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Toleranz und Desinteresse

In der indischen Literatur kehrt ein Begriff stets wieder: „moksha“ d. h. Befreiung. Er weist auf ein letztes Ziel und einen höchsten Wert hin. Damit gemeint ist: frei werden von allen Zwängen und Einschränkungen, frei von allen Verhaftungen des Karma, diesem unerbittlichen Gesetz, das blind alles bestimmt. Befolgt man das Karma, kommt alles gut heraus. Befolgt man es nicht, führt das unweigerlich zu einem schlechten Ergebnis.

Tiefste Erfüllung

Moksha bedeutet ebenso den Zustand von Glück, Schmerzlosigkeit, tiefster Erfüllung. Daraufhin zielen alle Philosophien, Theologien und religiösen Lehren. Dieses Ziel erstrebt in Indien nicht nur die Meditation und Frömmigkeitsübung im Tempel. Auch Tätigkeiten, die wir profan nennen, führen zu einem solch befreiten Zustand: zum Beispiel der Tanz und die Politik, der Handel und die Technik. Also leben nicht nur Nonnen und Mönche darnach, sondern auch Polizisten, Künstler, Maschinenbauer, ja sogar Kurtisanen und Prostituierte. Was immer im Alltag geschieht, gilt als ein Weg zur Moksha, zur Befreiung. Es gibt unzählige solcher Wege. Ja, alles, was in guter Absicht geschieht, kann ein Weg zum höchsten spirituellen Ziel sein.

Toleranz

Ein solches Denken und Verhalten führt zur Toleranz gegenüber anderen Religionen und Befreiungswegen. Der Hinduismus kannte nie den Drang zum Missionieren und Bekehren anderer. Seine spirituellen Meister wiederholen unaufhörlich, der Hinduismus sei bereit für den Dialog, da er sich durch Offenheit auszeichne. Islam und Christentum sollten ihrer Ansicht nach die Taktik der Bekehrung aufgeben und sich für einen wirklichen Dialog öffnen. Gewiss, der Hinduismus hat tatsächlich keine Bekehrungsabsichten. Doch will er wirklich andere kennen lernen? Westliches Interesse für den Hinduismus ist bekannt. Doch gibt es in der hinduistischen Religion ein ehrliches Interesse für das Christentum? Der Hinduismus hält Kenntnis der andern eher für überflüssig. Es genügt ihm, sich mit sich selber und seinen eigenen Befreiungswegen zu beschäftigen. Dinge, die ihn nicht direkt betreffen, interessieren ihn wenig.

Christliche Missionare

Laut gesicherten Quellen gab es in Indien sehr früh christliche Gemeinschaften. Der Apostel Thomas soll als Sklave übers Meer hierher gebracht worden sein, das Evangelium im Tal Indus gepredigt und in Südindien das Martyrium erlitten haben. Wie auch immer: Später brachte die Kolonialherrschaft eine massive christliche Präsenz. Damit hatten sich die Hindus abzufinden, schon seit Vasco da Gama (1498). Nach 1600 erlebte das Land eine weit reichende Präsenz der kolonialen Mächte. Das Christentum war eng mit der Fremdherrschaft, ihren Taten und Untaten verstrickt. Doch die europäischen Missionare prangerten auch die Ungerechtigkeiten im Kastenwesen an und bekämpften sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Sie lehrten und lebten Gerechtigkeit, Mitmenschlichkeit und Nächstenliebe. Diese Ideale verbanden sie mit den Lehren der Bhagavad Gîtâ, einem grundlegenden hinduistischen Text (ungefähr 200 v. Chr.).

„Neu-Hinduismus“

 Die Entdeckungen der Indologie und der vergleichenden Sprachwissenschaften führten zu Neu-Entdeckung der Identität und der althergebrachten Werte. Daraus entstanden Reformen unter dem Namen „Neu-Hinduismus“. Wir kennen die Namen einiger Führer und ihrer Lehren: Brâma Samâj (1828), Arya Samaâja (1875), die Schule des Shrî Aurobindo usf. Von ihnen wurde auch Gandhi in Leben und Politik geprägt. Gemeinsamer Nenner dieser Strömungen ist die universalistische Weltschau, die in anderen Religionsgründern wie Jesus, Mohammed oder Buddha Inkarnationen der einen und gleichen Gottheit sieht. Hüben und drüben verkündet und erstrebt sie Toleranz und Friedfertigkeit, weit über Indien hinaus.
Das bewahrheitet sich auch in der langen Geschichte des Zusammenlebens mit den Christen. Hindus übten gegenüber der unbedeutenden christlichen Minderheit keine Gewalt aus. Die Christen hatten allerdings keinen eigentlichen Einfluss auf die Politik.

Bekehrung als „Angriff“

Auch im sozialen und wirtschaftlichen Bereich lebt man freundnachbarlich und wirkt gelegentlich auch Schulter an Schulter. Spannungen entstehen bei den Hinduisten einzig wegen christlichem Übereifer bei der Bekehrung der Armen aus den niedrigsten Kasten. Bekehrung hiess lange Zeit auch Bruch mit Familie und Gesellschaft: neue Namensgebung, fremde Sitten und Bräuche im Essen (Fleisch), Trinken (Alkohol) Sichkleiden nach europäischer Art. Heute sind solche Missionierungsmethoden überholt und abgeschafft. Trotzdem betrachten die Hindus die Bekehrung zum Christentum immer noch als heftigen Angriff auf den Hinduismus.

Islam

Seit dem Jahr 712 begegneten die indischen Religionen dem Islam in Mittel- und Südindien, seit dem 13. Jahrhundert auch in den restlichen Regionen. Die islamische Mystik erschien den indischen Lehren und Reformen verwandt und vertraut. Kabir (1440 – 1518), Guru Nânak (1469 – 1538, Begründer der Sikh`s) und andere versuchten eine Verschmelzung. Aber die feindliche Haltung der orthodoxen Muslime und die politischen Spannungen hinderten und verhinderten das. Trotzdem kommt es da und dort zu einem Dialog und zu einer gewissen gegenseitiger Durchdringung (Osmose) des Islam und des Hinduismus. Auch besteht ein gewisser Synkretizismus (Vermischung der Religionen), vor allem durch die Sufis (eine Art muslimischer Mystiker). Diese fühlen sich ebenso in Hindustempeln wie in Moscheen daheim.

Explosionen

Doch plötzlich entflammte auf beiden Seiten ein Kampf, der zu unglaublichen Explosionen führte. Denn das hinduistische Misstrauen gegenüber dem Islam ist tief verwurzelt. Man weiss noch sehr genau um die Folterungen und Verwüstungen, die muslimische Herrscher während acht Jahrhunderten verübt haben. Da kann ein winziger Funken Feuer entfachen. Der geringste Anlass kann zu Massakern führen, wo Moschee und Tempel Wand an Wand stehen und Hindus mit Muslimen nebeneinander wohnen.

Anand Nayak
Übersetzung: Friedrich Frey

 

2003/02

Hinduismus

ite 2003/2

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