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Glauben hat sich in den letzten Jahren verändert

In den letzten 50 Jahren seit dem II. Vatikanischen Konzil (1962–1965) war es in der religiösen Szene der Schweiz alles andere als windstill. Vor allem drei Ereignisse werfen bis heute hohe Wellen:

Das Konzil scheidet die Geister

Wie arm dran wären wir katholischen Christen ohne das II. Vatikanische Konzil. Wenn es diese Versammlung nicht gegeben hätte,

• dann würde man Religionsfreiheit und Toleranz noch immer als verderbliche Produkte des modernen Zeitgeistes ansehen;

• dann wären nichtkatholische Christen noch immer zweitklassige Christen, deren Kirchen erhebliche Defizite aufweisen;

• dann wären die übrigen Weltreligionen noch immer ein Tummelfeld für fundamentalistische Eiferer;

• dann könnten wir immer noch nur passiv lateinischen Hochämtern und gegen die Wand gelesenen Winkelmessen beiwohnen;

• dann wäre immer noch das Kirchenrecht wichtiger als die Bibel;

• dann würde die Kirche immer noch als ein übernatürliches «Imperium Romanum » verstanden: an der Spitze als absoluter Alleinherrscher der Papst, darunter die Aristokratie der Bischöfe und Priester und schliesslich das Untertanenvolk der Gläubigen;

• dann würde unsere säkulare Welt noch immer vor allem negativ bewertet
und würden die Fortschritte der Menschheit noch immer beargwöhnt.

Viele haben dieses Erbe des Konzils begrüsst und dankbar angenommen. Sie haben versucht, seine Impulse und Reformen in die Praxis umzusetzen. Mit Synoden, Pastoralforen, Bildungsveranstaltungen und Medien war man bestrebt, die Anliegen des Konzils für das Leben der Kirche und eines jeden Christen fruchtbar zu machen.

Doch diese Konzilseuphorie teilten nicht alle. Schon auf dem Konzil selber und bald danach versuchten gewisse kirchliche Kreise, die Konzilsbeschlüsse zunächst zu verwässern oder zu blockieren. Eine nicht kleine Gruppe opponierte gegen wesentliche Postulate des Konzils (z.B. Religionsfreiheit, Ökumene, Liturgie, Öffnung zur Welt). Am extremsten und lautstark äusserte sich Erzbischof Lefebre. Er wurde in den Achtzigerjahren exkommuniziert, seine Anhänger sind heute eine katholikale Sekte.

In den letzten Jahren kommentierten die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. und das Gros der Bischöfe die Konzilstexte aus einer rückwärtsgewandten Haltung heraus. So ist es nicht verwunderlich, dass man sich mit dem «Geist» des Konzils zufrieden gibt und immer hemmungsloser die Fenster, die Johannes XXIII. Geöffnet hatte, wieder klammheimlich schliesst. Dass dem so ist, sei stichwortartig an Folgendes erinnert: das neue Kirchenrecht, Angriffe auf die Befreiungstheologie, das päpstliche Schreiben «Dominus Jesus», welches den reformierten Christen das Kirche- Sein abspricht, Neuauflage der Tridentinischen Messe, Aufhebung der Exkommunikation  von vier Bischöfen der Pius-Bruderschaft, darunter ein Holocaustleugner, Bischofsernennungen, Neue  Bussordnung der Schweizer Bischöfe, Laienpredigt usw.

Die Reaktion auf die neuesten «Rückwärtsreformen» erfolgte prompt: Proteste verschiedener Gruppierungen und Organisationen (KirchenVolksBewegung, Tagsatzung u.a.) mit Unterschriftensammlungen und Demonstrationen (z.B. in Luzern). Die Schweizer Bischöfe rufen zur Einheit auf und lassen für dieses Anliegen beten. Wohl noch wichtiger wäre das Gebet um Mut zur Treue zum Konzil und zum Anpacken von Problemen, die auf dem Konzil liegen geblieben sind, wie z.B. Frauenordination, Zölibat, Umgang mit Geschiedenen.

«Religiöse Migranten» im Vormarsch

Während sich engagierte Katholiken um das «Für» oder «Wider» des Konzilsstreiten, suchen in den letzten Jahrzehnten viele vermehrt nach einer neuen religiösen Beheimatung. Eine solche zu finden, dürfte wohl nicht schwierig sein, weil es auf dem religiösen Markt nur so von religiösen  Anbietern mit ihren verschiedensten Angeboten wimmelt. In diesem Zusammenhang spricht man von religiösem Pluralismus, der sich nicht zuletzt einer weltweiten Kommunikation und Mobilität verdankt.

Viele finden bei den evangelikalen Freikirchen (ca.1500verschiedene Gemeinschaften in der Schweiz) oder bei christlichen Sondergruppen (Zeugen Jehovas) eine neue christliche Heimat. Nicht wenige schliessen sich neuen religiösen Gemeinschaften an (z.B. Anthroposophen, Scientologen), die 100–200 verschiedenste Gruppierungen umfassen. Andere machen bei «Religiösen Bewegungen » mit (z.B. Esoterik, Okkultismus), die zahlenmässig wie bedeutungsmässig stark zunehmen. Immer mehr wenden sich den grossen  Weltreligionen zu, wobei der Islam (ca. 4,5% der Bevölkerung) und der Buddhismus bei uns bestens vertreten sind.

Gründe für diese religiöse Fluktuation gibt es verschiedene: viele sind von ihren angestammten Kirchen enttäuscht (vor allem Frauen); andere verlangen nach einer andern Spiritualität; vielfach sehnt man sich nach einer Gemeinschaft, die trägt, was übrigens Christen auch in Bewegungen (z. B. Fokolar, Schönstatt) innerhalb der traditionellen Kirchen z.T. finden könnten.

Verliererinnen dieser «religiösen Migration» sind die Landeskirchen. Wenn auch die Verluste nicht dramatisch sind, so findet doch ein steter und lautloser Auszug aus unseren Kirchen statt, wobei kirchliche Neuzuzüger eher spärlich sind. Wenn sich Kirchenbehörden mit dem biblischen Wort der «kleinen Herde » trösten, dann kann das unter Umständen auch nur eine billige Vertröstung sein. Nicht alle, die sich von den Kirchen abwenden, suchen Anschluss bei einer andern religiösen Gemeinschaft. Mehr als 11% der Bevölkerung in der Schweiz gehören weder einer Konfession noch einer Religion an, darunter erklärte Atheisten, aber auch solche, für die Religion einfachkein Thema ist.

Jeder ist seines Glaubens Schmied

Religionssoziologische Studien stellen fest, dass in den letzten Jahrzehnten in der Schweiz und überhaupt in Westeuropa immer mehr – vor allem jüngere Menschen – innerhalb oder ausserhalb der Kirchen einen neuen Umgang mit Religion pflegen. Sie wollen in Sachen Religion ihr eigener Meister sein. Sie legen sich ihren eigenen Glauben zurecht und lehnen jegliche religiöse Bevormundung ab. Für sie ist Religion Privatsache. Was sie glauben und wie sie glauben, bestimmen sie selber. In ihrem Glauben hat vieles und Unterschiedliches gleichzeitig Platz (Christliches, Buddhistisches, Esoterisches usw.). Sie können sich auf einem riesigen religiösen Markt eindecken und eine Auswahl unter einer Vielzahl von religiösen und weltanschaulichen Angeboten treffen. Wichtig ist, dass der Glaube für sie stimmt und sie sich in diesem Glauben wohlfühlen. Er soll zum Aufbau von Identität beitragen und ihnen bei ihrer Suche nach Sinn im Leben behilflich  sein. Diese private und individualisierte Religiosität verdankt sich einerseits unserer Gesellschaft, die Religionsfreiheit und Privatisierung von Religion ermöglicht. Sie verdankt sich andererseits auch den Kirchen, die uns Christen in die Mündigkeit entlassen haben, die es aber bis heute nicht oder zu wenig geschafft haben, mündige gläubige Menschen auch unter erschwerten gesellschaftlichen Bedingungen kirchlich zu sozialisieren.

Eine Konkurrenz, die fördert?

Ob sich Glaube und Kirche in den nächsten 50 Jahren in ruhigeren Wassern bewegen, ist eher unwahrscheinlich. Denn die polarisierenden Auseinandersetzungen um das II. Vatikanische Konzil werden sich wohl gerade in naher Zukunft noch verschärfen.

Die Vielzahl und Vielfalt religiöser Gemeinschaften wird in unserer globalisierten Welt zunehmen und damit werden unsere traditionellen Kirchen immer mehr einer Konkurrenz  ausgesetzt, die fordert und vielleicht auch fördert. Und ohne Zweifel wird das Modell einer selbstbestimmten Religion in Zukunft Schule machen.

Hildegar Höfliger

 

ite2009-5

Glauben in der Schweiz

ite 2009/5

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Wir sind keine Volkskirche mehr
Kirchen in unruhigen Gewässern