courtesy

Besuchen Sie unseren neuen Shop. Sie finden ein vielfältiges Kartensortiment und gesegenete Kerzen. Wir freuen uns auf Sie. Herzlichen Dank für Ihre Bestellung!

Die Menschen in Tansania dürfen das Lied vom Frieden singen. Denn sie wissen, wie sehr Gott ihr Land in diesen Jahren des Umbruchs Afrikas mit dem kostbaren Geschenk des Friedens bedacht hat. Einige recht augenfällige Voraussetzungen haben das friedliche Zusammenleben der Menschen in Tansania begünstigt. Teils sind sie in der Geographie des Landes begründet, teils in der besonderen Art der Menschen, die hier leben.

Kein Streit um Boden

Zunächst ist Tansania ein Land, das fast überall als Acker- und Weideland genutzt werden kann. Die Bewohner haben keinen Grund, miteinander um Land und Wasser zu streiten. Der reichlich vorhandene Boden erlaubt den Leuten, sich frei und ungehindert an einem neuen Ort niederzulassen, wenn sie sich nur an die gesetzlichen Bestimmungen halten. Die natürlichen Ressourcen sind von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen gleichmässig über das ganze Land verteilt.

Kein dominierender Stamm

Es kommt dazu, dass die fast 124 Stämme über das ganze Land hin sich aufteilen. Keiner von ihnen macht mehr als 15 oder 20% der Gesamtbevölkerung aus. Im übrigen Afrika sind in den letzten Jahren oft Stammeskonflikte ausgebrochen, weil einer oder mehrere dominierende Stämme oder ethnische Gruppen für sich eine privilegierte Stellung in Anspruch nahmen und die anderen gewaltsam zu unterdrücken versuchten.

In Tansania, einem Land mit mehr als 30 Millionen Einwohnern, macht glücklicherweise kein Stamm und keine ethnische Gruppe mehr als 10% der Gesamtbevölkerung aus. Darum fühlt sich keine ethnische Gruppe von einer anderen bedroht. Keine ist versucht, den anderen die eigenen Kultur aufzudrängen. Gegenseitiges Verständnis und Respekt füreinander bestimmen die Beziehungen zwischen den Stämmen und ethnischen Gruppen.

Eine uralte mündliche Tradition will wissen, dass die Stämme zueinander stehen wie Zwillinge (watani) und Geschwister. Man schaut genau aufeinander und kritisiert sich gegenseitig. Aber es ist ein absolutes Tabu, dass man aufeinander losgeht und gegeneinander kämpft.

Gesprächskultur statt Gewalt

Ein weiterer positiver Faktor für das Zusammenleben ist die Bedeutung, die die Tansanier dem gegenseitigen Vertrauen zumessen. Vertrauen ist für sie eine Gabe Gottes. Darum sind sie immer darauf bedacht, für Frieden und Harmonie als einer Gabe Gottes einzutreten. Sie sind bereit auf persönlichen Vorteil und Nutzen zu verzichten, wenn sie so zum friedlichen Zusammenleben beitragen können. Zu Gewaltanwendung greifen sie nur in Ausnahmesituationen. Wenn immer möglich versuchen sie auftretende Konflikte durch Gespräche zu lösen. Man hat die Tansanier auch schon „Waswahili“ genannt, was so viel meint wie „gesprächsfreudige Menschen“. Statt in Konflikten physische Gewalt anzuwenden, besprechen sie die Dinge so lange, bis sich eine Lösung ergibt.

Friedliche Entkolonialisierung

Wichtig für ein friedliches Zusammenleben wurde auch die besondere Situation der Kolonialisierung, in der sich Tansania vor der Unabhängigkeit im Jahr 1961 vorfand. Im Unterschied zu vielen afrikanischen Staaten hat sich Tansania die Unabhängigkeit nicht mit Waffengewalt erobert. Das hängt damit zusammen, dass Tansania, damals noch Tanganyika, 1921 nach dem Ersten Weltkrieg von den früheren deutschen Kolonialherren an die Engländer überging und zu einem englischen Protektorat wurde. Im Gegensatz zu vielen früheren Kolonialländern hatte darum Tansania einen relativ geringen Anteil an weissen Siedlern, die bei der Übernahme der Macht durch die schwarzen Tansanier hätten bewaffneten Widerstand leisten können.

Man kann davon ausgehen, dass in einem Volk, das in seiner Geschichte in blutige Auseinandersetzungen verwickelt wurde, die Bereitschaft zu einer Kultur der Gewalt latent vorhanden ist. Glücklicherweise hat das tansanische Volk keine solchen schrecklichen Erfahrungen machen müssen. Deshalb ist im Volk die Überzeugung tief verankert, dass der Verzicht auf Gewaltanwendung sowie intensive Verhandlungen und Gespräche gute Wege sind, um die eigenen Rechte durchzusetzen und zu erlangen.

Weiser Nyerere

Auf dem Weg zur Unabhängigkeit konnte Tansania zudem auf die weise Führung vom Mwalimu Julius Kambarage Nyerere zählen. Zu Recht nennt man ihn den Vater der Nation. Er stellte die Unabhängigkeit gleich von Anfang an unter die Worte: FREIHEIT, EINHEIT und GLEICHHEIT.

In der Nationalhymne – sie ist eigentlich ein Gebet – werden diese Worte immer und immer wieder wiederholt. Die Tansanier sind überzeugt, dass der Friede, den sie geniessen dürfen, ein Geschenk ist, das ihnen unmittelbar aus den Händen Gottes zukommt. Jeder, der für Gewaltanwendung eintritt, stellt sich diametral gegen den Geist der Nation.

Einigendes Kisuahili

Um diese geheiligten Werte von Freiheit, Einheit und Gleichheit durchzusetzen, hat Nyerere das System der Machtausübung durch Häuptlinge abgeschafft und dadurch der Vorherrschaft der Stammesinteressen die organisatorische Grundlage entzogen. In die Mitte stellte er den Sinn für die Nation. Die Partikular-Interessen und die selbstbezogenen Egoismen von Stämmen und ethnischen Gruppen haben zu schweigen. So hat er auch Kisuahili zur Sprache der Nation erklärt. Da keine ethnische Gruppe Kisuahili als ihre eigene Sprache kannte, konnte sie auch leichter von allen als Nationalsprache akzeptiert werden. Keine Gruppe muss sich diesbezüglich einer anderen überlegen oder unterlegen fühlen. Aus diesem Grund wurde gerade die gemeinsame Sprache Kisuahili zu dem Faktor, der am meisten dazu beigetragen hat, das Land zu einer Einheit zusammenzuführen.

Ujamaa

Präsident Nyerere legte auch ein entschiedenes Gewicht auf klare Führung und klare Ziele. Priorität hatte die Überwindung von Armut, Krankheit und Analphabetismus. Alle Anstrengungen des Volkes sollten gegen diese seine Erzfeinde gebündelt werden. Wenn ein Volk klare Prioritäten hat und eine überzeugende politische Führung, dann kann es zu einer Einheit zusammenwachsen und den Sinn für echte Geschwisterlichkeit entwickeln.

Das war auch das Ziel der sogenannten Ujamaa-Politik („Afrikanischer Sozialismus“). Diese führte die Tansanier zusammen zu einer grossen Familie. Klassen- und Kastenunterschiede wurden nicht mehr geduldet. Natürlich blieben Unterschiede bestehen, aber sie waren nicht mehr im gesellschaftlichen System begründet. Der Geist von Ujamaa und das Vertrauen in die eigenen Kräfte weiteten den Horizont der einzelnen Bürger. Sie lernten die Bedürfnisse der anderen sehen und tatkräftig füreinander einzustehen.

Armee: Teil des Volkes

Auch das Militär wurde in diese politische Zielsetzung einbezogen. Man erzog die Soldaten zu Schützern des Volkes, nicht zu Helfern der politischen Führungsschicht. Die Armee verstand sich als Teil des Volkes und setzte sich nicht als eigene Klasse vom Volk ab. Sie hätte sich auch nie dazu hinreissen lassen, die jeweilige Regierung zu stürzen. Ein solches Vorgehen wäre für die Armee wie ein Mordanschlag auf das eigene Volk gewesen. Sie hätten dem Volk nicht erklären können, was das Ziel eines derartigen Militärputsches sein könnte. Es ist auch festzuhalten, dass eine erhebliche Anzahl von Offizieren, Frauen und Männer, nach ihrer militärischen Laufbahn prominente Politiker geworden sind.

Einparteiensystem

Zur Einheit beigetragen hat unzweifelhaft auch das Einparteiensystem. Zur Zeit der Unabhängigkeit gab es keine Parteien, die miteinander rivalisierten. Das Volk scharte sich hinter eine einzige Partei, die TANU (Tanganyika National Union) in Tansania und die ASP (Afro Shirazy Party) auf Sansibar. Diese beiden Parteien wurden später, bei der Vereinigung der beiden Länder im Jahr 1977, zur CCM (Chama cha Mapinduzi) vereinigt. Damals war das nicht so schwierig, war doch das Volk politisch recht unerfahren und unschwer für dieses Vorhaben zu gewinnen. Heute kommt uns das damalige Einparteiensystem eher wie die Diktatur einer Partei vor. Die friedliche Einheit des Landes war eher eine erzwungene Sache. Aber paradoxerweise konnten gerade wegen dieser erzwungenen Einheit im Laufe der Zeit wahrer Friede und wahre Harmonie aufgebaut werden.

Freiheit für Afrika

Ein wichtiger Faktor beim Aufbau des Landes war das klare Engagement für die Unabhängigkeit und Freiheit von ganz Afrika. Die Liebe und Begeisterung für die Nation, so wie Nyerere sie verstand und förderte, war fern von jedem Nationalismus und jeder Fremdenfeindlichkeit. Unmittelbar nach der Erlangung der Unabhängigkeit stand Tansania an vorderster Stelle im Kampf gegen den Kolonialismus und alle anderen Formen von Ausbeutung. Dar es Salaam wurde die Hauptstadt der Unabhängigkeitsbewegungen von Mozambique, Simbabwe, Angola, Namibia und Südafrika. Nyereres intellektueller Scharfsinn und seine rednerische Begabung überzeugten die Tansanier, dass sie erst dann wirklich unabhängig und frei sind, wenn auch die Nachbarländer Unabhängigkeit und Freiheit erlangt haben. So wurde die Förderung der Unabhängigkeit der benachbarten Länder ein weiteres Ziel, das das Volk zusammenhielt. Voll Stolz verfolgten Armee und Volk gemeinsam dieses Ziel.

Blockfreiheit

Wichtig wurde für Tansania seine Aussenpolitik der sogenannten Blockfreiheit. Diese Politik hat Tansania wirklich unabhängig gemacht von fremder Einmischung in seine Innenpolitik. Viele afrikanische Staaten standen während des Kalten Krieges im einen oder anderen Lager der beiden Supermächte: auf der Seite des kommunistischen Lagers gegen den Westen oder im kapitalistischen Lager gegen den Osten. Die beiden grossen Rivalen taten alles, um dem Gegner und seinen Verbündeten zu schaden. Viele Kriege, die sich in afrikanischen Staaten über Jahre hinzogen, waren Folgen dieser Rivalität der Supermächte. Die Einheit einer Nation stand auf dem Spiel, wenn die Anhänger der einen und der anderen Supermacht sich im eigenen Land bekämpften. Darum setzte Tansania auf den Afrikanischen Sozialismus (Ujamaa) und schloss sich nie einem der einander bekämpfenden Systeme an. Dadurch stand Tansania allein und verlor in einem gewissen Sinn den Kontakt mit der Aussenwelt. Für unsere Tourismusindustrie hatte das negative Folgen. Sie konnte sich nicht so entwickeln, wie es eigentlich dank des Reichtums und der Vielfalt des Landes möglich gewesen wäre.

Religiös neutraler Staat

Ein entscheidender Faktor in der Entwicklung Tansanias liegt in der Verfassung des Landes. Diese hält ausdrücklich fest, dass Tansania kein religiös gebundener Staat ist. Der Staat als solcher und die politischen Parteien sind an keine Religion gebunden. Der einzelne Bürger ist frei in der Wahl und Ausübung seiner Religion. Nur am Gemeinwohl findet die Ausübung der religiösen Überzeugung ihre Grenzen. Im religiösen Kontext von Tansania ist das sehr wichtig. Denn in Tansania leben neben- und miteinander Christen, Muslime und die Vertreter der alten Stammesreligionen. Alle religiösen Gruppen haben das Recht, ihren Glauben im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen auszuüben und ihn den anderen Menschen anzubieten. In den letzten Jahren, d.h. nach dem Rückzug von Nyerere aus der Politik, traten allerdings vermehrt Spannungen zwischen den Religionsgemeinschaften auf. Islamistische Fundamentalisten gefährden durch Angriffe auf die Christen das überkommene friedliche Zusammenleben der Religionen. Es ist ein Glück, dass die Christen nicht zurückschlagen. Sonst wäre es um den Religionsfrieden in Tansania geschehen.

Gefährdeter Religionsfriede

Es gab zeitweise auch eine Untergrundorganisation, die Tansania in die islamische Welt eingliedern wollte. Sie wollte Tansania zu einem muslimischen Staat erklären, was einem totalen Bruch mit der Verfassung gleichgekommen wäre. Die Regierung hat aber sofort reagiert und diese Forderung scharf zurückgewiesen.

Zur Zeit bemüht sie sich diskret aber wirksam, die Situation unter Kontrolle zu halten. Doch ist der Frieden zwischen den Religionen im Augenblick wohl der heikelste Punkt der tansanischen Gesellschaft. Wenn der Religionsfriede weiterhin gewährleistet sein soll, müssen die Regierung und die politischen Parteien alle Vorsichtsmassnahmen treffen, damit der Fundamentalismus unter Kontrolle bleibt.

Globaler Kapitalismus

Ein ernsthaftes Problem stellt das Auseinanderfallen der Bevölkerung in verschiedene wirtschaftliche und soziale Klassen dar, eine Folge des globalen Kapitalismus, der zur Auflösung der überlieferten sozialen und wirtschaftlichen Strukturen geführt hat. Die Armen werden immer ärmer, die Reichen immer reicher. Die ausländischen Investoren sind am Wohlergehen des Volkes meist nicht interessiert. Sie gehen allein auf möglichst grossen Profit aus. Die Korruption nimmt überhand, angefangen von ganz oben bis zum kleinen Strassenhändler.

Nicht unproblematisch ist heute die Einführung des Mehrparteiensystems: Einzelne Parteiführer könnten die Unwissenheit der Bevölkerung ausnützen und eine trennende Ideologie propagieren. Dies führte zu einem Auseinanderbrechen der tansanischen Gesellschaft in verschiedene Stämme, Religionen und politischen Ideologien.

Dank und Hoffnung

Zu Überheblichkeit hat Tansania keinen Anlass. Dankbar dürfen wir anerkennen, dass dieses Land eine Insel des friedlichen Zusammenlebens geworden ist. Die politische Unabhängigkeit Tansanias wird erst an ihrem Ziel ankommen und das Volk wirklich in Frieden leben können, wenn die umliegenden Nachbarstaaten nicht mehr verbluten. An den Folgen der kriegerischen Konflikte in diesen Ländern haben wir immer mitgetragen. So kam es zu Flüchtlingsströmen aus Mozambique, Ruanda und der Republik Kongo. Unser Hoffen und Beten geht dahin, dass eines Tages der ganze afrikanische Kontinent in Frieden leben kann und alle seine Völker vom wirtschaftlichen und sozialen Fortschritt profitieren.

William Ngowi
Übersetzung: Thomas Morus Huber

ite1999-5

Afrika - der vergessene Kontinent

ite 1999/5

Wie ein Kontinent verachtet wird
Tansania: Insel des Friedens
Vom Süden in den Süden