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Interview mit Kardinal Wilfrid Napier

Matthias Dörnenburg: Kardinal Napier, was erwarten Sie von Ihrem Besuch in der Schweiz?

[bild19088w100l]Kardinal Wilfrid Napier: Ich hoffe und freue mich auf einen guten, offenen Austausch mit verschiedensten Gruppen und Gruppierungen. Auf der einen Seite möchte ich über die allgemeine Situation in Südafrika berichten. Auf der andern Seite möchte ich für Verständnis dafür sorgen, dass im Prozess der Vergangenheitsbewältigung auch Forderungen an die Staaten und Firmen gestellt werden.

 

Wenn Sie von der allgemeinen Situation in Südafrika reden: Welche Themenkreise kommen Ihnen dann als erste in den Sinn?

Mit einem Konsultationsprozess in unserer Diözese haben wir herauszufinden versucht, was die wichtigsten Schwierigkeiten sind, mit denen Menschen im Alltag zu kämpfen haben. Befragt wurden Seelsorgeteams und Freiwillige, die in den Pfarreien mitarbeiten. Als wichtigste Themen wurden die Armut, die Arbeitslosigkeit und Aids bezeichnet.

Was heisst das für die Kirche in Südafrika?

In allen Diözesen Südafrikas werden verschiedenste Programme und Aktivitäten im Umfeld von HIV und Aids durchgeführt. Dies beginnt mit Programmen von Aids-Aufklärung, geht aber dann schnell über in Ausbildungsprogramme für die sogenannte Home-Based Care (Heimpflege). In diesen Kursen erhalten Freiwillige und Angestellte der Pfarreien eine einfache medizinische Grundausbildung. Sie besuchen dann Familien, in denen sich niemand um die Kranken kümmern kann. Wichtig ist hier auch Hilfe für Kinder, deren Eltern erkrankt sind oder die selber Aids haben.

In diesem Zusammenhang spielt Kommunikation eine wichtige Rolle. Hat sich die Kommunikation der Kirchen verändert?

Die Kirchen reden heute bedeutend offener über HIV und Aids. Ich glaube aber nicht, dass wir sehr erfolgreich waren. Die Leute verschweigen noch immer, wenn jemand in der Familie von HIV oder Aids betroffen ist. Einerseits sagen alle, wir müssten das Stigma der Krankheit brechen. Gleichzeitig sehen dieselben Personen nicht ein, dass wir nur dadurch etwas verändern, indem wir offen und ehrlich über HIV und Aids reden. Noch vor rund zwei Jahren wurde eine Frau im Township Kwamashu, die sich öffentlich dazu bekannte, dass sie Aids-krank ist, von der aufgebrachten Menge umgebracht. Das ist heute nicht mehr so. Immer mehr Personen, auch aus dem öffentlichen Leben, bekennen sich dazu, dass sie HIV-positiv sind oder dass sie Aids haben. Dies ist der einzige Weg. HIV-Infizierte brauchen Hilfe. Nur wenn jemand zur Erkrankung steht, können wir ihm helfen.

Finden Sie, dass die Kommunikation in der Kirche generell gut funktioniert?

Nein, es gibt genügend Zeichen, dass die Kommunikation in den Kirchen nicht gut läuft. Das liegt meist daran, dass die Parteien nicht ehrlich zueinander sind. Meist wollen die Einzelnen nicht wirklich die Wahrheit oder eine Lösung suchen. Sie wollen viel eher ihre Position verteidigen.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Wir hatten einen Konflikt mit Personen, welche die Liturgie näher an die lateinischen Ursprungstexte binden wollten. Sie hatten Angst, dass die Übersetzungen in die verschiedenen Sprachen wie Zulu oder Xhosa zu frei erfolgen. Dies ist für mich ein Sinnbild dafür, dass diesen Leuten eine andere Realität wichtiger ist als das Bedürfnis und das Recht der Gemeindemitglieder, ihre Gefühle, ihre Anbetung, ihren Glauben in ihrer Sprache ausdrücken zu können.

Weshalb ist das so?

Viele Verantwortliche im Vatikan haben keine Erfahrung in der Pastoralarbeit. Sie gehen von einer lateinischen Sprache, westlichen Ideologien und westlichen Konzepten aus. Unsere Sprachen funktionieren anders. Einige behaupten, Theologie sei hierarchisch, komme also von oben nach unten. Andere sagen, Theologie ist das, was Menschen glauben, was aus ihrem Herzen kommt. Ich finde, Menschen müssen in ihren eigenen Worten, in ihrer eigenen Sprache ausdrücken können, was sie glauben und fühlen.

Was erwarten Sie von der Schweizer Kirche, von der schweizerischen Bevölkerung, von der offiziellen Schweiz im Zusammenhang mit der Frage der Apartheid-Schulden?

Ich möchte mit den verschiedenen Akteuren, also Kirchenvertretern, Vertretern der Regierung und der Wirtschaft, einen Dialog über die Apartheid-Schulden führen. Aus unserer Sicht hat das Verhalten von Wirtschaft, Politik und Kirche ermöglicht, dass sich das Apartheid-Regime viel länger halten konnte. Durch die Neutralität war die Schweiz nicht wie andere Länder an Vereinbarungen gebunden, die mit dem Boykott das Apartheid-Regime unter Druck setzen. Heute sind sehr viele Menschen in tiefster Armut, die dies nicht wären, wenn das Apartheid-System ein paar Jahre früher gestoppt worden wäre.

Ein Versuch, die Geschichte der Apartheid zu verarbeiten, war die Wahrheitskommission. Gerade in letzter Zeit sind viele kritische Stimmen dazu laut geworden. Was ist Ihre Meinung dazu?

Der Prozess war gut. Die Verbrechen der Apartheid dürfen nicht zu einer Gefahr im Aufbau einer neuen Gesellschaft werden. Dadurch, dass Personen, welche ihre Taten gestanden, Amnestie angeboten wurde, bekam die Wahrheitskommission die Funktion einer Beichte. Leuten jedoch, die ihre Gräueltaten weiterhin weder als solche betrachten noch sich zu ihnen bekennen, kann nicht vergeben werden. Sie können die Amnestie nicht in Anspruch nehmen. Wie können wir von Versöhnung reden, wenn Menschen nicht einsehen, dass sie Unrecht begangen haben?

Die Schwäche des Prozesses war, dass die Verarbeitung, also die eigentliche Versöhnung, nicht systematisch genug angestrebt wurde. Die Täter sind grösstenteils vor die Wahrheitskommission getreten, um einer allfälligen Strafverfolgung zu entgehen. Zudem hatte die Regierung kein echtes Interesse daran und delegierte die ganze Arbeit der Wahrheitsfindung der Kommission.

Glauben Sie, dass irgendjemand diesen Prozess zu einem guten Ende führen kann?

Niemand arbeitet mehr ernsthaft an diesem Versöhnungsprozess. Aber jedes neue Projekt, das wir gemeinsam angehen, sei es mit anderen Kirchen, der Wirtschaft, verschiedenen Bevölkerungsgruppen, birgt die Chance, doch noch mit der Vergangenheit gut abzuschliessen. Es gibt gute Beispiele dafür.

Interview: Matthias Dörnenburg, Fastenopfer

 

HIV-positiv und Aids

WLu Die Problematik von HIV und Aids wird ausführlich behandelt in der Nummer 2002/5 unserer Zeitschrift. Dort findet sich auch die Unterscheidung der Begriffe „HIV-positiv“ (der betreffende Virus befindet sich im Menschen) und „Aids“ (die Krankheit, die ausgebrochen ist).

Gratis-Exemplare der Nummer sind erhältlich bei:

Missionsprokura der Schweizer Kapuziner,
Postfach 1017,
4601 Olten.
abo@missionsprokura.ch

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