courtesy

Besuchen Sie unseren neuen Shop. Sie finden ein vielfältiges Kartensortiment und gesegenete Kerzen. Wir freuen uns auf Sie. Herzlichen Dank für Ihre Bestellung!

Zum neuen Stil aus Rom

Die lebendigste Geschichtsstunde, die ich in meiner Schulzeit erleben durfte, war diejenige, als uns die Lehrerin die Geschichte von Alexander dem Grossen und dem gordischen Knoten erzählte. Das Orakel prophezeite nach der Sage, dass die Herrschaft über Asien demjenigen gehören würde, der den gordischen Knoten lösen könne. Viele versuchten den Knoten zu lösen, niemand schaffte es. Um 333 v. Chr. war Alexander der Grosse mit einem riesigen Heer unterwegs, um Persien zu erobern.

Den gordischen Knoten lösen

Eines Tages stand Alexander der Grosse vor dem gordischen Knoten und die Soldaten schauten ihren Feldherrn erwartungsvoll an. Der Knoten war immens. Was wird er tun? Der gewiefte Feldherr liess sich nicht lange bitten. Er zückte zur Überraschung aller sein Schwert, hob seine Arme kraftvoll und zerschlug den Knoten in Fetzen. Vom Knoten und auch von den Seilen war nicht mehr viel zu sehen. Begeistert jubelten die Krieger: Asien gehört uns!

Ganz überzeugend ist die Schwert-Methode jedoch nicht. Die verknüpften Seile waren zerstört und für nichts mehr zu gebrauchen. Schon in der Zeit des Paulus kursierte eine andere Version, die die Gewalt durch Intelligenz ersetzt. Derzufolge hat Alexander das Problem mit Denken gelöst. Er habe den Knoten ruhig studiert und dann mit Hilfe eines Beraters gemerkt, dass er einen Deichselnagel lösen müsse, damit er das Joch des Wagens wegziehen und so den Knoten entwirren könne.

Dialogisch und argumentierend

Ich stelle manchmal bei mir fest, dass ich beim Problem- und Entwicklungsstau in der römischkatholischen Kirche gefühlsmässig oft gerne zur Schwertmethode greifen würde. Zum Glück bremst mich der Verstand. Nein, mit Gewalt und Diktatur lösen sich keine Probleme. Da braucht es andere Wege. Und solche lassen sich meines Erachtens bei Papst Franziskus entdecken. Das zeigt sich nicht nur am «Guten Abend» (Buona Sera)  nach der Wahl des neuen Bischofs von Rom, sondern auch in seinen Schriften und vor allem in Interviews, die argumentierend und dialogisch geschrieben wurden. Papst Franziskus vermittelt primär Argumentationen und nicht Deklarationen. Andere Argumente nimmt er ernst und ist offen für überraschende Sichtweisen.

Im Folgenden möchte ich das eben Genannte verdeutlichen. Vielleicht zeigt sich damit, warum die grossen Veränderungen in der römisch-katholischen Kirche noch nicht durchgeboxt oder eben die alten Seilschaften nicht zerhauen wurden.

Geduldig die Knoten lösen

Jorge Mario Bergoglio hat in Deutschland in der Augsburger Jesuitenkirche St. Peter am Perlach das Bild Maria Knotenlöserin entdeckt – das Bild ist hier im Heft abgedruckt. Der Betrachter sieht Maria anmutig mit einem Seil in den Händen. Ohne Hetze und mit Unterstützung einiger Engel löst sie Knoten um Knoten auf. Über ihr schwebt der Heilige Geist.

Bergoglio war von diesem Bild so fasziniert, dass er diese Art von Muttergottesbild mittels Postkarten nach Argentinien mitgebracht und verteilt hat. Er lernt also von einer ihm fremden Kultur neue Sichtweisen und gibt diese weiter. Heute ist Maria Knotenlöserin «ein Bild, dessen Verehrung zu einem ausgesprochen populären Phänomen der Volksfrömmigkeit in Buenos Aires geworden ist». Dies berichten die beiden Journalisten Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti. In der Kirche San José del Talar (Buenos Aires, Argentinien) hängt heute sogar eine Kopie des Bildes von St. Peter am Perlach, welches an jedem Achten des Monats viele Pilger anzieht.

Heilsame Liebe wächst

Sergio Rubin und Francesca Ambrogetti fragten Jorge Mario Bergoglio, der 2010 noch Erzbischof von Buenos Aires und Kardinal war: «Ist es nicht so, dass die Kirche das Leid als Weg zu Gott zu sehr betont hat und weniger die Freude der Auferstehung?» Bergoglio antwortet: «Es stimmt, dass man in einer bestimmten Zeit die Frage des Leidens übertrieben hat. Mir kommt einer meiner Lieblingsfilme in den Sinn, Babettes Fest, wo man einen typischen Fall sieht, wie Verbote und Grenzziehungen übertrieben werden. Die Hauptpersonen sind Menschen, die einen übertriebenen puritanischen Calvinismus leben. Das geht so weit, dass die Erlösung durch Christus so gelebt wird, dass man alle Dinge dieser Welt ablehnt. Als dann die Frische der Freiheit erfahrbar wird, während eines üppigen Festessens, werden schliesslich alle verwandelt. Eigentlich wusste diese Gemeinschaft nicht, was die Freude ist. Sie war erdrückt durch das Leid. Sie klebte am Fahlen dieser Welt. Diese Menschen hatten Angst vor der Liebe.»

Die kirchliche Selbstkritik wird in dieser Antwort zwar deutlich, aber nicht verletzend, sondern befreiend formuliert. Liebe und ein feines Mahl lösen die Knoten der ängstlichen Gemeinschaft. Bergoglio demaskiert Weltflucht als Angst und weist auf eine Liebe hin, welche Weltflucht und Angst überwindet. Liebe kann und darf schon hier gelebt und erfahren werden und führt so auch zur Freude am Leben, am Sein.

Ein Bild voller Hoffnung

Die beiden Journalisten lassen nicht locker und insistieren: «Aber das wichtigste Symbol des Katholizismus ist doch Christus als der Gekreuzigte, aus dessen Körper Blut strömt …». Bergoglio antwortet differenziert mit mehreren Zugängen: «Die Weisse Kreuzigung von Chagall, der ein gläubiger Jude war, ist nicht grausam, sie ist voller Hoffnung. Das Leid zeigt sich darin verbunden mit Seelenfrieden. Meines Erachtens handelt es sich hier um eines der schönsten Bilder, die Chagall gemalt hat.» (S. 45) Damit setzt sich Papst Franziskus ganz deutlich von anderen und älteren Marterbildern ab und kann sogar ein Bild eines jüdischen Künstlers in seine Argumentation einbinden. In seiner Antwort zeigt sich keine christliche Verengung, sondern eine Offenheit auf andere Religionen hin.

Die eigene Geschichte vergisst Bergoglio jedoch nicht: «Wenn wir unseren Blick aber auf die spanische Barockzeit wenden oder nach Cuzco im Hochland in Peru, finden wir Darstellungen eines duldenden, zermarterten Christus, weil die Barockzeit die Passion Jesu betonte.» (S. 45) In ökumenischer Offenheit kann Papst Franziskus auch über den eigenen katholischen Tellerrand schauen und entdeckt hier für den Glauben heilsame Bilder: «Betrachtet man die ostkirchlichen Ikonen, z.B. die russischen, wird man feststellen können: Da gibt es sehr wenige Darstellungen des Gekreuzigten als Schmerzensmann. Vielmehr wird die Auferstehung dargestellt. » (S. 45)

Adrian Müller


Buchhinweis

Die Zitate von Jorge Mario Bergoglio stammen aus dem sehr lesenswerten Buch: Sergio Rubin – Francesca Ambrogetti; Papst Franziskus: Mein Leben, mein Weg; Herder, Freiburg im Breisgau, 2013, 223 Seiten, ca. CHF 47.–. Der Titel der argentinischen Erstausgabe von 2010 war: El Jesuita, Conversaciones con el cardenal Jorge Bergoglio, sj.