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Das Evangelium durch Franziskus gedeutet

Franz von Assisi entdeckt zunächst die Sendungsreden Jesu: Im Namen Jesu und mit ihm durch die Welt ziehen, um das Reich Gottes zu verwirklichen, den Armen die Frohe Botschaft verkünden – und dies in der Gesinnung der Armut.

Nichts, was der Mensch organisiert, hat ewig Bestand. Es gibt kein Haus, in dem er ewig leben könnte, keine Stabilität oder Sicherheit. Es gibt nur das Provisorium, nur das Dasein eines Pilgers. Mobilität, Unterwegssein – das sind die Schlüsselbegriffe, mit denen das Leben des Franz von Assisi zu verstehen ist.

Unterwegs

Anscheinend ist die Mobilität des Franziskus kein Modell für unsere Zeit. Heute sind die Menschen orientierungslos, auch die ethischen Werte haben keinen Bestand. Man hat die Wurzeln verloren, die Traditionen vergessen. Der moderne Mensch fühlt sich nicht wohl in seinen vier Wänden. Er ist ein Weltenbummler. Er ist immer unterwegs mit dem Auto oder mit dem Flugzeug. Alles ist flüchtig geworden, nichts dauert. Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft, in einer Zeit der grenzenlosen Verschwendung. Wir leiden an der «Angina temporis», an der beängstigenden Enge der Zeit, einer der schlimmsten Krankheiten, die es gibt.

Ist das nicht eher die Zeit des heiligen Benedikts? Was wir brauchen, ist eine neue Stabilität, das gelebte Da-Sein, eine Burg, ein Leben ohne Druck und Stress. Wir müssen die Fähigkeit, da zu sein und an einem konkreten Ort Wurzel zu schlagen, zurückgewinnen. Dann könnten wir Wesentliches wieder entdecken: den Zusammenhalt in der Familie, die Dorf- oder Quartiergemeinschaft, die Möglichkeit, Kirche zu sein und als Schwestern und Brüder das Geheimnis des Glaubens zu feiern, den Sonntag, die grossen Feste. So könnten wir aus dem Teufelskreis aussteigen, der uns selbst und die ganze Welt zerstört.

Die Mobilität des Franziskus ist freilich nicht mit derjenigen unserer Zeit zu vergleichen. Er ging barfuss. Nichts sollte den direkten Kontakt mit der Erde hindern. Der Mensch ist ein «Erdling», aus dem Humus genommen. Rhythmus und Geschwindigkeit, die dem Menschen entsprechen, müssen durch die Erde, unsere Mutter und Schwester, bestimmt werden. Wenn man dies nicht sieht, wird man sich von der eigenen Natur entfernen, ja sich verlieren. Franziskus wollte, indem er barfuss ging, Klugheit lernen, Achtsamkeit, Empathie, Mitgefühl, Zärtlichkeit, die rechte Zeit – Eigenschaften, die bereits verloren gehen, wenn man Schuhe, Stöckelschuhe oder Stiefel trägt, sicher aber, wenn man Transportmittel benutzt. Wir müssen wieder lernen, zu Fuss zu gehen, zu flanieren, zu wandern, einen Fuss vor den andern zu setzen, um die Schönheit und das Geheimnis zu bewundern und den Gesang der Geschöpfe zu hören. Wir müssen wieder den Frieden erkunden, der uns gegeben ist und den wir allen weitergeben müssen, die ihn brauchen.

Solidarität mit den Armen

Franziskus begann sein geistliches Leben mit einer Umarmung. Er küsste einen Aussätzigen. Im gleichen Augenblick wird ihm die ganze Welt transparent: Alle Ausgestossenen werden zum Zeichen für den gekreuzigten Christus – und umgekehrt: Dieser identifiziert sich mit allen Armen dieser Welt. Franziskus muss sich auf die Seite der Armen schlagen. Er will keinerlei Privilegien haben, kein Monopol beanspruchen, keinen Vorzug erfahren, keine höhere Position einnehmen. Er will leben, was Jesus verlangt (vgl. Mk 10, 17 – 31), unter den Armen und unter den gleichen wirtschaftlichen Bedingungen.

Franziskus entdeckt die Armut als Ort, wo sich Gott offenbart. Es geht ihm auf, dass es Gottesoffenbarung ausserhalb der Lebensbedingungen der Armen nicht gibt. Dieser Aspekt der franziskanischen Spiritualität war noch nie so aktuell wie heute, in der Zeit des Neoliberalismus, der globalisierten Gleichgültigkeit und der zerbrechenden Solidarität.

Die liebende Hingabe Gottes

Franziskus sucht Gott in der Not, in der Armut  und im Elend. Er wollte mit eigenen Händen greifen und mit eigenen Augen sehen, was es bedeutet, wenn Gott im Futtertrog liegt und ans Kreuz geschlagen wird. Krippe, Kreuz und Eucharistie sind die armen Zeichen des armen Gottes.

Maurice Zundel hat in seinem zutiefst mystischen Werk gezeigt, wie sehr die Armutsauffassung des Franziskus eine neue Deutung des Gottesgeheimnisses fordert. Gott ist kein «être possessif», kein Wesen, das irgendetwas besitzt, sondern ein «être oblatif», ein Wesen, das sich hingibt. «Gott ist Gott, weil er nichts hat. Er ist alles, indem er ist, er ist alles, indem er Beziehung ist, weil er nichts hat, weil er nichts haben, nichts besitzen kann, seit Ewigkeit her alles verloren hat, wesentlich Entleerung ist, unendliche, ewige, personifizierte Entleerung. Das ist es, was Franziskus entdeckt. … Jetzt muss Schluss sein mit diesem Besitzergott, mit Gott als Meister und Despot. … Gott hat seit Ewigkeit her auf alle Macht verzichtet. Er will nichts können wollen, er will nur geben können. Es gibt nichts anderes in ihm als Liebe. Er will uns ausschliesslich mit seiner Liebe berühren, wie auch wir Gott nur mit unserer Liebe erreichen können. Das ist ein unbekannter Gott, … ein Gott, den die Christen noch nicht einmal zu kennen begonnen haben. Immer noch denken wir Gott, wie man ihn vor dem Erscheinen Christi denken konnte. Man vergisst, dass Gott sich durch das durchsichtige Menschsein Jesu offenbart. Er ist das wahre Gesicht Gottes, und das ist das Gesicht der Armut, das Gesicht der Zerbrechlichkeit.»

Kirchliche Gemeinschaft

Für Franziskus gibt es keine Alternative zur Kirche. Denn allein durch sie erreicht uns der arme Gott, nur über sie ist uns das Wort vom armen Gott überliefert, nur über sie, über die erdnahen, bescheidenen Zeichen von Brot und Wein, findet Begegnung statt mit dem menschgewordenen, zerbrechlichen Gott. Maurice Zundel: «Man musste alles ändern, alles in Frage stellen, die ganze Bibel, die ganze Tradition, die ganze Liturgie, die ganze christliche Moral, die ganze Philosophie, die ganze Erkenntnislehre, die Wissenschaft, das Eigentum, die Hierarchie. Denn alles musste von der Äusserlichkeit ins Innere verlegt, alles auf eine andere Ebene gebracht werden, auf die Ebene der Ehe und der Liebe, auf die Ebene der absoluten Freiheit.»

Schwestern und Brüder

Das Wort, das sich am besten eignet, um die menschlichen Beziehungen zu kennzeichnen, ist «Schwester/Bruder». Franziskus bezieht sich dafür auf einen Ausdruck des Apostels Petrus. In seinem Brief spricht er vom «liebenden Gehorsam». Man muss also die Ohren zu den andern hin ausstrecken, um wirklich lieben zu können. Man muss das Herz öffnen, um aufmerksam sein zu können. Man muss den Menschen zärtlich zuhören, aber auch dem Wolf, dem Baum und dem Stein. Denn alles ist vom Vatergott geschaffen, alle Geschöpfe sind eine universale Familie. Die Natur verehren ist etwas völlig anderes als Geschöpfe als seine Brüder und Schwestern achten.

Anton Rotzetter