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Über 300 000 Kindersoldaten

Er sitzt ganz reglos hinter dem Baum und lauscht angestrengt in den Wald hinaus. Ganz vorsichtig späht er um den Baum herum, zieht sich aber blitzschnell wieder zurück. Dort – hinten hat sich etwas bewegt. War es sein Gegner? Er überprüft nochmals die Lage und beschliesst, sich langsam vorwärts zu tasten. Tatsächlich – dort rennt sein Feind. Bum, bum, bum – doch der Feind springt schnell in Deckung. „Halt – du musst jetzt umfallen! Du bist jetzt tot!“ ruft er in den Wald hinein. Er hält sein Holzgewehr immer noch in die Richtung des geflüchteten Kameraden. Kennen wir dieses Kinderspiel nicht?

Realitätsspiel

Er sitzt ganz angespannt hinter der Hausmauer und beobachtet die Strasse. Ganz geschickt späht er um die Ecke und beurteilt sofort die Situation. Dort – hinter jenem Haus – hat da nicht jemand auch hervorgelugt? Schnell nimmt er sein Maschinengewehr in den Anschlag, zielt nicht lange, drückt auf Dauerschuss und schiesst in Richtung des Hauses auf der anderen Strassenseite. Getroffen? Er weiss es nicht. Und dieses Kriegsspiel – kennen wir dies auch?

Bedrückendes Bild

Einen Artikel über Kindersoldaten zu schreiben ist gar nicht so einfach. Da sitze ich als Mitteleuropäer vor dem Computer und soll wissen, was mit den Kindern in der Welt draussen so alles geschieht. Nach der Lektüre einiger Artikeln in der Zeitschrift „der überblick“ (Quartalszeitschrift der Arbeitsgemeinschaft Kirchlicher Entwicklungsdienst, BRD) eröffnet sich vor mir nach und nach ein Bild, das ich mir so nie vorgestellt habe.

Weltweit stehen mehr als eine Viertelmillion Kinder unter 18 Jahren im Dienste von Milizen und Guerillaorganisationen. Die Liste der Länder und Regionen ist lang. Von Lateinamerika über Afrika bis weit in den asiatischen Raum finden immer wieder Konflikte und Kriege statt, in welchen die Kinder voll und ganz miteinbezogen werden.

Terror macht gefügig

Es gibt verschiedene Gründe und Wege, die die Kinder in den Krieg führen. Oft zwingen soziale, wirtschaftliche und gesundheitliche Schwierigkeiten (Hungersnot, Verlust der Familie) die Minderjährigen, sich den kämpferischen Gruppierungen anzuschliessen. Dort erhoffen sie sich Schutz und soziale Geborgenheit. Doch was sie dann erwartet, ist pure Grausamkeit.

Meistens aber werden die Kinder entführt oder mittels falscher Versprechungen (Ausbildung, Berufslehre) ihren Eltern entrissen. Dann folgt eine harte, gnadenlose Ausbildung. Die Kinder werden durch massive Einschüchterungen auf den Kampf im Felde vorbereitet. Selbst vor dem Einsatz von Drogen und Vergewaltigungen wird nicht zurückgeschreckt, um die Kinder gefügig zu machen. Die Kinder, egal ob Mädchen oder Knabe, werden zu harten Einwegkämpfern herantrainiert. Märtyrertod oder Selbstmordkommandos sind selbstverständliche Vokabeln in den Trainingscamps. Die meisten Kinder rechnen damit, zu sterben, bevor sie erwachsen sind.

Abrichten für den Krieg

Die Aufgaben von Kindersoldaten reichen von einfachen Botengängen, Späherarbeit, Lebensmittelbeschaffung, Minensuche bis hin zum Töten im Nahkampf. Aus den Kindern werden zuerst Opfer, dann Täter. Kindersoldaten muss man mehr fürchten als erwachsene Soldaten. Denn die Kinder sind nicht in der Lage, zwischen Phantasie, Spiel und Wirklichkeit zu unterscheiden.

Die „bösen Buben“

Wenn wir glauben, dass dies eine moderne Erscheinung dieses Jahrhunderts ist, so lohnt es sich, in die Geschichte zurückzublicken. Nicht quasi als Entschuldigung oder Ausrede, sondern um aufzuzeigen, dass es hier um ein Problem geht, dass wir Menschen heute immer noch nicht im Griff haben. Im Rittertum wurden die Knaben den Rittern als Knappen beigestellt. So sind sie als billige Hilfskräfte und gefügiges Werkzeug immer wieder mit in den Kampf gezogen, bis sie selber den Platz auf dem Pferd einnehmen durften. Vom Dreissigjährigen Krieg weiss man, dass aus den oben aufgeführten Gründen die Kinder mit in den Krieg genommen wurden. Die Pest hat zudem manchem Kind die Familie geraubt. So blieb wohl nur die „Kampffamilie“ als „geborgener“ Ort übrig. Im 14. und 15. Jahrhundert kannte man den Begriff Kindheit nicht. Man bestimmte das Alter auf Grund der Kraft und Körpergrösse eines Kindes. Mit 16 Jahren war sowieso die Kindheit zu Ende.

Kadetten prügeln

Im 16. Und 17. Jahrhundert kommt die Kadettenerziehung auf. Sie entstand aus dem Bedürfnis, den sexuellen Ausschweifungen der Gesellschaft und der schlechten Universitätsausbildung Gegensteuer zu geben. So haben die religiösen Erziehungsorden diese Aufgabe übernommen. Kadettenerziehung bedeutete: absolute Disziplin und blinder Gehorsam gegenüber allen religiösen Normen. Freundschaft und Sexualität wurden rigoros unterbunden. Es zählte nur Fechten, Reiten, Schiessen und Exerzieren. Ja – auch damals wurden verarmte Landadelssöhne eingefangen und gegen den Willen der Eltern in Kadettenanstalten eingesperrt. Erst der Einfluss von Rousseau und Pestalozzi brachte nach und nach eine Humanisierung der Erziehungsmethoden.

Religiöser Wahnsinn

Dass die Religionen in dieser ganzen Problematik auch heute noch eine wesentliche Rolle spielen, zeigen Beispiele von Guerillaführern in Afrika, die in ihrer religiösen Zwangsneurose Kinder brutal in den Krieg stossen, begründet mit biblischen Aussagen – oder wenn im islamischen Raum in den Koranschulen den Kindern der „Heilige Krieg“ eingetrichtert wird, um sie auf ihren Märtyrertod vorzubereiten.

Vom Kindersoldat zum Schulkind

Und wenn der Krieg vorbei ist? Was dann? Die Wiedereingliederung der traumatisierten Kindersoldaten in das Alltagsleben ist keine leichte Aufgabe. Es gibt wohl weltweit verschiedene Hilfsorganisationen, die sich mit dem Problem der Kindersoldaten und ihrer Resozialiserung auseinandersetzen. Man hat erkannt, dass mit Psychotherapie und Psychopharmaka nur Symptombehandlung betrieben wird. Es braucht mehr – viel mehr.

Die Kinder haben durch die oft gewaltsame Einführung in das Soldatenleben einen Identitätsbruch erlebt. Sie bleiben einige Jahre in diesem Leben gefangen – und dann – sollen sie plötzlich von einem Tag auf den andern wieder „normale“ Kinder sein. Dies bringt einen weiteren Identitätsbruch mit sich. Hier gilt es, die Kinder glaubhaft ernst zu nehmen; vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben.

Echte Wiedereingliederung erfordert viel Offenheit und Toleranz, Zeit und Geduld; Raum, in dem die Kinder lernen, zu arbeiten und in einer Gemeinschaft zu leben. Es gibt wenig wirksame Hilfsprogramme, aber es gibt sie. Dagegen scheitern diese Projekte allzu oft am Zögern der Geldgeber. Denn die Früchte einer solchen Arbeit sind nicht schnell sichtbar. Und eine weitere Schwierigkeit kommt hinzu: Oftmals beginnt der Krieg von Neuem – dann führt der Weg wieder zurück in den Kampf.

Tauziehen um Mindestaltersgrenze

Und das Parkett der hohen Politik? Dort streitet man sich zur Zeit um ein Zusatzprotokoll für die UNO-Kinderrechtskonvention. Hauptstreitpunkt: das Mindestalter von Kindern für die Rekrutierung als Soldaten. Zur Zeit liegt die Altersgrenze bei 15 Jahren und angestrebt wird 18 Jahre. Die Grossmacht USA ist ein Hauptgegnerin dieses Zusatzprotokolls. Sie besteht auf ihrer Rekrutierungspraxis auf der Basis von 17 Jahren. Das Zusatzprotokoll wäre freiwillig und kann niemandem aufgezwungen werden. Trotzdem könnte eine solche Vereinbarung völkerrechtlich gewissen Druck ausüben.

Den Krieg abschaffen

Was erwartet uns im 21. Jahrhundert? Was können wir unternehmen, damit die Kinder dieser Welt in ihrer Kindheit geschützt bleiben? Eine menschliche Gesellschaft ohne Kriege ist eine erstrebenswerte Utopie. Deshalb müssen wir mit der Aufklärung fortfahren! Die internationalen und nationalen Konventionen bedürfen dringender Nachbesserungen, damit Kinder und Jugendliche einen stärkeren Schutz erhalten. Es muss eine weltweite Überwachung geben!

Stefan Rüde

 

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Strassenkinder