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Von vielen Freundinnen und Bekannten höre ich, dass der Druck auf die Arbeitskräfte in den letzten Jahren massiv zugenommen hat. Familienväter klagen, dass sie ständig Überstunden arbeiten, weil sie sonst die geforderten Leistungen nicht erbringen können. Schwierig ist auch, dass betriebliche Rationalisierungen und Umstrukturierungen sie zu immer längeren Arbeitswegen zwingen, falls sie ihre Familien nicht alle paar Jahre aus dem heimatlichen Umfeld herausreissen wollen.

In den Medien höre ich die Stimmen gewisser Wirtschaftsführer und rechter Politiker. Im Namen der Gewinnmaximierung fordern sie unbegrenzt belastbare, zeitlich und örtlich flexible Arbeitskräfte. Vergessen sie, dass dies Menschen sind? Menschen, die eine Familie und Freunde haben, die an einem bestimmten Ort daheim sind? (Seltsam ist nur, dass oft die gleichen Politiker das Wort Heimat fast inflationär gebrauchen.)

Weiter höre ich von den gleichen Leuten, dass die Steuern gesenkt und dass die Arbeitslosengelder sowie die Sozialausgaben des Staates gekürzt werden müssten. Dann gehe es der Wirtschaft besser, und dann gehe es allen besser. Aber was geschieht mit den Menschen, die von eben jenen Wirtschaftsleuten entlassen wurden und die nun kein Einkommen mehr haben? Soll mir etwa weisgemacht werden, sie seien selber schuld an ihrer Misere und wenn sie nur wollten, würden sie schon eine neue Arbeitsstelle finden?

Wem nützt ein Spekulant?

Schon als Kind habe ich gelernt, dass jeder berufstätige Mensch der Allgemeinheit einen bestimmten Nutzen bringt und dass er deshalb mit Geld entlöhnt wird. (Der Nutzen von Haus- und Erziehungsarbeit wurde damals unterschlagen.) Also: die Putzfrau sorgt für Reinlichkeit, der Kaufmann bringt Produkte zu den Kunden, der Arbeiter stellt zum Beispiel Waschmaschinen her, und ich als Theologin kümmere mich um das seelisch-spirituelle Wohl der Leute.

Was aber tut ein Börsenspekulant für die Allgemeinheit? Warum verdient er gut 200mal soviel wie die Putzfrau? Und warum muss er sein Einkommen nicht einmal versteuern? Offenbar funktioniert unsere Wirtschaft nicht mehr nach dem Prinzip: „Wer arbeitet, der bringt es zu was“, sondern nach dem Prinzip: „Wer hat, dem wird gegeben“. Unter diesen Umständen dürfte das Interesse an der Börsenspekulation zu- und jenes an der soliden Berufsarbeit abnehmen. Und tatsächlich gibt es Ökonomen, die einen solchen Trend feststellen. – Aber wie kommt es heraus, wenn alle möglichst wenig nützliche Arbeit verrichten und möglichst viel Geld gewinnen wollen?

Miserable Arbeitsbedingungen

Immer wieder höre ich von der grossen Armut, welche die Menschen in den südlichen Ländern bedrängt. Gleichzeitig sind die Rohstoffe aus diesen Gegenden (zum Beispiel Kaffee, Zucker, Kautschuk, Baumwolle) auf dem Weltmarkt immer weniger wert. Muss das so sein? Könnten die Handelsfirmen aus den reichen Teilen der Welt nicht etwas grosszügiger sein – und wir halt einen etwas höheren Preis für die Endprodukte bezahlen? Auch die Arbeitsbedingungen und die Löhne sind an vielen Orten im Süden miserabel – zum Beispiel in den Fabriken, wo viele unserer Kleider hergestellt werden. Eine finanzielle Verbesserung für die Arbeiter und Arbeiterinnen würde die Endprodukte nicht sehr verteuern, denn die Lohnausgaben machen sowieso nur einen kleinen Bruchteil des Preises aus. Warum also sollte es nicht möglich sein, bessere Löhne und eine minimale soziale Absicherung für diese Leute hinzukriegen?

Ungerechte Löhne

Mir scheint, einige dieser Fragen beschäftigen nicht nur mich, sondern einen grossen Teil der schweizerischen Bevölkerung. (Nach einer Umfrage des „Sonntagsblick“ empfinden zum Beispiel 70 Prozent der Leute die Löhne in der Schweiz als ungerecht.) Die Ungereimtheiten in der heutigen Geldwirtschaft und die Ungleichheit in der Verteilung des Geldes sind einfach zu krass geworden. Es darf nicht sein, dass diese Fragen weiterhin unbeantwortet bleiben und die Probleme sich noch verschärfen. Und es darf nicht sein, dass in der Wirtschaft soziale und ethische Aspekte weiterhin ausgeklammert werden. Steuergerechtigkeit, anständige Löhne für anständige Arbeit, die Absicherung sozial Schwacher und fairer Handel mit den Ländern des Südens – solche Anliegen müssen ein Thema werden. Nicht nur beim Fussvolk, sondern auch in den Führungsetagen von Banken und Unternehmen, in der Politik und in den Theorien der Ökonomieprofessoren!

Astrid Rotner-Sigrist,
Pastoralassistentin, Wettingen
(Zwischentitel von der Redaktion)

 

Entwicklungspolitische Botschaft für die Schweiz:

  • Wir nehmen Einfluss auf die Budgets in Staat und Kirche.
  • Wir setzen uns für Geldanlagen nach ethischen Kriterien ein.
  • Wir setzen uns für höhere Beiträge für Entwicklungszusammenarbeit in den Budgets der Kirchgemeinden, politischen Gemeinden, Kantone und des Bundes ein. Wir setzen uns für Budgets ein, die lebensfördernd sind für Frauen, Männer und Kinder
  • Wir machen Vorschläge, wie das Vermögen von Einzelpersonen, Kirchgemeinden/Kantonalkirchen, des Staates, der Pensionskassen und der AHV sozial, ökologisch und entwicklungspolitisch verantwortbar angelegt wird.

Wir leben in Rheinsberg, einem kleinen Ort, circa 100 km nördlich von Berlin. Bis vor zehn Jahren gehörten wir zur DDR. Damals war es ziemlich schwierig, als praktizierender und bekennender Christ zu leben. Die Staatssicherheit überwachte unser Leben, ganz besonders auch das unserer Priester. Es gab wenig Möglichkeiten, auf der Karriereleiter nach oben zu kommen, wenn man gradlinig und ohne Kompromisse seinen Weg ging. Eine Mitgliedschaft in einer Partei wäre da hilfreich gewesen. Aber alle Parteien, auch die sich christlich nannten, hatten den gleichen antichristlichen Hintergrund.

„Jugendweihe“

Für unsere Kinder war es schwierig, zum Abitur (Matura) zugelassen zu werden, auch wenn sie ausgezeichnete Leistungen erbracht haben. So waren die Wege zum Studium blockiert. Die „Jugendweihe“, eine Erfindung der DDR, ebnete viele Wege. Sie war ein klares Bekenntnis zum Sozialismus und zum Atheismus. Viele katholische Jugendliche gingen diesen Kompromiss ein, aus welchen Gründen auch immer. Eigentlich war es ein Verrat an Gott und der Kirche; aber man sollte niemanden deshalb verurteilen, ohne seine Begründung gehört zu haben.

Es gab auch die Möglichkeit für die Eltern, um die Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder zu kämpfen. Dies kostete jedoch viel Mühe, Kraft und Zeit und war nicht immer erfolgreich. So gingen einige Familien den Weg des geringsten Widerstandes und schickten ihre Kinder zur Jugendweihe. Ein grosser Teil der Familien entschied sich jedoch gegen diesen Kompromiss. Manche Kinder und Jugendliche wurden von ihren Mitschülern und teilweise auch von Lehrern wegen ihres Glaubens angegriffen.

Hier in unserem kleinen Ort kennt fast jeder jeden. So konnten alle wissen, wer sich zum katholischen Glauben bekannte. Unsere kleine Gemeinde war schon immer sehr aktiv. Der Zusammenhalt war gross. Und wir wussten, wem wir in dieser Zeit vertrauen konnten. Das war wirklich sehr wichtig, auch für unsere Kinder und Jugendlichen. Wer damals zu seinem Glauben stand, war wirklich ein gläubiger und überzeugter Christ. Denn er hatte davon keinerlei Vorteile.

Nach der Wende

Jetzt, nach der Wende, wird kein Christ mehr offiziell verspottet. Es gibt keine Schwierigkeiten in der Schule, im Studium oder bei der Arbeit. Aber die Vorurteile sind geblieben. Wir werden von vielen Seiten wegen unserer „Einfältigkeit“ belächelt. In manchen katholischen Gemeinden sind nach der Wende viele Menschen aus der Kirche ausgetreten. Die Gründe dafür sind vielfältig. Es fängt an bei der Kirchensteuer, die ja nun vom Staat einkassiert wird.

Aus unserer kleinen Gemeinde ist niemand auf der Strecke geblieben. Der Zusammenhalt ist weiter gewachsen. Das ist ein Glücksfall, aber nicht die Regel. In vielen sehr grossen Gemeinden leben die Katholiken sehr anonym. Sicherlich gibt es in jeder Gemeinde einen „harten Kern“. Aber wenn man als Gast oder Urlauber in eine solche Gemeinde kommt, wartet man meistens nach dem Gottesdienst umsonst auf eine freundliche Begrüssung. Das ist uns besonders aufgefallen, wenn wir in Orten waren, wo es sehr viele Katholiken gibt. Traditionen sind da ganz wichtig, aber schon das Handgeben beim Friedensgruss wird zum Problem. Für Anders- oder Nichtgläubige ist das nicht besonders einladend oder überzeugend.

Die eigene Entscheidung

Hier bei uns in der Diaspora wissen die Mitmenschen sehr wenig von unserem Glauben und sind auch nicht besonders daran interessiert. Auch in den Schulen ist das Wissen darüber sehr winzig (vgl. Kasten zu diesem Artikel: „Winziges Wissen“). Bei Fragen zum Christentum werden sehr oft katholische Kinder und Jugendliche zu Rate gezogen. Auf jeden Fall ist es eine Herausforderung für einen Christen, in der Diaspora zu leben. Man braucht viel Kraft. Aber der Glaube an Gott bekommt eine grössere Bedeutung, weil man gezwungen ist, viel darüber nachzudenken. Es ist die eigene Entscheidung, die man trifft. Was uns Christen fehlt, ist die Ausstrahlung nach draussen. Wir haben ja eigentlich die Aufgabe, den Glauben an Gott an andere weiterzugeben. Das gelingt uns leider ganz selten. Irgendwie genügen wir uns selbst. Wir treffen uns zum Gottesdienst, dann gehen wir nach Hause und nichts passiert.

Gott statt Geld

Im Zeitalter akuten bis chronischen Priestermangels müssen wir uns wieder auf die Urkirche besinnen und vielleicht etwas bescheidener werden. Wenn ich Gottesdienste in Indien erlebe, wünsche ich mir oft, dass die Menschen hier so froh feiern könnten. (Anm. der Redaktion: Die Autorin leitet in ihrer Pfarrei Sammelaktionen für die Sozialwerke der indischen Kapuziner und durfte in diesem Zusammenhang Indien besuchen.) Es ist aber auch die grosse Armut und Not dieser Menschen, die auf Gott hoffen und auf ihn vertrauen. Vielleicht sind unsere Ansprüche zu gross. Wir gehören alle zu den Reichen dieser Welt, auch wenn wir es nicht wahrhaben wollen.

Ich wünsche mir sehr, dass die Kirche wieder einen neuen Stellenwert bekommt. Dafür ist es wichtig, dass nicht das Geld, sondern Gott im Mittelpunkt bleibt. Wenn wir in unseren schwächeren und hilfsbedürftigen Mitmenschen Gott sehen und ihnen helfen, ist schon der wichtigste Schritt getan.

Theresia Hoffmann

 

„Winziges Wissen“

WLu „Ach so, an Weihnachten und an Ostern feiert ihr nicht dasselbe.“ So sagte in der ehemaligen DDR ein Mann, der an einer Kirchenführung teilnahm. Bei gleichem Anlass fragte ein Jugendlicher angesichts des gekreuzigten Jesus: „Wer hängt denn dort am Kreuz? Ist es Spartakus?“ In der Schweiz beklagen sich bereits Uni-Professoren, dass sie in kunstgeschichtlichen Vorlesungen bei ihren Studierenden kaum biblisches Wissen voraussetzen können.

 

Warum bin ich Christ?

Warum ich Christ bin? Das sage ich lieber ganz praktisch und an Beispielen, weil ich sonst viel zu schnell Gefahr laufe, die Formeln aufzusagen, die den einen wohl vertraut sind, die aber die meisten nicht mehr verstehen. Es gibt, um es kurz zu sagen, nichts, woraus ich mehr fürs Leben gelernt hätte als aus der Botschaft der Bibel.

Bei der Geschichte vom Propheten Jona im Alten Testament zum Beispiel habe ich gelernt, dass man vor einer Aufgabe nicht wegläuft. Du bleibst, wo Gott dich hingestellt hat. Das war auch die Maxime meines Vaters. Also hiess das auch: Bleiben in der DDR. Und so habe ich Christsein in der DDR praktiziert. Es ging. Ich habe Gottes treue Begleitung erfahren – ein reiches Leben.

Bei Jesus habe ich gelernt, dass jeder die Chance zu einem Neuanfang hat, selbst die Zöllner, diese Handlanger der Unterdrückungsmacht. Also habe ich mir verboten, die Menschen einfach auf ihre Vergangenheit festzunageln.

Reinhard Höppner (SPD) ist Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt.
Auszug aus einem Artikel, erschienen in: WELT, 20. 12. 2000

 

So wenig jemand sagen kann, ob er in zehn oder zwanzig Jahren noch den gleichen Beruf ausüben wird oder überhaupt noch Arbeit hat, so schwierig sind Aussagen, wie es um die Zukunft der Volkskirchen in unserem Lande steht.Wir leben in einer Zeit, die ständig in Bewegung ist. Dauernder Wandel kennzeichnet unsere Gesellschaft. Niemand weiss, wohin die Reise geht. Wo Mobilität und Flexibilität gefragt sind, trübt Nebel die Aussicht auf künftige Tage. Die Zukunft erscheint offen und unbestimmt. Mit einem Wort: Alles ist immer auch anders möglich.

Keine voreiligen Prognosen

Die grossen Kirchen erscheinen vielen wie Dinosaurier aus vergangener Zeit. Unsere Welt hat für sie keinen Platz mehr. Im Museum erinnern sie uns an eine Epoche, in der sie im Tierreich eine herausragende Stellung inne hatten. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts prophezeien Gelehrte den Kirchen ihr baldiges Ende. Sie seien in der modernen Zeit zum Aussterben verurteilt. Im Jahre 1928 veröffentlichte der berühmte Psychoanalytiker Sigmund Freud eine kleine Schrift über die Zukunft der Religion. Er stellte sie unter den bezeichnenden Titel: „Die Zukunft einer Illusion“. Eine Zukunft gab Freud weder der Religion noch den Kirchen. Seit Freuds Schrift sind nun wieder einige Jahrzehnte vergangen. Vieles spricht dafür, dass man seine Prognose selbst als Illusion bezeichnen muss. Allzu voreilige Prognosen über den Untergang der Volkskirchen haben sich bis heute als falsch herausgestellt. Umfragen lassen vermuten, dass die Volkskirche, vor allem die volkskirchliche Mentalität, ein starkes Beharrungsvermögen hat.

Kirchenmitgliedschaft

Religion wird nach wie vor von der Mehrheit der Bevölkerung im Rahmen der beiden Grosskirchen gelebt. Bei der Volkszählung von 1990 bezeichneten sich 86,2% der Schweizer Wohnbevölkerung als Mitglieder der evangelischen beziehungsweise der katholischen Kirche. Keine Vereinigung in der Schweiz zählt so viele Mitglieder. Rund 8 von 10 Kirchenmitglieder halten ihre Mitgliedschaft in der Kirche für selbstverständlich. Doch immer öfter taucht der Gedanke an einen Kirchenaustritt unter jungen Menschen auf. Es scheint, dass zunehmend in der jüngeren Generation die Zeit vorbei ist, in der die Mitgliedschaft in der Kirche fraglos und unproblematisch war. Beobachten lässt sich ein markanter Anstieg der Konfessionslosen unter den 20- bis 35jährigen. Der Austritt aus der Kirche wird dabei doppelt vollzogen, ein Mal für sich selbst und zum anderen für die Kinder, die nicht mehr getauft werden. Es kann kein Zweifel bestehen, dass sich die Kirchenaustritte weiter fortsetzen; in welchem Ausmass lässt sich schlecht voraussagen.

Ort der Lebenshilfe

Die Kirchen ziehen nach wie vor hohe Erwartungen auf sich. Die Mehrheit der Kirchenmitglieder ist sich darin einig, dass die Kirchen vor allem da sind für alle, die in irgendeiner Weise Hilfe und Stütze brauchen. Christlich sollen sie sein im einfachen Sinn, den dieses Wort nach dem allgemeinen Verständnis hat: Nächstenliebe leben und anderen helfen. Wer im Wettstreit um Geld, Ansehen und Macht zu kurz kommt, soll zumindest in den Kirchen Hilfe erwarten können.

Vage Religiosität

Man versteht sich grundsätzlich als religiös. Doch darüber macht man sich nicht allzu viele Gedanken. Viele leben eine Religiosität auf Sparflamme. Zeit und Engagement werden durch Familie, Beruf und Freizeit derart absorbiert, dass wenig Aufmerksamkeit mehr übrig bleibt für Fragen der Religion. Religion bildet eine Art Lebenshintergrund, der dann und wann im Leben zum Vorschein kommt. Jeder versucht auf seine Weise selig zu werden. Man könnte auch von einer Bastler-Religiosität im Do it yourself-Verfahren reden. Anleitungen dazu werden vonseiten der Kirchen erwartet. Hauptquelle religiöser Orientierung ist nach wie vor das Christentum. Doch lässt sich zusehends ein Trend weg von kirchlich gebundener hin zu individuell gewählter Religiosität beobachten. Als Christ im Sinne der Kirche versteht sich nur mehr eine bescheidene Minderheit.

Locker-pragmatische Bindung

An den Lebenswenden möchte man nicht auf die Begleitung durch die Kirche verzichten. An den Übergängen des Lebens: Geburt, Eintritt ins Erwachsenenalter, Heirat, Tod, in Krisenzeiten oder während des Jahres an Weihnachten will man Vertrauen schöpfen. Trotz aller Gefährdungen und dem Schuldigwerden will der Mensch mit Gottes Hilfe die Zukunft bestehen. Aus der einst festen Einbindung in die Kirche ist eine lockere Gelegenheitsbeziehung geworden.

„Ich brauche“, so die Meinung, „allenfalls hilfsweise eine Kirche. Ich muss nicht in die Kirche hinein, weil ich draussen in einer gottlosen Welt wäre, um dort in ihr erst mit Heil und Wahrheit in Berührung zu kommen, sondern religiös bin ich aus mir selbst heraus. Ich suche dabei überall, auch in der Kirche, nach Klärung und Unterstützung für meine eigene persönliche Religiosität“.

Religiöse Dienstleister

Der Umbruch der Gesellschaft hat das Gesicht der Kirchen radikal verändert. Der Typ des praktizierenden Katholiken ist zum Sonderfall geworden. Die Kirchen haben sich zu religiösen Dienstleistern gewandelt. Beziehung zur Kirche wird aufgenommen, wenn man das Gefühl hat, dass diese Beziehung einem etwas bringt. Kosten/Nutzen-Erwägungen bestimmen in hohem Masse das Verhalten ihr gegenüber. Nähe und Distanz zur Kirche wollen die Menschen selbst bestimmen.

Drohender Traditionsabbruch

Die Chancen von Kindern und Jugendlichen gelebte Christlichkeit zu erfahren, sind in der heutigen Elterngeneration drastisch gesunken. Die kirchliche Bindung in der nachwachsenden Generation scheint in einem Umfang rückläufig zu sein, dass die Rede von einem „Traditionsabbruch“ nicht übertrieben erscheint. Da immer weniger junge Menschen ein kirchenverbundenes Elternhaus erleben, ist voraussehbar, dass in der kommenden Generation mit einer weiteren Entfremdung von der Kirche gerechnet werden muss.

Religiöse Kindererziehung

Hoher Stellenwert wird den Kirchen nicht zuletzt in der religiösen Erziehung der Kinder beigemessen. In späteren Jahren können sie dann selbst entscheiden, wie sie es mit der Religion halten wollen. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, lassen junge Eltern ihre Kinder taufen. Geschätzt wird die Kirche als Vermittlerin von Lebenssinn und Werten wie Menschlichkeit, Solidarität, Respekt vor dem anderen. Die Kirchen stehen für Werte, die in den übrigen Lebensbereichen unter die Räder zu kommen drohen.

Nivellierung des konfessionellen Bewusstseins

Was typisch katholisch oder protestantisch sein soll, wird undeutlicher. Immer weniger lässt sich aus der Art, wie jemand lebt, ablesen, welcher Konfession sie/er angehört. Ein konfessionelles Bewusstsein ist vor allem in der jüngeren Generation kaum mehr vorhanden. Beobachten lässt sich eine Abwendung von einem konfessionell geprägten hin zu einer in subjektiver Erfahrung abgestützten Religiosität. Die Frage nach der eigenen persönlichen Religiosität und nicht das Bekenntnis zu einer Konfession steht im Vordergrund. Unsere Volkskirchen dürften dann Zukunftschancen haben, wenn es ihnen gelingt, Glaube und Leben miteinander in Verbindung zu bringen, zu einem „Leben in Fülle“ (Joh. 10, 10) anzuleiten. Dann bestehen berechtigte Hoffnungen, dass sie auch in Zukunft zu bestehen vermögen, wobei keineswegs übersehen werden darf, dass sie enormen Herausforderungen gegenüberstehen.

Alfred Dubach
Der Autor ist Leiter des Pastoralsoziologischen Instituts (SPI) St. Gallen.

 

Als 1943 die beiden französischen Priester H. Godin und Y. Daniel das Buch herausgaben „La France pays de mission/Frankreich: Missionsland?“, erregten sie damit grosses Erstaunen. 1978 jedoch erklärte Papst Johannes Paul II. : „Europa ist daran, wieder ein Missionskontinent zu werden.“ Gilt das somit auch für die Schweiz?

Mission in sechs Kontinenten“

Schon vor dem Papst sprach Karl Rahner öfters von der „Diaspora-Situation“ des Christentums. Man könne nicht länger mit dem Volkschristentum rechnen, sondern müsse auf das Wahlchristentum zählen, auf Minderheitsgruppen von Überzeugungschristen, die sich nicht ins Getto abkapseln, sondern sich zu einem Ferment-Dasein entfalten. Dieselbe Überlegung machte auch der Ökumenische Rat der Kirchen 1963 bei der Vollversammlung in Mexiko City, indem er den Ausdruck prägte: „Mission in sechs Kontinenten“.

Die kirchliche Wirklichkeit bestätigt dies alles. In vielen Städten gehen vielleicht noch 3 bis 5% der Erwachsenen in die Kirche. In Hamburg, sogar auch in München wird nicht einmal mehr die Hälfte der Kinder getauft. Auch von den getauften jungen Menschen sieht man kaum mehr jemand in der Kirche: das Leid so vieler besorgter Eltern. Erstmals in der Geschichte des Christentums fragt man sich, wie die Weitergabe des Glauben noch gewährleistet wird. Ein Buchtitel stellt die Frage: „Werden unsere Kinder noch Christen sein?“. Schon redet man von einer still vor sich gehenden Verdunstung des Christentums.

Resignation als Antwort?

Man versteht, dass die Verantwortlichen in der Kirche, aber auch das Kirchenvolk, mehr und mehr von Frustration und Resignation betroffen werden. Nicht wenige verlassen „das sinkende Schiff“. Wie geht es weiter?

In der Schweiz hat die Synode 72 (1972/75) in allen Diözesen viele Impulse für die pastorale Praxis erarbeitet. Das Pastoralforum Lugano im Herbst 1981 stand unter der Losung: „Lebendige und missionarische Gemeinde.“ Es war ein schönes Erlebnis, wirkte sich aber kaum konkret an der Basis aus. Schon zu grosse Resignation hatte sich hier breit gemacht. Wird man später das gleich auch von der Tagsatzung im Bistum Basel (1998 in Luzern und diesen Mai in Bern) sagen? Ein Serum gegen die Resignation wird dringend erwartet.

Ansätze zur Neuevangelisierung

Das Buch von Godin/Daniel hat in Frankreich wie ein Schock gewirkt und gewisse Impulse gegeben, z.B. für die Arbeiterpriester. Aber es ist doch bezeichnend, dass die französischen Bischöfe in einem Brief an die Katholiken 1996 jene Impulse nicht einmal erwähnen, sondern zugeben, dass sie erst noch „Wege suchen zu einem missionarischen Aufbruch und einer Neuevangelisierung“.

Die Deutsche Bischofskonferenz gab diesen Brief auch in Deutsch heraus: „Den Glauben anbieten in der heutigen Gesellschaft“ (Bonn 2000). Wir lesen darin: „Jetzt, am Ende des 20. Jahrhunderts, sind sich die Katholiken in Frankreich bewusst, dass sie es mit einer Krise zu tun haben.“ Erwähnt werden der Tiefstand der religiösen Praxis, der Verlust eines ausgeprägten christlichen Bewusstseins, die säkulare Gesellschaft, die Gegenwart von Islam und Buddhismus mit ihrer Vitalität. Weiter heisst es im Brief, in der Vergangenheit habe man die pastoralen Modelle der „Eroberung“, der „einfachen Präsenz“, des „Sich-Einigelns“ befolgt. Jetzt solle man dazu übergehen, einfach den Glauben anzubieten.

„Bewegungen“ und Evangelikale

Die Aufrufe des Papstes zur Neuevangelisierung im Blick auf das Jahr 2000 sind bekannt. Die Reaktionen darauf wie jene der verschiedenen internationalen „Bewegungen“ geben gewisse Hoffnung. Aber sie stehen öfters im Verruf, elitär, integralistisch, triumphalistisch zu sein und eine katholisch geprägte Welt im Stil des Mittelalters wiederherstellen zu wollen.
Das gleiche gilt für die evangelikalen Kreise, die „Sekten“, die Freikirchen, die evangelische Allianz mit ihren Internationalen Kongressen für die Weltevangelisation. Das alles behebt nicht, sondern bestärkt den Eindruck, dass Europa ein Missionsland, das schwierigste Missionsland ist.

Mehr Spiritualität

Der gedrängte Überblick über die gegenwärtige Kirchensituation zeigt, dass die Kirche zu Beginn des dritten Jahrtausends vor einer neuen historischen Phase steht, vor ihrem „Weltzeitalter“, wo man wohl oder übel Abschied nehmen muss von der geschlossenen Volkskirche. Jetzt gibt es in der Tat Kirche in allen Kontinenten, aber zugleich auch überall missionarische Situationen. Neu stellt sich die Herausforderung zur Koexistenz mit den Glaubenden anderer Religionen in unserer Mitte, und zur Koexistenz mit der säkularen Welt.
Da kann uns nur der Heilige Geist die nötigen Inspirationen geben. Gewiss sollen die Verantwortlichen in der Kirche – das sind nicht bloss die Priester und Laientheolog(inn)en, sondern alle Jünger und Jüngerinnen Jesu – tun, was sie tun können und sollen. Aber letztlich braucht es nicht noch mehr Angebote, noch mehr Kommissionen, noch mehr Dokumente, noch mehr Hektik, wohl aber mehr Spiritualität!

Gott rettet

Schliesslich müssen nicht wir die Menschen retten. Das tut Gott. Er hat sich schon in der vorchristlichen Zeit um seine Menschen gekümmert. Er wird das auch tun in einer „nachchristlichen Zeit“ – falls es eine solche geben sollte, was wir vom Glauben her nicht annehmen. Es gibt gewiss sehr viele von der Kirche unerreichte Menschen, aber keine von Gott Unerreichte. Gott begleitet und umfängt alle seine Menschen mit seiner Huld und Liebe, wie eine Mutter ihre Kinder. Er kann sie früher oder später, auch wenn es erst in der Todesstunde wäre (vgl. die Bücher von Dr. Kübler-Ross), „bekehren“, einholen und heimholen. Insofern kann man sagen: Niemand kann so tief fallen, dass er aus Gottes Liebe herausfällt. Das kann man nicht beweisen, aber erhoffen.

Die Chancen der Kirche

Wir haben nicht den Auftrag, alle Menschen in die Kirche zu bringen, wohl aber soll durch die Kirche mit allen Mitteln aller Welt das Evangelium verkündet werden: die Frohbotschaft von der zuvorkommenden, allumfassenden, unbedingten Liebe Gottes. Das können wir auch als Minderheitskirche tun. Wenn wir also mit unserer Seelsorge nicht alle Menschen erreichen, können wir sie mit vollem Vertauen der Heilssorge Gottes überlassen. Bei dieser qualitativ neuen Schau können wir – trotz der quantitativen Not – gelassen bleiben und sagen: Wir leben in einer aussergewöhnlich grossen Kirchenzeit. Und wir reden wohl zu viel von den Krisen der Kirche und zu wenig von ihren Chancen.

Walbert Bühlmann

 

Im Oktober 2000 besuchte ich zum dritten Mal Tansania. Auf meiner ersten Reise hatte ich die Begegnung mit Afrika als einen wahren Schock erlebt. Denn gar alles war so total verschieden von allem mir Geläufigen und Gewohnten. Ich hatte den Eindruck, das niemals begreifen und durchschauen zu können. So verunsichert war ich, dass ich es vorgezogen hätte, baldmöglichst nach Europa zurückzukehren. Diesmal jedoch verlief und erschien mir alles ganz anders. Denn mein Auge war wie vorbereitet und ans Afrikanische angepasst. Und meine Nase empfand dieselben Gerüche wie vor zwei und vier Jahren, als ob diese mir nun vertraut wären.

Mit heiterer Gelassenheit

Die erste Woche verbrachten wir in Mzimbasi, einem Aussenbezirk der Stadt Dar es Salaam. Zusammen mit meinem Begleiter Karl Flury (Missionssekretär unserer Provinz) wurde ich von unseren Mitbrüdern freudig aufgenommen. Das Wiedersehen mit unseren weissen wie schwarzen Brüdern bereitete uns grosses Vergnügen. Auch wenn die tansanischen Brüder eine eigene Provinz bilden, verbindet sie noch sehr viel mit uns. Wir besitzen dieselben Wurzeln und dieselbe Geschichte und gehören zur gleichen Ordensgemeinschaft. Auf alle Fälle habe ich die Herzlichkeit geschätzt, mit der uns die Afrikaner aufgenommen haben.
Obwohl wir Schweizer Kapuziner noch auf dem Plan sind und wirken, stehen die Tansanier auf fast allen Gebieten des Provinzlebens im Begriff, einen neuen Wind wehen zu lassen. Die eindrücklichste Bestätigung dafür ist Bruder Beatus Kinyaiya, der als Provinzial die Verantwortung übernommen hat. Die meisten Schweizer Brüder spüren die Last ihres vorgerückten Alters. Trotzdem arbeiten sie unentwegt und mit heiterer Gelassenheit weiter. Es ist ja nicht gesagt, dass die Tansanier alles genau so weiterführen, wie wir es begonnen haben. Hauptsache ist, dass die Kontinuität durch ihr Dasein und Können gewahrt bleibt.

Neues Dar es Salaam

Dar es Salaam erschien mir wie eine Braut, die sich auf die Hochzeit vorbereitet. Viele Strassen wurden verbreitert und weisen vier Fahrbahnen auf. Ich traute meinen Augen nicht, wie viel sauberer als damals ich die Stadt jetzt antraf. Sie scheint wie eine gewaltige Baustelle und vergrössert sich in einem atemberaubenden Rhythmus.

Der Bischof, einst Sekretär der Bischofskonferenz, versicherte uns, dass Dar es Salaam Jahr für Jahr um 300 000 Einwohner wächst. Welche Schweizer Stadt könnte mit einer solchen Entwicklung Schritt halten und die dazu notwendige Infrastruktur auf die Beine stellen? Bei unserem Besuch fanden wir Wein auf dem Tisch. Auch das war für mich erstmalig. Ich fragte, wie das nur gekommen sei. Man wies auf die Verbindungen zu Südafrika hin. Von dort kämen sowohl der Wein wie auch das Kapital für Unternehmen, die privatisiert werden. Ebenfalls neue Tatsachen!

Kirche für 1500 Gläubige

Die Erzdiözese versucht in allen Quartieren, die wie Pilze aus dem Boden schiessen, präsent zu sein. Zur Zeit gibt es 37 Pfarreien, und dazu sollte man noch viele neue gründen. Das bedeutet, Land zu erwerben, Kirchen zu bauen, pfarreiliche Strukturen auf die Beine zu stellen und dann auch das nötige Personal für die Seelsorge zu finden. Von den 37 bereits existierenden und funktionierenden Pfarreien sind 30 den Ordensleuten anvertraut; davon fünf uns Kapuzinern. Im Tabata-Quartier haben wir die im Bau befindliche neue Kirche besucht. Da standen wir vor einem immensen Gebäude, das für 1500 Gläubige Platz bieten soll. Die Verantwortlichen beteuerten uns, dass dieses Riesengebäude höchst wahrscheinlich nie all die Menschen aufnehmen kann, welche die sonntägliche Eucharistie mitfeiern wollen.

Die Katholiken machen rund ein Drittel der Bevölkerung Tansanias aus, Tendenz steigend. Selbst viele Nichtgetaufte erklären sich als Christen. Denn die Zugehörigkeit zu einer Religion, die weltweit verbreitet ist, ist für sie wichtig. Ganz im Gegensatz zu uns hier, wo die Zugehörigkeit zu einer Kirche immer unwichtiger erscheint und Kirchenaustritte immer häufiger werden!

Kirchen und Gesellschaft

Gleichzeitig stellen wir fest, wie die Kirchen in der Gesellschaft eine herausragende Rolle spielen. Da ich die katholische Kirche am besten kenne, kann ich bestätigen, dass ihre Organisation und Quasi-Allgegenwart Wirklichkeiten sind. Das gilt sowohl für die Zentren mit den Bischofsitzen wie auch für die Peripherie mit den Pfarreien.

In Krisenzeiten und -situationen appellieren der Staat wie internationale Organisationen an die Kirchen, weil sie diese als zuverlässigste und beststrukturierte Partner betrachten. Das trifft z.B. auch dort zu, wo Hungersnöte herrschen. Dies erfuhr unser Mitbruder Thaddaeus Ruwa`ichi, der kürzlich Bischof von Mbulu wurde. Seine Diözese ist unter den Gebieten, die vom Hunger am meisten heimgesucht werden. Er hat alle Hände voll zu tun, um die notwendigen Helfer und Hilfen zu finden und zu organisieren.

Natürlich weiss die Kirche sehr wohl um ihre Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber. Ihr hat sie zu dienen. In ihr hat sie eine wichtige Rolle zu spielen. Letztes Jahr fanden die Präsidentenwahlen statt. Die Kirchen trugen viel dazu bei, die politische Debatte voranzutreiben und die Menschen zur Stimmabgabe zu ermuntern. Ein schönes Beispiel für politisches Engagement, ohne deswegen Parteipolitik zu betreiben.

Leuchttürme der Hoffnung

Eine der grossen Herausforderungen der Kirchen in Tansania besteht darin, Geld zu finden, damit sie das Aufgebaute bewahren und Neues schaffen können. Einerseits müssen sie aufpassen, dass sie die Erwartungen der Menschen nicht enttäuschen. Andererseits sollten sie ihnen klar machen, dass ihre Rolle nicht nur im Wirtschaftlichen und Sozialen besteht, sondern ebenso im Spirituellen. Darin sind sie Leuchttürme der Hoffnung im Land. Für uns im alten Kontinent, wo das Christentum immer mehr an den Rand gedrängt wird, ist es ein Hoffnungszeichen festzustellen, dass und wie die Kirche in Tansania ihre Aufgaben wahrnimmt. Freuen wir uns darüber und stehen wir ihr bei auf ihrem nicht leichten Weg. Das können wir, indem wir die Bande der Freundschaft enger schliessen und uns mit ihr solidarisieren – auch auf finanziellem Gebiet.

Mauro Jöhri
Übersetzung: Friedrich Frey

 

„Ihr werdet in eine andere Welt kommen!“ Mit diesen Worten stimmt uns Mauro Jöhri, Provinzial der Schweizer Kapuziner, in der Flughafenkapelle von Kloten auf die bevorstehende Reise ein. Und tatsächlich – Stunden später – auf dem Flugplatz von Nairobi tauchen wir in die afrikanische Welt ein.

Neue Eindrücke

Die vierstündige Fahrt nach Arusha im Norden von Tansania zeigt uns schnell, dass wir da eine gewaltige Horizonterweiterung erleben werden. Farben, Landschaft, Verkehr, Menschen, Sprache – alles wirkt neu und vor allem ungewohnt auf uns! Wir sehen eine ganz andere Natur. Die Landschaft ist karg und staubig. Sträucher und Bäume wirken dürr. Es scheint, als hätten sie kaum die Kraft, in die Höhe zu wachsen.

Zuerst fahren wir durch steppenartiges Gelände. Dann wird es hügeliger und schliesslich sehen wir Berge. Hin und wieder zeigt mattes Grün an, dass es da Wasser hat. Vereinzelt tauchen wunderschöne, farbenprächtige Bäume in Gelb oder Violett auf. Der Boden wird nach und nach ockerrot und der Staub nimmt zu. Ja – wir fahren gar mitten durch einen Sandsturm.

Lebensader

Die dürftig geteerte Hauptstrasse ist zugleich wohl auch eine Art Lebensader der Menschen hier. Links und rechts schreiten die Menschen im Sand und Staub, Lasten schleppend, ruhig und stetig voran. Verkaufsbuden, kleine Handwerkerbetriebe, Bars und Imbissstuben liegen direkt an der Strasse. Allerdings sehen sie kaum so aus wie es unser Auge gewöhnt ist. Es sind eher offene Bretterverschläge. Wenn es gut kommt, schützen Wände etwas vor Staub und das Wellblechdach vor Regen.

Ich mag mir nicht vorstellen, wie diese Welt aussieht, wenn es Regenzeit ist. Doch die Menschen hier scheinen unbekümmert zu sein. Sie winken und lachen, sie laufen immer vorwärts oder strampeln mit dem Velo über den holperigen Sandweg neben der Strasse ihrem Ziel zu. Das Leben an den Strassenrändern wirkt farbenfroh. Man hat den Eindruck, die Menschen hätten alle Zeit der Welt. Geduldig warten sie am Strassenrand vor ihren liebevoll aufgeschichteten Tomatenpyramiden auf einen Käufer. Das Angebot ist erstaunlich reichhaltig. Das sehen wir später auch in Arusha auf dem Markt.

Und doch – das Leben hier ist mehr als einfach und bescheiden! Täglich beginnt der Kampf um Wasser und Nahrung von neuem. Es gilt zu überleben! Aber dies geschieht mit Ruhe und Gelassenheit. Auf den Gesichtern strahlt es immer wieder und jeder möchte gerne seine Dienste, seine Talente und Kräfte uns Fremden anbieten.

Grosser Empfang

Mit zwei Stunden Verspätung besuchen wir am späten Nachmittag die Pfarrei Kwangulelo des Kapuziners Eugen Bucher. (siehe auch Artikel….). Was uns da an Herzlichkeit und Freude entgegengebracht wird, ist unbeschreiblich. Alle Vereine, Basisgruppen und die Verantwortlichen der Pfarrgemeinde warten zwei Stunden geduldig auf unser Kommen. Kaum fahren wir vor, beginnen alle zu tanzen und zu singen. Ein farbenfrohes buntes Treiben umgibt uns. Wir stehen da und staunen – eher unbeholfen – über das, was uns da geboten wird. Karibuni sana – herzlich willkommen – diesen Gruss hören wir zum ersten Mal. Er begleitet uns auf der ganzen Reise und wird zu einem Schlüsselwort.

Eingetaucht

Ja – jetzt sind wir voll in diese andere Welt eingetaucht. Wir bleiben 18 Tage darin. Täglich versuchen wir diese Umgebung zu erspüren, zu ergründen und zu begreifen. Wir sagen heute von ganzem Herzen Asante sana – vielen Dank!

Stefan Rüde

 

Tansania, halb so gross wie Westeuropa, sei ein „Land von unbeschreiblicher Faszination“, heisst es in einem Reiseführer. Und weiter: „Es ist ein moderner, fortschrittlicher Staat mit einem reichen kulturellen und historischen Erbe, das auf über vier Millionen Jahre zurückblicken kann, eine Zeit, als unsere primitiven Vorfahren sich anschickten, aufrecht zu gehen.“

Unter Deutschland und England

Tatsächlich wurden im Norden des Landes, in der Schlucht von Olduwai, die ältesten Fossile eines Menschen gefunden. Die neuere Geschichte ist vom Kolonialismus geprägt und vom Bemühen, auf der Basis von Gerechtigkeit einen unabhängigen Staat aufzubauen. Auf der berüchtigten Afrika-Konferenz von 1884 wurde das Land Teil von Deutsch-Ostafrika. 1919, nach der Niederlage der Deutschen im Ersten Weltkrieg, kam es unter ein britisches Völkerbunds-Mandat. 1946 wurde es den Engländern als UNO-Treuhandgebiet übertragen. Am 9. Dezember 1962 erhielt es die Unabhängigkeit. Julius Nyerere, einer der bedeutendsten und integersten Staatsmänner Afrikas, wurde Staatspräsident.

„Afrikanischer Sozialismus“

Weltweit berühmt wurde Nyerere mit seinem Versuch, einen „afrikanischen Sozialismus“ aufzubauen; wobei das Wort „Sozialismus“ eine Übersetzung des Suaheli-Begriffs „Ujamaa“ ist. Damit ist eine typisch afrikanische Form von Gemeinschaft aufgrund der Solidarität gemeint. Doch im Ausland sahen bei diesem Begriff viele rot. Sie brachten Tansanias Staatsphilosophie in enge Beziehung zum totalitären Kommunismus. Die Luzerner Tageszeitung „Vaterland“ beispielsweise liess an Nyereres Experiment keinen guten Faden. Wenn im Blatt etwas Positives zu lesen war, handelt es sich vielfach um Leserbriefe von Schweizer Kapuzinern, die als Tansania-Missionare mit der Lage vertraut waren. Einige von ihnen waren mit Nyerere, einem überzeugten Katholiken, befreundet. (Noch heute erzählen damalige Missionare, wie sich der Staatspräsident in der Kathedrale regelmässig in die Schlange vor dem Beichtstuhl einreihte…)

Tanganjika wird Tansania

Bis 1964 nannte sich das Land Tanganjika. Als sich die Insel Sansibar anschloss, entstand aus den Namen der beiden Landesteile das Wort Tansania. Sansibar wie die beiden andern Inseln Pemba und Mafia (hat nichts zu tun mit Italien!) sind stark arabisch geprägt. Rund 90 Prozent der Bevölkerung sind Muslime.

Die Inseln blieben weitgehend autonom. Nur die Bereiche Sicherheit, Nachrichtendienst und Einwanderung sind Angelegenheiten des Zentralstaates. Auf den Inseln gab und gibt es starke Strömungen einer totalen Autonomie. In Pemba finden sich sogar Bestrebungen, die 1964 abgeschaffte Sultansherrschaft wieder einzuführen. Einige sprechen sich auch für die Einführung des islamischen Rechts, der Scharia, aus.

Gefälschte Wahlen

Die schwelenden Konflikte eskalierten letztes Jahr anlässlich der nationalen Wahlen. Die Beobachter-Kommission der Vereinigung ehemaliger britischer Kolonien (Commonwealth) sprach von „Chaos und Willkür“. Es kam offensichtlich zu Betrügereien auf Kosten der Opposition. Auf Sansibar und Pemba wurden zahlreiche Wahlbüros nicht geöffnet. Oder es fehlte an Stimmzetteln – und zwar dort, wo die Opposition stark ist.

Als die oppositionelle Civic United Front während einer Demonstration die Wiederholung der Wahlen forderte, kam es zu einer regelrechten Schlacht. „Gegen 20 Menschen wurden von Kugeln getötet oder starben an den Schlägen der blindwütig prügelnden Sicherheitskräfte. Auf Pemba wurde ein Polizist gelyncht.“ (Peter Baumgartner im Tages-Anzeiger).

Nach andern Quellen forderten die Unruhen bis zu 300 Tote. Im Februar 2001 lebten etwa 2000 Flüchtlinge, meist Anhänger der Opposition, in kenianischen Flüchtlingslager. Unter ihnen sind 17 gewählte Parlamentarier. Es ist allerdings umstritten, wie weit es sich hier um echte Flüchtlinge handelt. Nach zuverlässigen Quellen hat die Opposition Jugendlichen Geld angeboten, wenn sie sich nach Kenia absetzen und dort „Flüchtling“ spielen. Dadurch sollte die Weltöffentlichkeit auf die Lage auf Sansibar aufmerksam gemacht werden.

„Unzulässige Einmischung“

Amnesty International beurteilte das Vorgehen der Polizei während den Demonstrationen „als einen krassen Verstoss gegen die UNO-Prinzipien über den Gebrauch von Waffen“. Auch die EU protestierte. Sie forderte eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle.

Die Regierung bezeichnete die Stellungnahmen von UNO und EU als unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des Landes. Dazu Präsident Mkapa in seiner Radioansprache vom 3. Februar 2001: „Alle, welche die Regierung eilig verdammten, frage ich: Warum verurteilt man die Regierung, ohne von ihr eine Erklärung eingeholt zu haben? Aber weil wir Afrikaner sind, nimmt man an, wir alle seien gleich, was Folter von Menschen und Verachtung der Menschenrechte angeht. Nur den Medien und Erklärungen von Leuten weit weg wurde Gehör geschenkt.“

Der Präsident prangert dann die Drohung der EU an, ihre finanzielle Unterstützung von einer Verhaltensänderung abhängig zu machen: „Wir Tansanianer sagen immer: Lieber arm in Freiheit als reich in Sklaverei. Ich werde mein Gewissen, eure Würde und Freiheit nicht für den Preis von Unterstützung verkaufen.“

Ganz andere Töne schlägt die im Gedanken an den ersten Präsidenten gegründete Mwalimu Nyerere-Stiftung an. Die Tötung von Demonstranten kann ihrer Meinung nach ein Zeichen dafür sein, „dass der Friede, das wichtigste tansanische Erbe, zu Ende geht“.

Nervös

Der Appenzeller Gandolf Wild, der in Rom als Generalsekretär des Kapuzinerordens wirkt und immer noch offiziell Mitglied der tansanischen Kapuzinerprovinz ist, kommentiert die verworrene Lage: „Mkapa ist nicht autoritär. Seine Partei, die CMM im Grunde genommen auch nicht. Aber sie sind nervös und handeln in Sansibar repressiv, nachdem ihre Verhandlungsbereitschaft zu keinem Ergebnis geführt hat.“

Walter Ludin

Quellen: Peter Baumgartner im Tages-Anzeiger,
Tanzania: Nelles Jumbo Guide,
Fischer Weltalmanach 2001
Internet

 

Tansania

Einwohner: 32 Millionen; 93% Bantus (rund 120 Ethnien/“Stämme“)
Lebenserwartung: 48 Jahre
Religionen: 35% Muslime, 33% Katholiken, 13% Protestanten; dazu Anhänger traditioneller Religionen sowie Hindus.
Hauptstadt: Dodoma
Regierungssitz: Dar es Salaam

 

Unsere Brüder stammen aus Familien und Pfarreien mit römisch-katholischem, melkitischem, kaldäischem, marronitischem Ritus. Sie halten nicht stur an ihrer eigenen Art fest. Denn sie wissen, dass eine Fraternität Einheit in Vielfalt verlangt. Wenn sie für priesterliche Dienste in die Pfarreien gehen, passen sie sich dem jeweiligen Ritus an.

Junge Brüder

Während bei uns im Westen junge Menschen sich nicht mehr so leicht für ein evangelisches Leben in den Spuren des heiligen Franziskus entscheiden können, fühlen sich junge Libanesen durch das franziskanische Ideal sehr angezogen.

Die jungen Kapuziner und jungen Mitglieder der franziskanischen Gemeinschaft (FG) sind sehr bildungshungrig. Schon manche von ihnen nahmen am dreimonatigen franziskanischen Kurs teil, der seit sieben Jahren im Bildungshaus der Westschweizer Kapuziner in St. Maurice stattfindet. Ihr Hunger nach Bildung ist der Ausdruck eines missionarischen Geistes. Sie wollen andern helfen, ihren Glauben im evangelisch-franziskanischen Geist zu leben.

Die Brüder bezeugen ihre Solidarität mit dem Volk durch ihre seelsorgerlichen, sozialen und pädagogischen Engagements. Die Arbeit in den Pfarreien spielt eine grosse Rolle. Die Kapuziner des Libanon beweisen ihre Aufgeschlossenheit für die sozialen Probleme von heute durch ihr Leben nahe bei den Armen. Jeder weiss aus eigener Erfahrung, was es heisst zu den Ärmsten zu gehören. Denn alle haben in ihrer Verwandtschaft Familien, die auch zehn Jahre nach dem Krieg noch nicht in ihre Dörfer heimkehren können.

Vater der Verlassenen

Wer unter all den Verlassenen von Beirut kennt nicht Bruder Salim? Er ist in dieser Stadt ein moderner Franziskus. Man könnte ihn für den Vater aller verkrachten Existenzen halten, wenn er uns vom Schicksal der vielen Menschen erzählt, die Hilfe suchend zu ihm kommen. Nicht nur die Randständigen kennen ihn, sondern auch Grosse und Mächtige, die er um dieser Ärmsten willen anbettelt. Denn die Seinen lässt er nicht im Stich. Man muss nur einen Tag lang an seiner Seite herumreisen, um zu erfahren, wie sehr er Helfer und Retter aller ist, die er aufsucht, anhört und aufrichtet – geistlich und materiell. Seine Einsätze gelten immer dem Überleben. Ein Beispiel: Er verteidigt die Rechte junger Hausangestellter und Arbeiterinnen, die grösstenteils aus den Philippinen und aus Sri Lanka stammen und oft ausgebeutet werden. Da geht er von Büro zu Büro. Nichts und niemand kann ihn aufhalten.

Eine bunte Schar

Tief beeindruckt haben mich die Brüder aus den unterschiedlichsten Ursprüngen und Riten. Sie setzen sich auch in Syrien und im Vereinigten Arabischen Emirat in französisch- oder arabisch sprechenden Gemeinschaften ein. Ihre Herkunft, ihre Arbeit und ihre Einsatzgebiete geben einen Eindruck vom Reichtum des franziskanischen Charismas. Die Ordensgemeinschaften des Libanon haben ihre Wurzeln in den unterschiedlichsten Ländern und dennoch feiern alle die Liturgie nach dem lateinischen Ritus. Dieser ist weit weniger feierlich und attraktiv als der byzantinische.

Bernard Maillard
Übersetzung: Friedrich Frey

 

„Wir sprechen von den vielen Kirchen, welche die eine Kirche bilden“, sagt der maronitische, für Europa verantwortliche Bischof Samir Mazloum. Und ein Mitglied der christlichen Studentenbewegung stellt fest: „Wir alle suchen Gott, aber wir gehen verschiedene Wege, um ihn zu finden.“

„Altehrwürdig“

Die beiden Sätze bezeichnen treffend die Einstellung der Christen angesichts des „Mosaiks der Kirchen“ im Libanon. Mit einem gewissen Stolz unterstreichen alle mit Recht: „Unsere Kirchen sind sehr altehrwürdig. Denn sie gehen auf den Ursprung des Christentums zurück, nämlich auf die Kirche in Antiochien und in Jerusalem.“ Dieses Bewusstsein vom gemeinsamen urchristlichen Ursprung blieb bis heute lebendig. Dennoch gilt, was die Patriarchen und Bischöfe des Mittleren Orients 1999 ausgesprochen haben: „Unsere Kirchen leben oft vielmehr nebeneinander als miteinander, aneinander vorbei anstatt aufeinander zu.“

Kontinuität und Kooperation

Darum hat die Seelsorge zwei Ziele: Die Identität jeder dieser katholischen Kirchen im Orient zu stärken und eine bessere Koordination und Kooperation zu verwirklichen. „Unsere Kirchen hier sind orientalisch. Sie sind es von ihrer Wurzel her und durch ihr patristisches (auf den Kirchenvätern der ersten Jahrhunderte beruhend; Anm. des Übersetzers) wie auch durch ihr liturgisches und spirituelles Erbgut. Einerseits teilen wir dieses Erbe mit den orthodoxen Kirchen. Auf der andern Seite sind unsere Kirchen mit der römisch katholischen Universalkirche verbunden. Darum müssen wir an unserem gemeinsamen Erbgut festhalten, wie an der Verschiedenheit jeder Lokalkirche. Von daher und allein damit können wir Erneuerungen zustande bringen. Dafür müssen wir Strukturen schaffen, die sowohl die Kontinuität wie auch die Kooperation unserer Kirchen im Mittleren Orient garantieren.“ Ein Jesuit bezeichnet die ökumenische Bewegung im Libanon als sehr zaghaft: „Das Kirchenvolk und selbst sehr gebildete Laien kennen die ökumenischen Dokumente nicht und begnügen sich mit einigen geläufigen, oberflächlichen Schlagworten.“

Mehr Mystik

Bischof Georges Khoder meint, die lehrmässige Einheit der verschiedenen Kirchen werde er wohl nicht mehr erleben. Doch: „Wir können unser ganzes Hoffen einzig auf Gott setzen. Denn er allein weiss um die Zukunft und kennt die Zeit, wo dieses Ziel erreicht sein wird, sei es noch im Laufe der Geschichte oder erst an ihrem Ende.“ Von der Westkirche erhofft sich der Bischof, sie werde sich abwenden vom Überbewerten von Recht und Gesetz. Dafür werde sie Platz machen für mehr Mystik.

Ein „Salat“?

Augustin Maradini, der nationale Verantwortliche einer Laienbewegung im Libanon, sagt uns: „Für Euch Europäer, die Ihr ausschliesslich mit einem einzigen Ritus zu tun habt, mag diese Vielfalt der Riten bei uns aussehen wie ein Salat, der nur schwer zu verdauen ist. Aber für uns, die wir mit unserem libanesischen Volk alle Riten leben und erleben, ist die Vielfalt eine heilsame Anregung. Sie ist sowohl spirituell wie auch sozial eine Bereicherung. Maradini erhofft sich, dass die Christen und Christinnen des Libanon „Instrumente für den Aufbau eines beglückenden Friedens und eines harmonischen Zusammenlebens in der weltweiten Christenheit sein werden“.

Bernard Maillard
Übersetzung: Friedrich Frey

Ausgleichskasse
WLu Am Weltmissions-Sonntag wird das Opfer für MISSIO aufgenommen. Dieses weltweite Werk versteht sich als „Ausgleichskasse der Weltkirche“. Über die Bestimmung der gesammelten Gelder entscheiden die MISSIO-Direktoren aus der ganzen Welt (aus der Schweiz der Kapuziner Bernard Maillard, der Haupt-Autor der vorliegenden Nummer). Die Mehrheit der Direktoren stammt aus den armen Ländern des Südens.

 

Worum ging es bei diesem Bürgerkrieg? Kaum jemand hat auf diese Frage eine schlüssige Antwort. Denn: Es war ein Krieg, „in dem die verschiedenen Kriegsparteien – Christen, Palästinenser, Schiiten, Sunniten, Drusen, Syrer und Israelis – in immer wieder neuen Koalitionen, scheinbar beliebig, an einem Tag als Verbündete gegen Dritte, am nächsten Tag als Feinde gegeneinander gekämpft haben.“ (Otmar Oehring in: Katholische Missionen 2/2001).

Geteiltes Beirut

Wie früher Berlin wurde die libanesische Hauptstadt Beirut zu einer geteilten Stadt. Die christliche Miliz beherrschte den Osten. Libanesische muslimische Milizen, bewaffnete Angehörige der Palästinensischen Befreiungsbewegung (PLO) und später syrisches Militär kontrollierten West-Beirut. Vor dem Krieg war die Stadt eines der grössten Finanzzentren der Welt. Hier befand sich ein Mittelpunkt des weltweiten Öl-, Gold- und Diamantenhandels. Beirut hatte mit seinen Hochhäusern und Geschäftszentren in einer traditionell-arabisch geprägten Umgebung ein modernes Gesicht. Nach 15 Jahren Krieg prägten Trümmerhaufen ihr Aussehen.

Kompliziertes Gleichgewicht

Der Libanon war der einzige arabische Staat mit einer christlichen Mehrheit. Im ungeschriebenen „Nationalpakt“ von 1943 wurde ein ausgeklügeltes System des Religions-Proporzes in Regierung und Verwaltung festgelegt. Dabei hatten die Christen ein leichtes Übergewicht. Die 99 Parlamentssitze waren auf der Basis der Volkszählung von 1932 Christen und Muslimen im Verhältnis 6:5 zugeteilt. Der Präsident musste Maronit sein, der Ministerpräsident Sunnit, der Parlamentspräsident Schiit. (Bekanntlich bilden die Sunniten und Schiiten die beiden Hauptströmungen des Islam.)

Der „Nationalpakt“ regelte auch die Grundlinien der Aussenpolitik: „Die Christen hatten sich verpflichtet, das Land nicht einseitig an eine westliche Macht (gedacht war an Frankreich) zu binden. Die Moslems versprachen, ohne die Zustimmung der Christen keinen Anschluss an ein arabisches Land anzustreben (gedacht war an Syrien, das, gestützt auf die Verwaltungsgliederung der Türkenzeit, bis heute Ansprüche erhebt).“ (Länder-Lexikon, Bertelsmann)

Im Friedensabkommen von 1989 wurden die Vereinbarungen des Religionsproporzes geringfügig geändert. So sind nun die 108 Parlamentssitze im Verhältnis von 1:1 auf Christen und Muslime aufgeteilt. Zudem ist die Macht des christlichen Staatspräsidenten zugunsten des sunnitischen Ministerpräsidenten beschnitten worden. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass seit dem Beginn des Bürgerkriegs der Anteil der Christen stark abgenommen hat. Er sank auf 30, nach andern Quellen auf 40 Prozent. Doch alle Zahlen beruhen auf Schätzungen. Denn seit 1932 gab es keine Volkszählung.

Syrer

Im Bürgerkrieg gelang es den Syrern, Einfluss auf den Libanon zu erringen und ihn bis heute zu erhalten. Neben Tausenden von syrischen Soldaten, die vom libanesischen Staat bezahlt werden müssen, ist gut eine Million „Gastarbeiter“ im Land, das ohnehin unter einer Arbeitslosigkeit von rund 30 Prozent leidet. Die syrische Dominanz ist erschlagend: „Die Syrer haben das Sagen im Beirut. Die libanesische Regierung erhält ihre Direktiven aus Damaskus. Der Libanon bleibt weiterhin die Melkkuh Syriens. Kritisiert wird dies von vielen im Libanon, wenngleich häufig nur noch hinter vorgehaltener Hand – der syrische Geheimdienst gilt schliesslich als omnipräsent.“ (Otmar Oehring)

Walter Ludin

 

Libanon

Fläche: 10 452 km2
Einwohner: 4 210 000
Hauptstadt: Beirut (1,5 Mio E.)
Amtssprache: Arabisch
Arbeitslosigkeit: 30%
Auslandverschuldung: 6725 Mio $
Religionen: 60% Muslime (32% Schiiten, 21% Sunniten, 7% Drusen); 40% Christen

 

Kirchen…Kirchen

Unter den Christen im Libanon bilden die Maroniten, eine mit Rom unierte Kirche, die grösste Gruppe, die von einem Patriarchen mit Sitz in Bkerke bei Juniyah geleitet wird und einen Bevölkerungsanteil von 25% hat. Von den übrigen katholischen Kirchen ist die griechisch-katholische der Melkiten mit etwa 5% die grösste. Daneben gibt es armenische, syrische, chaldäische und römische Katholiken (Lateiner) mit zusammen etwa 2,5%. Etwa 7% sind Griechisch-Orthodoxe, 4% Armenisch-Orthodoxe (Gregorianer) und zusammen etwa 1% Syrisch- (Jakobiten) und Assyrisch-Orthodoxe (Nestorianer) sowie knapp 1% Protestanten.

Um sieben Uhr morgens öffnen die Büros der bischöflichen Prokura. Es beginnt für mich der Besuch bei mehreren Baustellen, bevor die grosse Hitze hereinbricht.

Zunächst einige Kilometer über Asphaltstrassen innerhalb der Stadt, dann über Naturstrassen in Aussenquartieren von N`Djamena. Da nimmt ein einstöckiges Haus langsam Gestalt an. Darin wird die Gemeinschaft der Salesianer wohnen. Gerade gegenüber befindet sich eines ihrer Jugendzentren. Die Bauarbeiten wurden einer kleinen Firma vor Ort anvertraut. Doch die Patres haben gewünscht, dass jemand vom technischen Büro ein Auge auf die Ausführung hat. Die Arbeit geht wirklich flott und sachgerecht voran. Es gibt bloss einige kleine Diskussionen mit dem Vorarbeiter wegen schlecht platziertem Stahl im Beton. Und weiter geht`s mit Planen der Arbeiten für die nächsten Tage. Wie überall kommt es auch da zu Verspätungen im Terminplan. Man muss sich dann wieder sputen und aufholen. Und schon wieder bin ich unterwegs.

Die zweite Baustelle heute ist ein Haus für den Wächter auf einem kürzlich von der Diözese gekauften Grundstück. Da wird bald einmal eine Pfarrei entstehen, weil die Stadt sich hierher ausdehnt. Hier habe ich es mit einem „Zögerer und Zauderer“ zu tun. Er scheint meinen Plan nicht zu verstehen. Erst nach einigen lautstarken Zurechtweisungen und Erklärungen befinden sich die Fenster da, wo sie hingehören.

Halt in der Schule des Bistums

Der Direktor wünscht von mir einen Kostenvoranschlag für die Instandstellung von zwei Klassenzimmern. Ich nehme hier und dort Mass und gehe auch in ein benachbartes Schweissatelier, wo man zur Zeit Türen herstellt für ein weiteres Bauunternehmen unter meiner Regie.

Verschnaufpause

Dann eine kleine Verschnaufpause mit den Arbeitern. Da kann man so nebenbei Wünsche anbringen und sich beklagen über die zahlreichen Stromausfälle, welche die Arbeit erschweren und verzögern. Zurück in meinem Büro bespreche ich mit Pater Ökonom den heutigen Stand der Arbeiten. Ich schaue auch auf die Pläne für den nächsten Tag. Noch bleibt ein wenig Zeit für das Berechnen der Ausgaben für die Schule und für das Planen eines Schwesternhauses. Die Abrechnung und den Abschluss werde ich dann heute Nachmittag oder auch erst später machen. Denn jetzt ist Schluss für heute Morgen.

Eine andere Kultur

Die Diözese von N`Djamena ist noch jung. Aufbau und Ausbau verschiedener Gebäulichkeiten stehen an und lassen im Konstruktionsbüro viele Arbeiten anfallen. Alles ist sehr abwechslungsreich. Für mich bedeutet es eine tolle Herausforderung und Erfahrung. So kann ich meine beruflichen Fähigkeiten entwickeln, kann mir Kompetenzen aneignen und selbständig wirken. Dabei lerne ich auch von Tag zu Tag mehr, was es bedeutet, sich verständlich in einer anderen Kultur und Mentalität auszudrücken. Es ist alles andere als einfach, sich gegenüber den Einheimischen und den aus 20 Ländern stammenden Mitarbeitern der Diözese verständlich zu machen. Ein tägliches Neulernen!

Grégoire Cotta
Übersetzung: Friedrich Frey

 

Ndim ist eine „Stadt“ auf dem Lande mit ungefähr 5000 Einwohnern, die zerstreut wohnen. Etwa fünfhundert Meter abseits des Zentralmarktes und der Pfarrei liegt ein Hain. Inmitten von erratischen Blöcken steht ein Gebäude, in dem die jungen Kapuziner der Region spirituell ausgebildet werden.

Zauberhafter Ort

Wer zum ersten Mal an diesen Ort kommt, ist überrascht. Mitten in einem kleinen, an einem See gelegenen Wäldchen liegen mächtige Felsblöcke von einigen Tonnen. Bei einbrechender Dunkelheit fliegen Tausende von Vögeln hierher, um die Nacht verbringen. Der Sonnenuntergang über diesem See mit den Vögeln, die ins „Schlafgemach“ zurückkehren, ist zauberhaft. Es ist nicht erstaunlich, dass die italienischen Kapuziner diesen Ort schon 1963 für das Noviziat gewählt haben, in dem die jungen Kandidaten auf das klösterliche Leben vorbereitet werden.

Brüderlicher Umgang

Zum Team des Noviziats gehören drei Europäer: zwei junge Polen und ein Savoyarde, ein erfahrener Missionär. Einer der Polen, der etwa 30-jährige Bruder Piotr, ist Novizenmeister. Sieben Novizen kommen aus dem Tschad, fünf aus Zentralafrika. Dem Noviziat geht im Tschad das zwei Jahre dauernde Postulat voraus. Dort steht nicht das Kennenlernen des franziskanischen Weges im Vordergrund. Es geht vor allem um das Einüben des brüderlichen Umgangs miteinander. Im Noviziat hilft als Erstes Bruder Piotr den Novizen, ihren Glauben zu vertiefen und Jesus ganz persönlich anzunehmen. Nach diesem ersten Schritt beginnt die Vertiefung des fanziskanischen Charismas.

Disziplin und Entspannung

Selbst wenn der Ort zauberhaft ist, ein Schwänzen der Schule gibt es nicht. Auf dem Programm stehen Kurse und Sitzungen, Exerzitien und Wüstentage. Der Rhythmus des Tages ist bestimmt durch das Stundengebet und die Meditation morgens, mittags und abends in einer winzigen Kapelle. Diese wurde zwischen zwei grossen Felsblöcken eingerichtet.

Auch die Handarbeit findet ihren Platz. Sie gehört zu den Minderen Brüdern, die von ihrer Hände Arbeit leben. Es gilt all das zu pflegen, was gepflanzt und gesät wurde. Vor allem muss regelmässig bewässert und gejätet werden. Dazu kommt der Unterhalt der Gebäude, angefangen von der Kapelle über den Speisesaal bis zu den Schulzimmern, den Schlaf- und Empfangsräumen. Wie es sich gehört, hat es auch Platz für Entspannung, besonders bei einem Fussballspiel.

Heiliger Hain

Ndim ist ein von der Natur geschenkter Ort, welcher der spirituellen Ausbildung dient. Er war wahrscheinlich lange Zeit ein heiliger Ort des einheimischen Volkes der Panas, die sich fürchteten, diesen Hain zu betreten. Heute ist es ein Ort der Berufsfindung für die Jungen. Hier können sie herausfinden, ob sie für einen Ordenseintritt geeignet sind. Ndim ist kein Gespensterort mehr. Es ist ein Ort, der vom Geist Gottes bewohnt ist, welcher das Leben der Novizen und ihrer Ausbilder bestimmt.

Bernard Maillard
Übersetzung: Gebhard Kurmann

 

Menschlich und spirituell

Die Formung der Kandidaten in der Zeit der Einführung und Einübung soll das menschliche und spirituelle Element harmonisch miteinander verbinden. Sie sei gediegen, allseitig und den örtlichen und zeitlichen Anforderungen angepasst. Ganz besonders müssen die Kandidaten das brüderliche Leben pflegen in der eigenen Gemeinschaft und mit andern Menschen. Diesen sollen sie in ihren Nöten bereitwillig helfen. So lernen sie immer mehr, in tiefer und lebendiger Gemeinschaft mit der Kirche zu leben.

Aus den Satzungen der Kapuziner (Nr. 25)

 

Für einige Augenblicke stand damals Zentralafrika im Mittelpunkt des Weltinteresses. General Jean-Bédel Bokassa, der das Land im Stile eines Diktators regierte, ernannte sich zum Kaiser. Reich beschenkt vom damaligen französischen Staatspräsidenten Giscard d`Estaing, liess er sich in einem bombastischen Fest die Krone aufsetzen. Der ganze Spass kostete rund 30 Millionen US-Dollar. Zum Vergleich: Ein durchschnittlicher Zentralafrikaner verdiente weniger als drei Dollar pro Woche.

Sklavenhandel und Kolonisation

Die Wurzeln der Armut reichen in diesem Land im Herzen Afrikas tief. Im 16. Jahrhundert zerstörten arabische und europäische Sklavenhändler die über lange Zeit gewachsenen Gesellschaftsstrukturen.

„Auf die Entvölkerung durch den Sklavenhandel folgte Ende des 19. Jahrhunderts die Inbesitznahme durch Frankreich, welches das Gebiet an Konzessionsgesellschaften vergab und damit den Grundstein für eine ausbeuterische Kolonisation legte. Die Einführung der Monokulturen, Zwangsarbeit, Zwangsumsiedelungen, Hungersnöte und Epidemien bewirkten bis in die 20er Jahre eine weitreichende Dezimierung der Bevölkerung. Jeglicher Widerstand gegen dieses System wurde brutal niedergeschlagen.“ (Länderlexikon)

Bokassas Terror

Dann trat der Priester Barthélémy Boganda auf den Plan. Ende der 40er Jahre gründete er die Widerstandsbewegung „Mouvement d`Evolution Social de l`Afrique Noire/MESAN“. Zusammen mit dem internationalen Druck wurde Frankreich gezwungen, sein Kolonialgebiet „Ubangi-Chari“ 1960 als „Zentralafrikanische Republik“ in die Unabhängigkeit zu entlassen. Schon sechs Jahre später stürzte der erwähnte General Bokassa den gewählten Staatspräsidenten. Er regierte das Land diktatorisch. Mit französischer Unterstützung etablierte Bokassa eine Herrschaft des Terrors und der Willkür. Zwei Jahre nach der Kaiserkrönung im Operetten-Stil kam es zu einem Massaker an Schulkindern. Darum leitete Frankreich 1979 einen Machtwechsel ein. Doch auch Bokassas Nachfolger regierte diktatorisch. Die verarmte und hungernde Bevölkerung rebellierte. Die Staatsführung wurde gezwungen, 1991 demokratische Reformen einzuleiten.  Das heutige Staatsoberhaupt ist Ange-Félix Patassé. Der Regierungs-Chef heisst Jean-Claude Ngoupandé.

Bantus, Pygmäen …

Zentralafrika ist 622 984 Quadratkilometer gross und hat knapp 3,5 Millionen Einwohner. Über eine halbe Million lebt in der Hauptstadt Bangui. (Diese Stadt ist somit grösser als Zürich, aber weitaus weniger bekannt!) Amtssprachen sind Französisch und Sangho. Die Bevölkerung ist ethnisch stark gemischt. Ein Teil zählt zu den Sudan-Völkern, ein anderer Teil zu den Bantus, der hauptsächlichsten Bevölkerung Schwarzafrikas. Im Osten sind nilotische Einflüsse festzustellen. Reste der Ureinwohner, der kleinwüchsigen Pygmäen, leben in den Urwäldern des Südwestens.

Die katholische und die protestantische Kirche sind mit je 25 Prozent der Bevölkerung gleich gross. 24 Prozent praktizieren die traditionellen, örtlichen Religionen. Neben den 15 Prozent Muslimen gibt es 11 Prozent Anhänger kleinerer, meist christlicher Religionsgemeinschaften.

Diamanten und Gorillas

Im Norden herrscht ein wüstennahes Klima, im Süden ein üppiges Äquatorialklima mit einer Regenzeit von März bis Oktober. Der dichte Urwald im Süden ist eine der letzten Heimstätten der Tiefland-Gorillas. Der grösste Teil des Landes besteht aus sanftem Hügelland und einem flachen Plateau mit trockenen Laubwäldern, die teilweise durch Buschfeuer zerstört oder durch Abholzung in Savanne verwandelt worden sind. Zum Tierbestand gehören Elefanten, Hyänen, Antilopen, Büffel. In den Gewässern leben Krokodile und Flusspferde.

Zentralafrika hat reiche Bodenschätze. Davon profitiert das Land nur wenig. Die geförderten Diamanten und das Gold werden grösstenteils ins Ausland geschmuggelt. Auch der Export von Edelhölzern entzieht sich weitgehend der Kontrolle der Regierung. So kommt es, dass eines der Länder mit den reichsten Bodenschätzen eines der ärmsten bleibt.

Walter Ludin
Quellen: Bertelmanns Länderlexikon, Internet

 

Dienstleistungs-Sektor: (in %) 
Industrie: (in %)
Landwirtschaft: (in %) 
BSP/Kopf: (US$)
Inflation: (in %)
Analphabeten: (in %)

Urbanisierung: (in %)
Bev.-Wachstum/Jahr: (in %)
Kindersterblichkeit: (in %)
Lebenserwartung:
Einwohner pro Arzt:

29,7
16,9
53,4
320
0,1
m. 43
w. 68
39
2,02
17,3
45 Jahre
18`660

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Tschad

Zentralafrikas Nachbarland Tschad, von dem in dieser ite-Nummer auch die Rede ist, wurde im Heft 4/2000 ausführlich vorgestellt. Gratis-Exemplare sind erhältlich bei:

Missionsprokura der Schweizer Kapuziner
Postfach 1017
4601 Olten
Telefon: 062 212 77 70.

 

Raketen und Flugzeuge steigen auf. Für viele ein faszinierendes Bild von der Wundermacht der Technik. Auf diese Faszination vertrauen jene, welche solche Kriegsgeräte einsetzen. Sie wehren sich aber mit allen Mitteln dagegen, dass auch das Ende der Geschichte im Bild sichtbar wird: die Zerstörungen, welche Raketen und Bomben anrichten. So geschehen im Golfkrieg vor einem guten Jahrzehnt oder jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, im Angriff gegen Afghanistan.

Biafras Ratten

Es gibt weitere eklatante Beispiele dafür, wie die Krieg Führenden die Öffentlichkeit täuschen. Ein besonders krasser Versuch, auf den damals alle hereingefallen sind, stammt aus dem Biafra-Krieg. Bekanntlich wollte sich in den 60er Jahren die durch ihr Öl reich gewordene Provinz Biafra von Nigeria abspalten.

Die ausgemergelten Biafra-Kinder sind heute noch ein Symbol für den Hunger in Afrika. Gewiss, es gab diese Hungerkatastrophe tatsächlich. Aber ihr Ausmass wurde gezielt übertrieben, vor allem durch die Geschichte von den Ratten.

Heute weiss man, dass eine in Genf ansässige Werbeagentur die Story in Umlauf brachte, um Unterstützung für die Rebellen zu wecken. Als Beweis für das Ausmass des Hungers verbreitete sie weltweit ein Bild mit Ratten, die auf dem Markt feilgeboten wurden. „Schrecklich, die armen Menschen müssen sogar grausliche Viecher essen”, war die Aussage. Sie kam perfekt an. Denn hierzulande wusste niemand, dass Ratten in Nigeria eine ausgesprochene Delikatesse sind. Im übrigen wurde der Biafra-Konflikt von einigen Hilfswerken als Christenverfolgung „verkauft”; obwohl 70% der nigerianischen Soldaten wie auch der Staatspräsident Nigerias Christen waren.

Männer lassen Frauen leben

Auch wenn Manipulationen in den Medien vorkommen, muss man mit dem Vorwurf der Manipulation vorsichtig sein. Wohl die meisten Medienschaffenden bemühen sich um die Wahrheit. Doch auch sie können uns nicht die reinen, so genannt objektiven Fakten liefern. Denn: „Kommunikation ist ein Prozess der Informationsverarbeitung.” (Franz Zöchbauer)

Es beginnt schon bei der Auswahl: Allein die Schweizerische Depeschenagentur/sda liefert den Redaktionen täglich zwischen 200 bis 300 (in Krisenzeiten 400) Meldungen. Diese wiederum bilden bloss etwa zehn Prozent des Stoffes, welche die sda von den weltweiten Agenturen erhält.

Wie soll ausgewählt werden? Das Aussergewöhnliche hat verständlicherweise mehr Chancen als das Normale. Dazu brachte der Medien-Pädagoge Franz Zöchbauer in seinem (leider vergriffenen) Buch „Manipulation und Macht” ein makabres Beispiel: „Wenn ein Ehemann seine Frau umbringt, schreiben alle Zeitungen darüber. Von all den Ehemännern, die ihre Frauen leben lassen, erscheint in den Nachrichten nichts.”

Sensationen

Es ist offensichtlich: Sensationen haben es leicht, in die Medien zu kommen. Nach Zöchbauer beginnt die Manipulation dort, wo „die Sensationalisierung von Ereignissen” dazu missbraucht wird, von den Hintergründen abzulenken. Dies war beispielsweise der Fall, wo in den Berichten über den Gipfel von Genua bloss die (krawallierenden) Demonstranten gezeigt wurden, ohne die Missstände zu erwähnen, gegen die sie demonstrierten.

Auch durch Verallgemeinerungen wird manipuliert. Man wählt bestimmte Einzelereignisse aus und erweckt den Eindruck, sie seien repräsentativ (nach dem Motto: 1,2,3, alle).

Manipulation enttarnen

Schon Bert Brecht hat eine Faustregel zur Enttarnung von Manipulation aufgestellt, nämlich die Fragen: Wem dient die Nachricht? Von wem kommt sie? So sind etwa Meldungen über die Harmlosigkeit der Atomkraft mit Vorsicht zu geniessen, wenn die Atomwirtschaft die Absenderin ist.

Walter Ludin

 

Die Medienlandschaft in der Demokratischen Republik Kongo (auch „Kongo-Kinshasa“ genannt) ist ziemlich öde. Wohl gibt es in der Hauptstadt Kinshasa ein paar Zeitungen. Doch diese dienen wirtschaftlichen Interessen. Auch das staatlich gelenkte Fernsehen gibt nicht viel her. Informationen aus dem Landesinneren fehlen fast ganz. Die kirchliche Agentur D.I.A. versucht, mit Unterstützung des Fastenopfers Gegensteuer zu geben.

[bild19221w200l]Bescheiden und doch bekannt

D.I.A. wird seit zehn Jahre vom Jesuiten-Pater Vata geleitet. Die Buchstaben D.I.A. bedeuten: „Documentation et Informations Africaines“. D.I.A. ist die einzige einheimische Agentur, die dem Informationsfluss zwischen der Hauptstadt und dem Landesinneren verpflichtet ist und ausserdem das Riesenland Kongo mit dem Rest der Welt verbindet. Heute ist D.I.A. über Fax, Internet und E-Mail mit der Welt verbunden. Im Vergleich zu westlichen Agenturen ist die Infrastruktur immer noch bescheiden. Doch der Einsatz lohnt sich. Die Agentur ist im ganzen frankophonen Afrika bekannt. Es gelingt ihr auch, ausserhalb der Demokratischen Republik Kongo Artikel zu platzieren. Nur im „Norden“, das heisst in Europa, werde die Agentur zu wenig wahrgenommen, bedauert Père Vata. Wer interessiert sich schon für Afrika?

Kompromisslos

In der journalistischen Arbeit ist die Agentur kompromisslos. Schon bald nach der Machtübernahme durch Laurent Kabila kritisierte der Jesuit offen das neue Regime. Er setzte sich damit grossen Gefahren aus. Weder bei gesellschaftspolitischen Analysen noch gegenüber der Kirche nehmen Vata und sein Team ein Blatt vor den Mund. So thematisierte D.I.A. auch sexuelle Übergriffe von Priestern auf Minderjährige, die Abwanderung von Priestern in das wirtschaftlich interessantere Europa oder die Einweg-Kommunikation der Kirche.

Gleichzeitig ist und bleibt Père Vata ein Mann des Glaubens, der sich für eine engagierte Kirche stark macht. In seiner Heimat spielen seiner Meinung nach kirchliche Medien beim Wiederaufbau einer demokratischen Gesellschaft eine wichtige Rolle. Dazu gehört auch die Aufarbeitung des vorausgegangenen Bürgerkrieges. Grundlage dafür ist die Redefreiheit, und die lassen sich P. Vata und sein Team nicht nehmen.

Seit der Kolonialzeit

Gegenwärtig arbeiten zehn Korrespondenten und Korrespondentinnen für die Agentur. Bis in einem Jahr sollen es sechzehn sein, verteilt über das ganze Land. Da die Redaktion E-mails in alle Welt verschickt, ist die Projektregion entsprechend gross. Gegründet wurde die Agentur 1956, also noch zur Kolonialzeit. Seither berichtet ein Bulletin dreimal wöchentlich aus den Kirchen der Welt und aus der Kirche des Landes. 1994 kamen die „actualités“ hinzu, die vor allem ins Ausland verschickt werden. Die nationale Ausgabe richtet sich in erster Linie an religiöse Institutionen wie Diözesen, Bildungshäuser, Seminarien, Ordensgemeinschaften, Pfarreien usw. Die Auslandausgabe geht vor allem an Presseagenturen und Hilfswerke.

Men Dosch, Fastenopfer

(Auf Seite 34 der vorliegenden ite-Nummer finden Sie einen Artikel über die Situation im Kongo.)

 

Rarer Lesestoff

MD Heute zählt D.I.A. rund 600 Abonnenten für die gedruckte Ausgabe im Lande selbst und etwa 200 im Ausland. Dazu kommen eine steigende Anzahl von E-mail-Abonnements. Die Zahl der Leserinnen und Leser ist natürlich um ein Vielfaches höher, da in einem Land, wo schriftliche Nachrichten eine Rarität sind, ein derartiger Lesestoff sehr begehrt ist und eine entsprechend weite Verbreitung findet.

„Elektronisch zusammengezogen ist die Welt nurmehr ein Dorf“, hat Herbert Marshall McLuhan vor mehr als 30 Jahren in seinem Buch „Die magischen Kanäle“ geschrieben. Die Vision des umstrittenen kanadischen Ingenieurs und Philosophen ist zumindest in Ansätzen zur Realität geworden. Nicht nur die Verbreitung des Fernsehens in aller Welt ist ein Hinweis dafür. Überall und jederzeit für alle erreichbar zu sein ist heute der Massstab für weltumspannende Kommunikation. Die Realität indessen zeigt ein anderes Bild. Das globale Dorf findet zumindest in den Peripherien (noch) nicht statt. Tatsache ist, dass mehr als die Hälfte der Menschen noch nie telefoniert hat. Und gerade mal zwei Prozent der Erdenbürger verfügen über einen Computer. Diese Fakten belegen die fehlenden Voraussetzungen für eine Kommunikationsgesellschaft, in der alle gleichberechtigt sind.

Konzerne

Die Vormachtstellung weniger multinationaler Konzerne in der über Medien vermittelten Kommunikation (s. Kasten: Geballte Macht) ist nicht einfach das Ergebnis eines durch technische Innovationsschübe ermöglichten Booms. Sie ist die Folge einer Ideologie, die wirtschaftliches Wohlergehen mit Freiheit gleichsetzt. Dabei werden Gewinnstreben und Gewinnmaximierung klar über soziale und gemeinschaftliche Werte gestellt. Regulierend wirken soll nach Möglichkeit ausschliesslich der Markt.

Während des Kalten Krieges wurde das kapitalistische System als freiheitliche Alternative zu einem gleichmacherischen, planwirtschaftlich orientierten Kommunismus oder Sozialismus angeboten und gewissermassen zur Widerstandsideologie erhoben. Das äusserte sich etwa darin, dass dem einseitigen Fluss der Informationsströme von Moskau in die weite Welt durch die damalige Sowjetrussische Agentur Tass ein ebenso einseitiger Fluss der Agenturen United Press International (UPI), Associated Press (AP), beide USA, Reuter (Grossbritannien) und Agence France Presse gegenüberstand.

Ideologische Waffe

Die Informationssteuerung und -kontrolle wurde einerseits als Waffe im Krieg der Ideologien mit dem klaren Ziel der Beeinflussung der Blöcke eingesetzt. Andererseits kontrollierten die grossen Agenturen auch das Geschäft mit den Informationen. So etwa bezog das Fernsehen in Bangladesh seine Bildinformationen aus Indien nicht etwa im direkten Austausch, sondern über die Reuter-Tochter „Visnews“ via London.

Es war kein Zufall, dass sich Ende der 70er- und anfangs der 80er-Jahre gerade die damals blockfreien Staaten gegen solchen Kommunikations-Imperialismus zur Wehr setzten. In der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur (UNESCO) verlangten sie eine neue Welt-Informations- und Kommunikationsordnung. Unter dem Vorwand, die Entwicklungsländer würden mit Unterstützung des Ostblocks mit dieser Ordnung die Pressefreiheit westlichen Zuschnitts untergraben, quittierten die USA diesen Vorstoss mit dem Austritt aus der UNESCO. Der Beifall einiger weiterer westlicher Nationen – unter ihnen auch die Schweiz – war den mächtigen Amerikanern gewiss.

Wider den Machtmissbrauch

Der Europäischen Ökumenischen Arbeitsgruppe UNDA/WACC ist zuzustimmen, wenn sie festhält, dass das Ziel nicht darin bestehe, den Medien Moral zu predigen, sondern zu verhindern, dass Geld zur alles bestimmenden Macht wird. In der Tat werden die Medien heute nicht mehr nach dem Kriterium Moral, sondern nach klar wirtschaftlichen Massstäben zensiert. An die Stelle der moralischen oder in vielen totalitären Staaten politischen Zensur ist heute das Diktat der Einschaltquoten getreten. Die Macht des Geldes ist für die Freiheit der Medien und die Qualität der Programme nicht weniger gefährlich als die Macht der Politik.

Keine schrankenlose Freiheit

Zusammengefasst drängt sich eine verbindliche Ordnung für die Informations- und Kommunikationsmedien u. a. aus nachstehenden Gründen auf:

  • Die Erfahrung zeigt, dass der freie Wettbewerb weder im technischen noch im programmlichen Bereich jene Regulierungskraft entwickelt, die den Pluralismus in Kultur und Politik fördert und der Vielgestaltigkeit der menschlichen Gemeinschaften gerecht wird.
  • Der freie Zugang zur Medienkommunikation, das Recht auf freie Meinungsäusserung, die Berücksichtigung und auch der Schutz von Sprach-, Kultur- und Religionsminderheiten ist heute in keiner Weise gewährleistet.
  • Kommerzielle Unternehmen neigen logischerweise dazu, in erster Linie ihre Gewinne zu optimieren. Die Programme und Inhalte werden vorrangig nach ihrer Mehrheitsfähigkeit gestaltet, wie der Kampf um Einschaltquoten und Auflagen einschlägig beweist.

Ein Regelwerk für eine weltumspannende Kommunikation und Information soll Freiheit nicht einschränken, sondern Freiheit für alle gewährleisten. Es war, wie gesagt, der Süden, der mit dieser Philosophie auf die Einführung einer neuen Welt-Informations- und Kommunikationsordnung drängte (und noch immer drängt) und damit Kommunikation zu einem prioritären Bereich der Entwicklungszusammenarbeit machte. Und es waren nicht zuletzt kirchliche Kommunikations- und Entwicklungsorganisationen, die das Anliegen aufnahmen und unterstützten. Sie taten es aus einer langjährigen Tradition im Bemühen um die Wahrnehmung des Rechtes auf eine menschenwürdige Kommunikation.

Fastenaktion 2002

Ziel der Aktion 2002 von Brot für alle, Fastenopfer und Partner sein ist es, auf eine neue Kommunikationsumwelt hin zu arbeiten, darüber zu informieren, Mitmenschen zu sensibilisieren und ihnen Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. Dieses Ziel ist Privileg und Herausforderung zugleich.

Urs A. Jaeggi
Redaktor und Journalist bei „Brot für alle“

 

Geballte Macht

UJ. Heute beherrschen ungefähr zehn Kommunikationskonzerne den Weltmarkt. Nach Time Warner (mit 26,8 Milliarden US-$ Jahresumsatz/Erwartung nach der Fusion mit AOL 40 Mrd. $) spielen Walt Disney (23), Viacom/CBS (18,9) und News Corporation/Rupert Murdoch (13,6) die mächtigste Rolle. Acht der zehn führenden Global Players haben ihren Sitz in den Vereinigten Staaten. Nur gerade Bertelsmann, Deutschland (14,8), und der japanische Mischkonzern Sony (Medienanteil 10,5) vermögen an der Spitze mitzuhalten.

Leitplanken

  • Es ist höchste Zeit, dass die Medien sich ernsthaft für Frieden und internationale Verständigung einsetzen.
  • Der Ermächtigung (empowerment) der Frauen durch Kommunikationsausbildung und durch andere Programme muss Vorrang geben werden.
  • Je stärker unsere Kommunikationsumwelt von Medien geprägt wird, desto nötiger ist es, unsere Fähigkeiten zur zwischenmenschlichen Kommunikation zu entwickeln.
  • Christliche Kommunikatorinnen und Kommunikatoren stellen sich auf die Seite der Armen, der Unterdrückten und der Ausgestossenen.

Aus der Manila-Erklärung der Weltvereinigung für christliche Kommunikation

 

[bild19218]weil mein Herz dich umfängt

ich umfange dich

mit all meinen Gedanken

mit all meinen Träumen

mit meiner ganzen Seele

und auch

mit all meinen Tränen

ja mit denen

ganz besonders

Anke Maggauer-Kirsche

 

 

[bild19219]es muss einen Ort geben

einen Ort jenseits unserer Gedanken

vielleicht liegt er am Ende der Welt

ja am Ende überhaupt

dort, wo alles endet

ich bin dort gewesen

ich habe die Sterne gesehen

und ein Lächeln überall

Anke Maggauer-Kirsche

 

Wenn wir Sie mit diesen Beispielen „glutschtig“ gemacht haben und sie sich noch mehr mit diesen Texten auseinandersetzen möchten, können Sie das Indienheft bestellen unter abo@missionsprokura.ch (1 Exemplar gratis, ab 2 Stück je CHF 1.– + Porto)

[bild19216w250r]Bringe mir eine Frucht des Nyagroda-Baumes!

Hier ist sie, Herr.

Zerteile sie.

Sie ist zerteilt, Herr.

Was siehst du darin?

Winzig kleine Kerne, Herr.

Zerteile einen von diesen.

Er ist zerteilt, Herr.

Was siehst du darin?

Gar nichts, Herr.

Diese Feinheit, die du nicht wahrnimmst,

mein Lieber,

aus eben dieser Feinheit wächst

der grosse Nyagroda-Baum.

Glaube, mein Lieber,

das diese feinste Essenz ist,

die hat diese ganze Wirklichkeit als

ihr innerstes Prinzip.

Das ist die Wahrheit.

Das ist der Atman.

Das bist du, Schvetaketu.

Upanishaden/Chandogya VI.

 

 

[bild19217w250r]Er ist der Hüter der Welt,

im Herzen der Welt.

Er führt die Guten in die unendliche Welt,

er verleiht dem Tod das goldene Licht,

das goldene Licht des Himmels und der Erde –

er möge uns dieses Licht schenken!

Das Wasser leuchtet – ich bin Licht!

Das Licht leuchtet – ich bin Brahman!

Ich bin, ich bin Brahman!

Ich bringe mich selbst als Opfer dar.

Svaha!

Upanishaden/Mahanarayana 152-158

 

[bild19215w200l]Unendlich

gerade dann

nur dann

als noch keine Hoffnung war

nur Staunen

unendliches Staunen

als die Seele dein war

ganz dein

und du wusstest es nicht

darum war es so

nur darum

Anke Maggauer-Kirsche

 

Wenn wir Sie mit diesen Beispielen „glutschtig“ gemacht haben und sie sich noch mehr mit diesen Texten auseinandersetzen möchten, können Sie das Indienheft bestellen unter abo@missionsprokura.ch (1 Exemplar gratis, ab 2 Stück je CHF 1.– + Porto)

So verschieden die Kleidersituation in den verschiedenen islamischen Ländern ist – denken wir an die strengen Vorschriften in Saudiarabien oder an die seit Atatürk staatlich verordnete Verwestlichung in der Türkei – so unterschiedlich werden die religiösen Quellen ausgelegt. Auch der zur Kopftuchfrage am häufigsten zitierte Koranvers (Sure 24:31) lässt verschiedene Auslegungen zu. Wo die einen in ihm nur die Aufforderung zu dezenter Kleidung sehen, betrachten ihn andere als zwingenden Beleg für das Kopftuch.

Symbol der Identität

Erst der Kontakt mit dem Westen hat das Kopftuch zu einer „Frage“ werden lassen. Das Verhüllen des Kopfhaares war bereits in vorislamischer Zeit in südlichen Ländern weit verbreitet, übrigens auch bei Männern. Der vor der gleissenden Sonne schützende Aspekt ist dabei nicht zu übersehen.

Heute symbolisiert der Schleier im Orient zunehmend kulturelle Identität, unabhängig vom Grad der Religiosität oder der Zugehörigkeit zu einem ideologischen Lager. Frauen tragen ihn als Zeichen für eine islamische Gesellschaftsordnung und der Abgrenzung vom Westen.

Clash der Wertesysteme?

Warum erhitzen Kopftuchfrauen hierzulande die Gemüter? Stösst man sich am rigorosen Verdecken der Haare oder liegt die Ursache tiefer? Der Schleier ist das sichtbare Symbol für eine andere Kultur. Eine Kultur, die ein vom Westen völlig unterschiedliches Wertesystem kennt und andere Massstäbe anlegt.

Könnten also die ungleichen Wertvorstellungen der wahre Grund für die heissen Köpfe sein? Auch die sogenannte „Befreiung“ der islamischen Frau ist ein westliches Konzept, nach westlichen Gewichtungen errichtet, das für die Muslimin nicht heilsversprechend sein muss, sondern sie von ihren Wurzeln entfremden kann.

Es gibt gewichtige Unterschiede zwischen den zwei Wertesystemen: Während der Orient die Harmonie zwischen Individuum und Gesellschaft sucht, verkörpert im Okzident das autonome Subjekt das Persönlichkeitsideal. Musliminnen sehen daher ihre Anliegen und Probleme nicht wie westliche Frauen isoliert von denen der Männer, der Familie und der Gesellschaft. Zudem geht das islamische Menschenbild von der Ungleichheit der Geschlechter im Schöpfungsprinzip aus, so dass die westlich geforderte Gleichberechtigung oft als Angleichung der Geschlechter missverstanden wird.

Körperbewusstsein

Auch das Körperbewusstsein ist unterschiedlich. Im islamischen Verständnis stehen Reinigung, Fasten und Gebet im Zentrum, die dem Körper einen bestimmten Rhythmus diktieren. Dagegen orientiert sich der Westen an Fitness und Jugendlichkeit und drückt Autonomie und Freiheit durch Nacktheit aus.

Wenn wir nun das Kopftuch als Symbol der islamischen Werthaltungen betrachten, stellt sich schlussendlich die Frage, ob die Muslime und Musliminnen, die im Westen eine neue Heimat gefunden haben, sich um den Preis ihrer Wurzeln assimilieren müssen oder ob ihnen ihre kulturelle Herkunft und Identität zuerkannt wird.

Martha Vogel

 

 

Kurznachrichten

jumi – Peace

Dienstag, 31. Mai 2022

Wir glauben an Frieden! Das ist unsere Hoffnung und dafür setzen wir uns ein!

jumi – zäme unterwägs

Freitag, 6. Mai 2022

In diesem jumi erzählen Pfadi, Jubla und die Minis, was Kinder bei ihnen machen können.

Aus dem Kloster Dornach

Montag, 2. Mai 2022

Im ehemaligen Kapuzinerkloster ist immer was los …

Käfer und Wurm

Dienstag, 12. April 2022

Dieses jumi erzählt von Käfern, Würmen und anderen Kleinsttieren.

jumi – Kraft

Donnerstag, 20. Januar 2022

Dieses jumi schaut zusammen mit der Fastenaktion nach Laos, einem faszinierenden Land in Asien.