für ihn Mensch, der es verdient, dass man liebevoll mit ihm umgeht. Er krempelt zwar nicht die moralischen Werte um, stellt aber eindeutig den Menschen in den Mittelpunkt.

Unterscheidet sich Papst Franziskus von Papst Benedikt?

Er unterscheidet sich sicher im Stil von Papst Benedikt. Papst Benedikt hat meines Erachtens stärker auf den Glaubensinhalt hingewiesen, während Papst Franziskus stärker den Glaubensadressaten ins Zentrum stellt: Wer ist dieser glaubende Mensch überhaupt? Papst Franziskus ist jedoch nicht mild mit der Gesellschaft. Vor allem die ökonomischen Zustände auf der Welt oder der Umgang mit den Flüchtlingsströmen aus Afrika oder Asien werden viel konkreter und präsenter benannt als bei Papst Benedikt. Dafür weist Papst Franziskus weniger auf den Relativismus in der Welt hin.

Im Zusammenhang mit deiner Funktion als Vizepräsident der Union der Generaloberen der Ordensleute konntest du mit Papst Franziskus ein mehrstündiges Gespräch erleben. Was ist dir dabei aufgefallen?

Papst Franziskus inspiriert mich in meinem Führungsstil als Generaloberen der Kapuzinergemeinschaft. Da ist das Stichwort «Nähe» sehr wichtig. Es geht um die Nähe zu meinen Mitbrüdern. Wir sollen gemeinsam auf dem Weg sein, sehr stark geprägt von Güte; gewiss nicht autoritär, aber mit Autorität – einer gelebten und glaubwürdigen Autorität.

Nimmst du dein Amt als Generaloberen der Kapuziner anders wahr, seitdem Jorge Mario Bergoglio Bischof von Rom ist?

Na ja, gerade so kann ich dies nicht ausdrücken. Ich fühle mich eher bestätigt in meinem Unterwegssein mit den Mitbrüdern und in einem dialogischen Leitungsstil. Es geht darum, dass ich die Brüder inspiriere, ihnen den Weg weise, nicht darum, ihnen Forderungen zu stellen. Meine Art von Umgang mit ihnen hat sich nicht verändert. Gewiss fühle ich mich freier, gelassener, seitdem vom Vatikan her ein neuer Wind weht.

Wie hast du Papst Franziskus bei der direkten Begegnung erlebt?

Beim Treffen mit den Generalobernkonnten wir Fragen aufwerfen, und er hat sich allen Fragen auch gestellt. Papst Benedikt konnte man zwar auch alle Fragen stellen, doch war stets eine gewisse Distanz zu spüren. Es ist nicht eine Frage von Respekt, aber Papst Franziskus ermuntert  dich – auch durch seinen spitzbübischen Blick (lacht). Er fordert dich auf: «Komm und sag alles. Verschweige mir ja nichts, was dir am Herzen liegt.» Dabei bleibt er ein typischer Jesuit. Es geht ihm um die Gabe der Unterscheidung der Geister und nicht um Etiketten in der Wahrnehmung von Menschen oder der Welt.

Bei uns in der Schweiz nehme ich einen starken Papst-Franziskus- Hype wahr. Dieser Mann begeistert viele Menschen und einige, die vorher wenig oder nichts mit dem Christentum zu tun haben wollten, schauen nun plötzlich hin. Ist das ein schweizerisches oder sogar ein weltweites Phänomen?

Vor kurzem war ich in Südamerika, in Bolivien und in Peru. Da sagte man mir, dass die grosse Aggressivität in der Presse gegenüber der Institution Kirche seit seinem Pontifikat fast verschwunden ist. Ich denke, dass die Menschen überall viel geben auf einen Menschen, der etwas ausstrahlt, der von Güte getränkt ist. Papst Franziskus weckt Hoffnung; Hoffnung in einer Welt, in der es sehr schwierig geworden ist, sich zu orientieren. Er ist wie eine Orientierungsfigur. Gläubige und Ungläubige schauen auf ihn hin. Wer Mühe hat mit ihm, das sind die Rechtskreise; Kreise, die für eine sture Form von Glauben eintreten.

Wir sprechen oft vom neuen Stil des Papstes Franziskus, eben dem Bischof von Rom. Aber bringt er auch neue Inhalte, oder ist es lediglich eine neue Verpackung seiner Amtsführung?

Viele Fragen sind noch sehr offen. Wie wird er beispielsweise den Vatikan reformieren? Er hat die Gruppe der acht Kardinäle eingesetzt. Ich weiss aus erster Quelle, dass da auch alle anstehenden Fragen aufgenommen wurden, die teilweise sehr schwierig zu lösende Probleme beinhalten. Gleichzeitig sagt mir einer dieser Kardinäle: «Der Papst hat keine Angst.» Er sei sich bewusst, dass die Situation sehr schwierig ist.

Ein zweiter Bereich, bei dem ich Veränderungen erhoffe, ist das ökumenische Gespräch. Papst Franziskus nannte sich von Beginn an Bischof von Rom. Es ist zu hoffen, dass nun mit den orthodoxen wie auch mit den reformierten Kirchen ein Schritt nach vorne möglich wird. Eine Beurteilung ist noch zu früh, doch hat er Zeichen gesetzt, die auf Öffnung hinweisen.

Eine weitere, sehr wichtige Frage ist diejenige der Bischofsernennungen. Da ist er sehr frei umgegangen mit den Vorschlägen der Kurie. Der Sekretär der italienischen Bischofskonferenz war nicht einer aus der ersten Reihe der vorgeschlagenen. Als Sekretär der Religiosenkongregation, die im Vatikan für die Ordensleute zuständig ist, hat er den Generalminister der Franziskaner geholt. Seine erste Ernennung betraf somit einen guten Mann, den ich kenne. In Lugano hat er einen Mann zum Bischof ernannt, der nicht zu einer Bewegung gehört. Da sehe ich schon eine neue Linie.

Ein weiteres wichtiges Zeichen zeigt sich darin, dass er verlangt, dass die ganze Finanzpolitik des Vatikans transparent werden muss. Schwarzgelder dürfen im Vatikan nicht untertauchen. Vor allem bei der Frage der sexuellen Missbräuche führt er die harte Linie von Papst Benedikt fort.

Kann Papst Franziskus, der Bischof von Rom, seine Reformen wirklich durchziehen oder bleibt er eines Tages damit auf der Strecke?

Seine Reformen hängen massgeblich davon ab, mit welchen Menschen er sich umgibt. Er allein schafft das nicht. Die meisten Vertreter in seiner Beratergruppe sind keine Kurienkardinäle, sondern Menschen von aussen. Die Neubesetzung des Staatssekretariates ist auch ein gutes Zeichen für die Erneuerung. Bisher war dieses Sekretariat ein Superministerium, das alle anderen Kongregationen überwacht hat. Die Vereinfachung dieses Sekretariates scheint mir ein guter Weg für Reformen. Jemand hat mir gesagt – das kann ich aber nicht bestätigen – dass künftig Nuntien auch Laien sein könnten und nicht Bischöfe sein müssten. Wenn er solche Wenden umsetzen kann, dann ist das ein Zeichen der Entklerikalisierung der Kirche.

Interview: Adrian Müller

Jorge Mario Bergoglio wohnt im vatikanischen Gästehaus der heiligen Marta, isst gerne in Gemeinschaft, brüht sich seinen Kaffee selber und fährt mit gebrauchten Autos. Er berührt, umarmt und küsst Menschen. Eigentlich ist das alles nichts Ungewöhnliches, schon gar nichts Heiliges, sondern zutiefst menschlich, wäre dieser Mann nicht Papst Franziskus und damit Oberhaupt der grössten Kirche der Welt. In dieser entrückten Funktion erscheint das Menschliche plötzlich übermenschlich und wird für die Medien rund um den Globus zur Sensation.

Dialog als ein Lieblingsbegriff

Dabei scheint sich Papst Franziskus bloss ein Gedicht von Dom Helder Camara, seinem verstorbenen Bischofskollegen aus Brasilien, zu Herzen genommen zu haben, worin es heisst: «Es ist nicht leicht, im Körper eines Cadillacs die Seele eines Deux-Chevaux zu bewahren.» Er will der Versuchung widerstehen, Wasser zu predigen und selber Wein zu trinken, auch wenn dies in seiner Funktion nicht leicht fällt. Die partielle Verweigerung der gewohnten Art von Amtsentfaltung ist ein emanzipatorisches Programm von Papst Franziskus und damit für alle eine Zumutung.

Einem Stellvertreter Christi, der sich den Kaffee selber braut, hört man nicht nur zu, man stellt ihm vielleicht auch Fragen. Und er ist offenbar bereit, sich auf diesen Dialog einzulassen. Überhaupt ist Dialog einer seiner Lieblingsbegriffe. Diesem Papst müssen auch die nicht-katholischen Christen neue Beachtung schenken. Sie werden sich dabei fragen, ob mit dem radikal neuen Stil auch neue Inhalte transportiert werden, die beispielsweise den blockierten ökumenischen Dialog wieder in Gang setzen könnten.

Die Freude des Evangeliums

Nun legt der Papst ein programmatisches Schreiben vor, das vom Geist seiner Mission durchdrungen ist. Wer das Dokument «Evangelii Gaudium – über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute» liest, merkt schon auf der ersten Seite, von welcher Erfahrung er beseelt ist: «Mit Jesus Christus kommt immer – und immer wieder – die Freude.» Da kommt ein Stoss frische Luft herein. Der Mann setzt ein grosses Plus vor alles, was er in der Folge entwirft, ein Plus, das freilich nicht einer triumphierenden Institution entspringt, sondern der Begegnung mit dem lebendigen Jesus Christus. Die Kirche, von der Franziskus träumt, will nicht mehr bewahren, sondern verlässt die Sicherheit des Gewohnten und wird zur «entschieden missionarischen Pastoral», die es riskiert, um des Evangeliums willen auch zur «verbeulten» Kirche zu werden.

Die Korrektheit der Doktrin greift für Franziskus zu kurz. Es geht ihm um eine evangeliumsgemässe Atmosphäre. Die Freude müsse durchdringen, sonst sei das Christsein «wie eine Fastenzeit ohne Ostern». Ganz ähnlich hat sich Gottfried Locher, der Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes, nach seinem Amtsantritt geäussert: «Die Kirche, die das Evangelium verkündigt, macht glücklich», war einer seiner Wahlsprüche.

Verkündigung an alle Menschen

Überhaupt erinnert vieles, was Franziskus sagt, an klassisch evangelische Positionen. Besonderes Gewicht legt der neue Papst auf die Predigt. In Zeiten der Inflation des Wortes, scheint er der biblischen Verkündigung einiges zuzutrauen. Zugleich ortet er gerade hier einige Missstände in seiner Kirche. Franziskus spricht Tacheles und macht seinen Bischöfen, Priestern und Laien klar, was der Inhalt der Verkündigung sei: Christus, Trost, Zuspruch und erst dann Anspruch.

Er sagt, an wen sich die Verkündigung richtet: ausnahmslos an alle Menschen. Und er macht deutlich, wie die Verkündigung heute zu erfolgen habe. Eine Predigt soll kurz sein und «keine Unterhaltungs-Show». Die Sprache des Volkes ist das Medium, das die Herzen erreichen kann. Darin nimmt er Luthers Anliegen auf, das Evangelium allen verständlich zu machen, indem man den einfachen Leuten «auf das Maul sehe», wenn man die Heilige Schrift übersetze. «Das Studium der Heiligen Schrift ist ein Tor, das allen Gläubigen offen steht», sagt Franziskus.

Gebet und Teamarbeit

Das Wort Gottes will in der Predigt ausgelegt werden. Dazu müsse sich der Prediger persönlich vom biblischen Text ergreifen lassen, denn der Heiligen Schrift wohne eine eigene Kraft inne. Das Gebet und das kollegiale Gespräch von Priestern, Diakonen und Laien seien wichtige Schritte der Vorbereitung auf die Predigt. Durch diese Teamarbeit soll die Verkündigung attraktiver werden. Diese ist eingebettet in die Liturgie, die auch von Zeichen, Gesten, Symbolen und der Schönheit lebt. Den alten Gegensatz zwischen Wort und Sakrament sieht Franziskus als überholt.

Hört man diesem Papst zu, wird man an Luthers Wort erinnert: «Das Amt, das Evangelium zu predigen, ist das höchste unter allen; denn es ist das rechte apostolische Amt, das den Grund legt für alle anderen Ämter, die sich auf dieses Amt aufbauen müssen.» Auch die reformierte Kirche verstand sich immer als sakramentale Gemeinschaft, in welcher Taufe, Abendmahl und Verkündigung aufeinander bezogen sind. Noch heute steht im Zürcher Grossmünster am zentralenliturgischen Ort der Taufstein mit einem Holzdeckel, der als Abendmahlstisch dient, auf dem die aufgeschlagene Bibel liegt. Diese alte Ordnung macht deutlich, dass Wort und Sakrament unauflöslich zusammengehören.

Freiheit oder Orientierung?

In evangelischem Verständnis ist die Kirche in erster Linie «creatura verbi» – Schöpfung des göttlichen Wortes. Und die Predigt ist, wie Karl Barth schrieb, nichts weniger als «Gott in Aktion». Doch bei all den Worten, die heute gesprochen werden, haben die Reformierten ein inhaltliches Problem. Das fehlende zentrale Lehramt führte gerade in den bekenntnisfreien reformierten Kirchen der Schweiz zu einer theologischen Beliebigkeit. Alles ist möglich – von der biblizistischen bis zur atheistischen Verkündigung, wie sie beispielsweise der holländische Pfarrer Klaas Hendrikse vertritt. Sein Manifest erschien kürzlich im Theologischen Verlag Zürich und hat ein breites Echo gefunden.

Doch einer Kirche, in der alles möglich ist, nimmt man schwerlich noch etwas ab. Sie ist Ort der Freiheit. Doch es fehlt ihr die orientierende Kraft. Der Schweizerische evangelische Kirchenbund versucht seit einigen Jahren, mehr theologische Verbindlichkeit zufördern. Der angestossene Prozess zur Entwicklung eines Glaubensbekenntnisses ist jedoch vorerst auf Grund gelaufen. Und die Lancierung eines nationalen Predigtpreises, der die Qualität der Verkündigung fördern will, hat bloss ein laues Echo gefunden. Tatsächlich müsste man auch den reformierten Predigerinnen und Predigern Dampf machen, damit sie der Kraft des Evangeliums vom Gekreuzigten und Auferstandenen neu vertrauen und diese Botschaft aktuell, kreativ und glaubwürdig verkünden.

Reformierte und Franziskus

Insofern tut der neue Papst auch den Reformierten gut. Er erinnert uns an evangelische Grundpostulate. Warum sollte er nicht in der kommenden Zeit der Reformationsjubiläen eine Neubewertung von Luther, Zwingli und Calvin vornehmen, wie dies mit Galileo möglich war? Das wären wahrhaft neue Töne aus Rom. Die Rehabilitierung der Reformatoren wäre wohl für die evangelisch-reformierten Christen die grösste päpstliche Zumutung, die man sich nur vorstellen kann. Der nächste Schritt müsste zwangsläufig Verhandlungen über die überfällige Wiederherstellung der Kirchengemeinschaft sein. Ob Franziskus so weit zu träumen wagt, bleibt vorerst offen. Aber es geschehen ja immer noch Zeichen und Wunder.

Heinz Fäh


Heinz Fäh ist reformierter Pfarrer in Rapperswil-Jona und Kirchenrat der Evangelisch-reformierten Kirche des Kantons St. Gallen.

Die lebendigste Geschichtsstunde, die ich in meiner Schulzeit erleben durfte, war diejenige, als uns die Lehrerin die Geschichte von Alexander dem Grossen und dem gordischen Knoten erzählte. Das Orakel prophezeite nach der Sage, dass die Herrschaft über Asien demjenigen gehören würde, der den gordischen Knoten lösen könne. Viele versuchten den Knoten zu lösen, niemand schaffte es. Um 333 v. Chr. war Alexander der Grosse mit einem riesigen Heer unterwegs, um Persien zu erobern.

Den gordischen Knoten lösen

Eines Tages stand Alexander der Grosse vor dem gordischen Knoten und die Soldaten schauten ihren Feldherrn erwartungsvoll an. Der Knoten war immens. Was wird er tun? Der gewiefte Feldherr liess sich nicht lange bitten. Er zückte zur Überraschung aller sein Schwert, hob seine Arme kraftvoll und zerschlug den Knoten in Fetzen. Vom Knoten und auch von den Seilen war nicht mehr viel zu sehen. Begeistert jubelten die Krieger: Asien gehört uns!

Ganz überzeugend ist die Schwert-Methode jedoch nicht. Die verknüpften Seile waren zerstört und für nichts mehr zu gebrauchen. Schon in der Zeit des Paulus kursierte eine andere Version, die die Gewalt durch Intelligenz ersetzt. Derzufolge hat Alexander das Problem mit Denken gelöst. Er habe den Knoten ruhig studiert und dann mit Hilfe eines Beraters gemerkt, dass er einen Deichselnagel lösen müsse, damit er das Joch des Wagens wegziehen und so den Knoten entwirren könne.

Dialogisch und argumentierend

Ich stelle manchmal bei mir fest, dass ich beim Problem- und Entwicklungsstau in der römischkatholischen Kirche gefühlsmässig oft gerne zur Schwertmethode greifen würde. Zum Glück bremst mich der Verstand. Nein, mit Gewalt und Diktatur lösen sich keine Probleme. Da braucht es andere Wege. Und solche lassen sich meines Erachtens bei Papst Franziskus entdecken. Das zeigt sich nicht nur am «Guten Abend» (Buona Sera)  nach der Wahl des neuen Bischofs von Rom, sondern auch in seinen Schriften und vor allem in Interviews, die argumentierend und dialogisch geschrieben wurden. Papst Franziskus vermittelt primär Argumentationen und nicht Deklarationen. Andere Argumente nimmt er ernst und ist offen für überraschende Sichtweisen.

Im Folgenden möchte ich das eben Genannte verdeutlichen. Vielleicht zeigt sich damit, warum die grossen Veränderungen in der römisch-katholischen Kirche noch nicht durchgeboxt oder eben die alten Seilschaften nicht zerhauen wurden.

Geduldig die Knoten lösen

Jorge Mario Bergoglio hat in Deutschland in der Augsburger Jesuitenkirche St. Peter am Perlach das Bild Maria Knotenlöserin entdeckt – das Bild ist hier im Heft abgedruckt. Der Betrachter sieht Maria anmutig mit einem Seil in den Händen. Ohne Hetze und mit Unterstützung einiger Engel löst sie Knoten um Knoten auf. Über ihr schwebt der Heilige Geist.

Bergoglio war von diesem Bild so fasziniert, dass er diese Art von Muttergottesbild mittels Postkarten nach Argentinien mitgebracht und verteilt hat. Er lernt also von einer ihm fremden Kultur neue Sichtweisen und gibt diese weiter. Heute ist Maria Knotenlöserin «ein Bild, dessen Verehrung zu einem ausgesprochen populären Phänomen der Volksfrömmigkeit in Buenos Aires geworden ist». Dies berichten die beiden Journalisten Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti. In der Kirche San José del Talar (Buenos Aires, Argentinien) hängt heute sogar eine Kopie des Bildes von St. Peter am Perlach, welches an jedem Achten des Monats viele Pilger anzieht.

Heilsame Liebe wächst

Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti fragten Jorge Mario Bergoglio, der 2010 noch Erzbischof von Buenos Aires und Kardinal war: «Ist es nicht so, dass die Kirche das Leid als Weg zu Gott zu sehr betont hat und weniger die Freude der Auferstehung?» Bergoglio antwortet: «Es stimmt, dass man in einer bestimmten Zeit die Frage des Leidens übertrieben hat. Mir kommt einer meiner Lieblingsfilme in den Sinn, Babettes Fest, wo man einen typischen Fall sieht, wie Verbote und Grenzziehungen übertrieben werden. Die Hauptpersonen sind Menschen, die einen übertriebenen puritanischen Calvinismus leben. Das geht so weit, dass die Erlösung durch Christus so gelebt wird, dass man alle Dinge dieser Welt ablehnt. Als dann die Frische der Freiheit erfahrbar wird, während eines üppigen Festessens, werden schliesslich alle verwandelt. Eigentlich wusste diese Gemeinschaft nicht, was die Freude ist. Sie war erdrückt durch das Leid. Sie klebte am Fahlen dieser Welt. Diese Menschen hatten Angst vor der Liebe.»

Die kirchliche Selbstkritik wird in dieser Antwort zwar deutlich, aber nicht verletzend, sondern befreiend formuliert. Liebe und ein feines Mahl lösen die Knoten der ängstlichen Gemeinschaft. Bergoglio demaskiert Weltflucht als Angst und weist auf eine Liebe hin, welche Weltflucht und Angst überwindet. Liebe kann und darf schon hier gelebt und erfahren werden und führt so auch zur Freude am Leben, am Sein.

Ein Bild voller Hoffnung

Die beiden Journalisten lassen nicht locker und insistieren: «Aber das wichtigste Symbol des Katholizismus ist doch Christus als der Gekreuzigte, aus dessen Körper Blut strömt …». Bergoglio antwortet differenziert mit mehreren Zugängen: «Die Weisse Kreuzigung von Chagall, der ein gläubiger Jude war, ist nicht grausam, sie ist voller Hoffnung. Das Leid zeigt sich darin verbunden mit Seelenfrieden. Meines Erachtens handelt es sich hier um eines der schönsten Bilder, die Chagall gemalt hat.» (S. 45) Damit setzt sich Papst Franziskus ganz deutlich von anderen und älteren Marterbildern ab und kann sogar ein Bild eines jüdischen Künstlers in seine Argumentation einbinden. In seiner Antwort zeigt sich keine christliche Verengung, sondern eine Offenheit auf andere Religionen hin.

Die eigene Geschichte vergisst Bergoglio jedoch nicht: «Wenn wir unseren Blick aber auf die spanische Barockzeit wenden oder nach Cuzco im Hochland in Peru, finden wir Darstellungen eines duldenden, zermarterten Christus, weil die Barockzeit die Passion Jesu betonte.» (S. 45) In ökumenischer Offenheit kann Papst Franziskus auch über den eigenen katholischen Tellerrand schauen und entdeckt hier für den Glauben heilsame Bilder: «Betrachtet man die ostkirchlichen Ikonen, z.B. die russischen, wird man feststellen können: Da gibt es sehr wenige Darstellungen des Gekreuzigten als Schmerzensmann. Vielmehr wird die Auferstehung dargestellt. » (S. 45)

Adrian Müller


Buchhinweis

Die Zitate von Jorge Mario Bergoglio stammen aus dem sehr lesenswerten Buch: Sergio Rubin – Francesca Ambrogetti; Papst Franziskus: Mein Leben, mein Weg; Herder, Freiburg im Breisgau, 2013, 223 Seiten, ca. CHF 47.–. Der Titel der argentinischen Erstausgabe von 2010 war: El Jesuita, Conversaciones con el cardenal Jorge Bergoglio, sj.

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