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So wenig jemand sagen kann, ob er in zehn oder zwanzig Jahren noch den gleichen Beruf ausüben wird oder überhaupt noch Arbeit hat, so schwierig sind Aussagen, wie es um die Zukunft der Volkskirchen in unserem Lande steht.Wir leben in einer Zeit, die ständig in Bewegung ist. Dauernder Wandel kennzeichnet unsere Gesellschaft. Niemand weiss, wohin die Reise geht. Wo Mobilität und Flexibilität gefragt sind, trübt Nebel die Aussicht auf künftige Tage. Die Zukunft erscheint offen und unbestimmt. Mit einem Wort: Alles ist immer auch anders möglich.

Keine voreiligen Prognosen

Die grossen Kirchen erscheinen vielen wie Dinosaurier aus vergangener Zeit. Unsere Welt hat für sie keinen Platz mehr. Im Museum erinnern sie uns an eine Epoche, in der sie im Tierreich eine herausragende Stellung inne hatten. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts prophezeien Gelehrte den Kirchen ihr baldiges Ende. Sie seien in der modernen Zeit zum Aussterben verurteilt. Im Jahre 1928 veröffentlichte der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud eine kleine Schrift über die Zukunft der Religion. Er stellte sie unter den bezeichnenden Titel: „Die Zukunft einer Illusion“. Eine Zukunft gab Freud weder der Religion noch den Kirchen. Seit Freuds Schrift sind nun wieder einige Jahrzehnte vergangen. Vieles spricht dafür, dass man seine Prognose selbst als Illusion bezeichnen muss. Allzu voreilige Prognosen über den Untergang der Volkskirchen haben sich bis heute als falsch herausgestellt. Umfragen lassen vermuten, dass die Volkskirche, vor allem die volkskirchliche Mentalität, ein starkes Beharrungsvermögen hat.

Kirchenmitgliedschaft

Religion wird nach wie vor von der Mehrheit der Bevölkerung im Rahmen der beiden Grosskirchen gelebt. Bei der Volkszählung von 1990 bezeichneten sich 86,2% der Schweizer Wohnbevölkerung als Mitglieder der evangelischen beziehungsweise der katholischen Kirche. Keine Vereinigung in der Schweiz zählt so viele Mitglieder. Rund 8 von 10 Kirchenmitglieder halten ihre Mitgliedschaft in der Kirche für selbstverständlich. Doch immer öfter taucht der Gedanke an einen Kirchenaustritt unter jungen Menschen auf. Es scheint, dass zunehmend in der jüngeren Generation die Zeit vorbei ist, in der die Mitgliedschaft in der Kirche fraglos und unproblematisch war. Beobachten lässt sich ein markanter Anstieg der Konfessionslosen unter den 20- bis 35jährigen. Der Austritt aus der Kirche wird dabei doppelt vollzogen, ein Mal für sich selbst und zum anderen für die Kinder, die nicht mehr getauft werden. Es kann kein Zweifel bestehen, dass sich die Kirchenaustritte weiter fortsetzen; in welchem Ausmass lässt sich schlecht voraussagen.

Ort der Lebenshilfe

Die Kirchen ziehen nach wie vor hohe Erwartungen auf sich. Die Mehrheit der Kirchenmitglieder ist sich darin einig, dass die Kirchen vor allem da sind für alle, die in irgendeiner Weise Hilfe und Stütze brauchen. Christlich sollen sie sein im einfachen Sinn, den dieses Wort nach dem allgemeinen Verständnis hat: Nächstenliebe leben und anderen helfen. Wer im Wettstreit um Geld, Ansehen und Macht zu kurz kommt, soll zumindest in den Kirchen Hilfe erwarten können.

Vage Religiosität

Man versteht sich grundsätzlich als religiös. Doch darüber macht man sich nicht allzu viele Gedanken. Viele leben eine Religiosität auf Sparflamme. Zeit und Engagement werden durch Familie, Beruf und Freizeit derart absorbiert, dass wenig Aufmerksamkeit mehr übrig bleibt für Fragen der Religion. Religion bildet eine Art Lebenshintergrund, der dann und wann im Leben zum Vorschein kommt. Jeder versucht auf seine Weise selig zu werden. Man könnte auch von einer Bastler-Religiosität im Do it yourself-Verfahren reden. Anleitungen dazu werden vonseiten der Kirchen erwartet. Hauptquelle religiöser Orientierung ist nach wie vor das Christentum. Doch lässt sich zusehends ein Trend weg von kirchlich gebundener hin zu individuell gewählter Religiosität beobachten. Als Christ im Sinne der Kirche versteht sich nur mehr eine bescheidene Minderheit.

Locker-pragmatische Bindung

An den Lebenswenden möchte man nicht auf die Begleitung durch die Kirche verzichten. An den Übergängen des Lebens: Geburt, Eintritt ins Erwachsenenalter, Heirat, Tod, in Krisenzeiten oder während des Jahres an Weihnachten will man Vertrauen schöpfen. Trotz aller Gefährdungen und dem Schuldigwerden will der Mensch mit Gottes Hilfe die Zukunft bestehen. Aus der einst festen Einbindung in die Kirche ist eine lockere Gelegenheitsbeziehung geworden.

„Ich brauche“, so die Meinung, „allenfalls hilfsweise eine Kirche. Ich muss nicht in die Kirche hinein, weil ich draussen in einer gottlosen Welt wäre, um dort in ihr erst mit Heil und Wahrheit in Berührung zu kommen, sondern religiös bin ich aus mir selbst heraus. Ich suche dabei überall, auch in der Kirche, nach Klärung und Unterstützung für meine eigene persönliche Religiosität“.

Religiöse Dienstleister

Der Umbruch der Gesellschaft hat das Gesicht der Kirchen radikal verändert. Der Typ des praktizierenden Katholiken ist zum Sonderfall geworden. Die Kirchen haben sich zu religiösen Dienstleistern gewandelt. Beziehung zur Kirche wird aufgenommen, wenn man das Gefühl hat, dass diese Beziehung einem etwas bringt. Kosten/Nutzen-Erwägungen bestimmen in hohem Masse das Verhalten ihr gegenüber. Nähe und Distanz zur Kirche wollen die Menschen selbst bestimmen.

Drohender Traditionsabbruch

Die Chancen von Kindern und Jugendlichen gelebte Christlichkeit zu erfahren, sind in der heutigen Elterngeneration drastisch gesunken. Die kirchliche Bindung in der nachwachsenden Generation scheint in einem Umfang rückläufig zu sein, dass die Rede von einem „Traditionsabbruch“ nicht übertrieben erscheint. Da immer weniger junge Menschen ein kirchenverbundenes Elternhaus erleben, ist voraussehbar, dass in der kommenden Generation mit einer weiteren Entfremdung von der Kirche gerechnet werden muss.

Religiöse Kindererziehung

Hoher Stellenwert wird den Kirchen nicht zuletzt in der religiösen Erziehung der Kinder beigemessen. In späteren Jahren können sie dann selbst entscheiden, wie sie es mit der Religion halten wollen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lassen junge Eltern ihre Kinder taufen. Geschätzt wird die Kirche als Vermittlerin von Lebenssinn und Werten wie Menschlichkeit, Solidarität, Respekt vor dem anderen. Die Kirchen stehen für Werte, die in den übrigen Lebensbereichen unter die Räder zu kommen drohen.

Nivellierung des konfessionellen Bewusstseins

Was typisch katholisch oder protestantisch sein soll, wird undeutlicher. Immer weniger lässt sich aus der Art, wie jemand lebt, ablesen, welcher Konfession sie/er angehört. Ein konfessionelles Bewusstsein ist vor allem in der jüngeren Generation kaum mehr vorhanden. Beobachten lässt sich eine Abwendung von einem konfessionell geprägten hin zu einer in subjektiver Erfahrung abgestützten Religiosität. Die Frage nach der eigenen persönlichen Religiosität und nicht das Bekenntnis zu einer Konfession steht im Vordergrund. Unsere Volkskirchen dürften dann Zukunftschancen haben, wenn es ihnen gelingt, Glaube und Leben miteinander in Verbindung zu bringen, zu einem „Leben in Fülle“ (Joh. 10, 10) anzuleiten. Dann bestehen berechtigte Hoffnungen, dass sie auch in Zukunft zu bestehen vermögen, wobei keineswegs übersehen werden darf, dass sie enormen Herausforderungen gegenüberstehen.

Alfred Dubach
Der Autor ist Leiter des Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) St. Gallen.

 

ite2001-2

Missionsland Schweiz

ite 2001/2

Die Schweiz: Missionsland?
Ende der Volkskirche?
Glauben in der (ehemaligen) DDR